Wassermangel im Kanzleramt?

Hegelplatz 1 Jakob Augstein gratuliert Angela Merkel zum Geburtstag – und sorgt sich um ihre Gesundheit
Ausgabe 29/2019
Angela Merkel empfängt einen Strauß von Bundesjustizministerin Christine Lambrecht zu ihrem 65. Geburtstag. Herzlichen Glückwunsch.
Angela Merkel empfängt einen Strauß von Bundesjustizministerin Christine Lambrecht zu ihrem 65. Geburtstag. Herzlichen Glückwunsch.

Foto: Sean Gallup/Getty Images

Angela Merkel ist 65 geworden. Herzlichen Glückwunsch, Kanzlerin. Andere Frauen wünschen sich Hermès-Tücher zum Geburtstag. Merkel wünscht sich: Reden. Das ist schön. Sie selber kann nicht so gut Reden halten, wie man weiß. Aber sie hört gerne zu. Vor fünf Jahren hatte sie einen weitsichtigen Globalhistoriker eingeladen, der fand, die Politik mache sich „die unglaublichsten Illusionen über langfristige Gestaltbarkeit“. Und als sie 50 Jahre alt wurde, ließ sie den Hirnforscher Wolf Singer eine Rede darüber halten, dass es keinen freien Willen gebe. „Wir müssen uns von der Utopie der Planbarkeit der Zukunft verabschieden“, erklärte der Forscher.

Es kommt, wie es kommt. Für einen Politiker ist das eine verblüffende Einstellung. Und es ist erstaunlich, dass die Deutschen offenbar nie so richtig davon beunruhigt waren, von jemandem geführt zu werden, der der Ansicht ist, er könne auch nichts ändern. Daran mussten wir hier am Hegelplatz denken, als die Geschichte von Merkels Zittern die Runde machte. Die Kanzlerin hat ja bei drei öffentlichen Veranstaltungen angefangen, am ganzen Leib zu schlottern. Das Zittern selbst ist nicht das Problem. Wer zittert nicht manchmal, wenn er stillstehen muss? Zumal wenn eine Ehrenformation der Armee vorbeizieht und man den ukrainischen Staatspräsidenten Selenskyj neben sich hat und die ukrainische Hymne aushalten muss?

Das findet übrigens auch das Volk, laut Umfragen meinen annähernd 60 Prozent der Deutschen, das Zittern sei Privatsache. Man könnte ja auch der gegenteiligen Ansicht sein. Früher hat man gesagt: „Die Hand, die den Wechsel fälscht, darf nicht zittern.“ Um wie viel mehr müsste das für die Hand gelten, die die Staatsgeschäfte führt? Also wäre eigentlich eine Erklärung fällig. Merkel hat auch eine gegeben, und die war es eben, die uns dazu gebracht hat, unser altes Merkel-Bild umzustürzen. Aus dem Regierungspalast verlautete nach dem ersten Zittern, es sei durch Wassermangel ausgelöst worden, das zweite erklärt ein Sprecher so: „Die Erinnerung an den Vorfall in der letzten Woche führte zu der Situation heute – also ein psychologisch-verarbeitender Prozess.“ Und das dritte kommentierte Merkel selbst damit, dass diese „Verarbeitungsphase … offensichtlich noch nicht ganz abgeschlossen“ sei – „aber es gibt Fortschritte“. Wir stellen also verdattert fest, dass ausgerechnet diese Frau, die als eiserne Kanzlerin in die Geschichte eingehen wollte, in der Spätphase ihres Amtes damit anfängt, ihr eigenes Handeln psychologisch zu erklären. Merkel hält offenbar nicht nur die äußeren Umstände für im Prinzip nicht beherrschbar – sondern auch die inneren. Ist das schon Weisheit oder noch Wahnsinn? Seltsam, aber so steht es geschrieben.

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Geschrieben von

Jakob Augstein

Journalist und Gärtner in Berlin

Jakob Augstein

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