Wider die Globalisierung des Egoismus

Linkspartei Hinter dem Streit um die Fraktionsspitze verbirgt sich die viel größere Frage nach einer Vision für die gerechte Internationalisierung. Die Antwort steht aus
Ausgabe 42/2017
Die Linkspartei muss die Ängste ihrer  Wähler ernst nehmen – sonst sind sie weg
Die Linkspartei muss die Ängste ihrer Wähler ernst nehmen – sonst sind sie weg

Foto: John McDougall/AFP/Getty Images

Das Putschchen ist abgeblasen. So richtig sicher waren sich die Gegner von Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine dann doch nicht. Denn um die beiden ging es natürlich bei dem gescheiterten Versuch einiger Abgeordneter, die Fraktionsspitze durch die Parteispitze zu ersetzen. Aber sollte die Linkspartei im Ernst auf ihre stärksten Zugkräfte verzichten? Was da Anfang der Woche am Rande einer Fraktionsklausur aufbrach und schnell wieder zugeschüttet wurde, war allerdings mehr als der übliche Richtungsstreit. Die Linke wird jetzt von jener alten Frage eingeholt, die die Sozialdemokraten schon länger umtreibt: Wer sind wir und was wollen wir?

Immerhin hat Sahra Wagenknecht in einem Brief an einige Abgeordnete dem Vernehmen nach mit Rücktritt gedroht. Sie „sehe keinen Sinn darin, meine Kraft und meine Gesundheit in permanenten internen Grabenkämpfen mit zwei Parteivorsitzenden zu verschleißen ... die in mir schon seit längerem ein großes Hindernis für eine angepasste, pflegeleichte LINKE sehen“. Die eigene Demission anzukündigen, wie Wagenknecht es jetzt gemacht hat – dieses Schwert wird schnell stumpf. Also müssen die Sorgen groß oder die Nerven dünn sein.

Am Wahlergebnis liegt es nicht. 9,2 Prozent erzielte die Partei unlängst im Bund, das war ein bisschen besser als 2013, nichts Jubelwürdiges, aber durchaus keine Katastrophe. Aber dennoch enthüllte die Wahl eine neue Schwäche: Im Osten und bei den Abgehängten und Furchtsamen wurde die Linkspartei als Stimme der fundamentalen Opposition von der AfD abgelöst.

Das ist eine seelische Kränkung und eine machtpolitische Katastrophe. Vordergründig geht es jetzt um die Haltung zu Flüchtlingspolitik und Migration, in Wahrheit um viel mehr.

Oskar Lafontaine hatte recht, als er nach der Wahl den Sack aufmachte und die Zuwanderung mit der sozialen Frage verknüpfte. Man dürfe, sagte er, „die Lasten der Zuwanderung über verschärfte Konkurrenz im Niedriglohnsektor, steigende Mieten in Stadtteilen mit preiswertem Wohnraum und zunehmende Schwierigkeiten in Schulen mit wachsendem Anteil von Schülern mit mangelnden Sprachkenntnissen nicht vor allem denen aufbürden, die ohnehin bereits die Verlierer der steigenden Ungleichheit bei Einkommen und Vermögen sind“.

Das ist eine Binsenweisheit, die die Wähler der Linken besser verstehen als die Funktionäre. Die haben ihre ideologischen Hacken eingegraben und rufen: Kein Fußbreit den Nazis. Aber darum geht es gar nicht. Wenn die Linke die Ängste ihrer Wähler ernst nimmt, knickt sie darum nicht vor der AfD ein, und schon gar nicht stellt sie sich – wie Gregor Gysi es seinem alten Rivalenfreund Lafontaine gleich vorwarf – damit gegen die Flüchtlinge.

Im Gegenteil. In der neoliberalen Marktwirtschaft Deutschland werden die Schwächsten gegen die Schwachen ausgespielt: Schule, Wohnen, Arbeit – die Lasten der Migration müssen zum großen Teil von denen geschultert werden, die ohnehin schon zu schwer tragen. Wenn die Linken das nicht zu ihrer Sache machen, füllt die AfD gerne die Lücke – mit ihrem Hass.

Es entspricht dem Wesen der Linken, sich gegen die Globalisierung des Egoismus zu stellen. Aber gleichzeitig darf sie sich nicht damit abfinden, dass eine solidarische Gesellschaft den Preis der Abschottung und Ausgrenzung kostet. Hinter dem Streit um die Fraktionsspitze verbirgt sich die viel größere Frage nach einer Vision für die gerechte Internationalisierung. Die Antwort steht aus.

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Geschrieben von

Jakob Augstein

Journalist und Gärtner in Berlin

Jakob Augstein

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