Liebe Gartenfreunde, das Ende ist nah. War es eine gute Zeit? Ist die Saat Ihrer Arbeit aufgegangen oder ist Ihnen alles unter den Händen verdorrt? Für Reue ist es jetzt zu spät. Ihnen bleibt nur noch, Ordnung zu machen. Am Ende des Sommers müssen Sie Ihren Garten aufräumen, so wie man als Kind am Abend eines langen Tages sein Zimmer aufräumen muss.
Für den Gärtner hat das ein bisschen mit der Sorge um die Pflanzen zu tun und sehr viel mit der Liebe zur Ordnung. Der Winter ist an sich kein Spaß. Aber ein unaufgeräumter Garten im Winter ist wirklich deprimierend. Wenn schon alles um uns herum stirbt, sollten wenigstens wir die Form wahren. Wenn Sie Ihre Zwiebeln schon gesetzt haben, müsste Ihr Garten eigentlich in Ordnung sein. Denn die richtige Reihenfolge lautet natürlich: erst aufräumen, dann Zwiebeln setzen. Erst schafft man das alte Zeug beiseite und macht Platz und dann setzt man in den aufgelockerten, von allem Unrat gereinigten Boden die hoffnungsvollen Zwiebeln für das nächste Frühjahr.
Aufräumen bedeutet, die faulen Strünke der Stauden aus den in sich zusammengesunkenen Beeten zu schneiden. Stellen Sie sich vor, dass dieser faulige Unrat einmal die herrlichen Blumen waren, die Ihnen den Sommer versüßt haben!
Was bleibt?
Und denken Sie darüber nach, was die Zeit aus den Dingen macht! Was vom Leben bleibt. Was von der Liebe bleibt. Asche zu Asche und Staub zu Staub klingt nach einer sauberen Sache. Aber Tod und Verwesung sind alles andere als sauber: Überall liegen schimmlige Äpfel zwischen den verrottenden Stängeln abgestorbener Pflanzen, die Dinge sind im Stadium des Übergangs, in der Transition, in der Auflösung.
Wenn man Zeuge der geradezu konvulsivischen Schmerzen ist, unter denen das Leben vom Zustand der Ordnung in den der Auflösung wechselt, dann bekommt man eine Ahnung davon, wie streng und mühsam die Arbeit der Natur gewesen sein muss, jene feingliedrigen Blätter und diese zarten Farben zu erschaffen, wie viel Energie da gebunden wurde in diesen bezaubernden Blüten, die so wunderbar duften konnten, wenn ihre Aromen in einem kurzen Gewitterregen von der durch hohe Wolken brechenden Sonne in die mit Dampf gesättigte Luft befreit wurden.
Verpacken Sie die Rosen!
Also, schneiden Sie das Zeug weg, dann stört Sie der Anblick in den kommenden Monaten nicht. Verpacken Sie Ihre Rosen mit Tannengrün. Das schützt gegen den Frost und sieht gemütlich aus. Sie können die Rosen um überlange Triebe beschneiden. Aber eigentlich ist das Frühjahr die Zeit für den Rückschnitt. Stehen irgendwo noch Töpfe mit Pflanzen herum, die es nicht mögen, bei Minus 15 Grad komplett durchzufrieren? Die Töpfe gehören in den Wintergarten, den jedes Haus haben sollte. Oder an die Hauswand, in eine windgeschützte Ecke, eng aneinandergedrückt, und von oben sollte man auch sie mit Tannennadeln schützen.
Dann zieht sich das Leben in Ihrem Garten in die Erde und Sie sich ins Wohnzimmer zurück. Im Spätherbst gehen Sie noch mal raus und atmen diese besondere Luft ein, die jetzt gesättigt ist mit dem Duft der Erde und der Dunkelheit. Dann machen Sie die Türen zu, damit die Kälte nicht ins Haus kommt. Sie haben jetzt viel Zeit. Lesen Sie also ruhig noch mal nach, was Franz Biberkopf seinerzeit im Gefängnis aufgeschnappt hat: Inzwischen melden sich die Jahre, / Der Mottenfraß zermürbt die Haare / Es kracht bedenklich im Gebälke, / Die Glieder werden schlapp und welke, / Die Grütze säuert im Gehirn / Und immer dünner wird der Zwirn. / Kurzum, du merkst, es wird jetzt Herbst, / Du legst den Löffel hin und sterbst.
Jakob Augstein pausiert nun mit seiner Garten-Kolumne für ein halbes Jahr. Deshalb suchen wir ab sofort einen Aushilfs-Gärtnerkolumnisten für die Winterpause! Bewerbungen bitte unter dem Text posten.
Kommentare 9
Konvulsivischer Schmerz? Ich dachte, der Schmerz des Gärtners sei männlich - aber Männer zucken ja auch manchmal.
Ob ich mich als Aushilfsgärtnerin eigne? Ich bin schließlich vom Schicksal zur Gelegenheitsgärtnerin erkoren worden... nur herrscht bei mir immer noch Unordnung, ich komme kaum hinterher und der Löwenzahn, der ein Jahr in meinem Garten wuchern konnte, macht mir mein Leben als Gärtnerin zusätzlich schwer - wie ich unlängst bei Kabisch schon zu Protokoll gab. Und dann gilt auch noch folgende Gleichung: 1 Tag im Garten = 2 gesplitterte Fingernägel... ja, das ist schlimm!
ja gut, Unrat wegschaffen und aufräumen
Aber was macht man so allgemein mit einem Gärtner, der wenig taugt? Hätten's da einen Rat? Ich mein' mal nur so ... ein Gärtner der Winterpause macht sollte Kurzarbeitergeld und Schulungen beantragen.
Bei Pomologen wird Kernkompetenz vorausgesetzt. Ähm, ist zum nachdenken ... gedacht.
Das ist ein wunderschöner Text.
Das war ein wunderschöner Text.
Von JottAh? Hier würde jetzt die bescheuerte MediaMarkt-Werbung kommen ... ich bin doch nicht blöd, Magda.
Lieber Gärtner,
Der Franze Biberkopf weiß nicht, wie ihm gespielt wird und so fällt er durch die Zeit. Aber besser ein paar Fraßstellen am Haaransatz und Hinterhaupt, da wo das dritte Auge in der Tiefe ruht, als Bein ab.
Wenn nun der Garten winterfest ist und ein halbes Jahr die Kolumne pausiert (gilt das auch für den Koch?), dann hoffe ich doch, jegliches möge seine Zeit haben, und der Kolumnist käme mit frischen Ideen wieder, wenn die ersten Schneeglöckchen die Köpfe recken.
Schlehen glühen noch tiefblau und brauchen einen ersten Frost, damit die Früchte taugen, Mispeln liefern ein überaus schmackhaftes Mus, und ein paar Früchte von allem sollten trotzdem im Garten gammeln dürfen und am Ast verdorren, denn Igel und Vögel freuen sich. Bayrische Feigen müssten auch im Streusand angehen und alt werden. Wenn es denen in der Jugend zu kalt wird, bekommen sie eine Hülle aus Vlies.
Vielleicht findet sich ja ein Andergärtner, ein Down under, Wunder- und Wundgärtner, der die Gartenreiche der anderen Erdhälfte kennt oder bewundert und dazu einmal schreibt. Einer, der z.B. mit dem Burle Marx vertraut ist.
In der Hoffnung auf ihre Winterhärte, Herr Augstein.
Christoph Leusch
Dann ist es jetzt wohl an der Zeit für ein "Dankeschön": Danke für die anschaulichen Ausflüge in das Reich der Flora und Fauna, die vielen guten Ideen und Tipps, stets verpackt in aufmerksame, warmherzige Schilderungen. Neben vielen unvergessenen Figuren wird, in meiner Vorstellung, auch die vortreffliche Beschreibung des Laubbläsers den Winter über lebendig bleiben.
+ + + Der Biberkopf, der hatte einfach kein Glück oder wie es auf dem Buchumschlag der Erstausgabe (S.Fischer, Berlin 1929) schon geschrieben stand:
"Man fängt nicht sein Leben mit guten Worten und Vorsätzen an, mit Erkennen und Verstehen fängt man es an und mit dem richtigen Nebenmann."
Gerade an dem Punkt, an dem einem unordentlichen Gärtner seine Kreation zu entgleiten droht, da gebietet der Herbst alljährlich Einhalt. Der Winter naht, ein Moment der Besinnung, des Innehaltens, in dem der Gärtner ruhigen, prüfenden Blickes zurücktreten kann um sein Werk mit Abstand ganz neu zu betrachten. Wo in hitzigem, exponentiellen Wachstum Pflanzen eben noch miteinander um Raum, Licht und Nährstoffe konkurrierten, offenbart sich dem Gärtner nun das Ende einer Lebensphase – mit all ihren vorläufigen Ergebnissen.
Gärtnern ist immer das, was man aus den Gegebenheiten macht: In einem energetisch offenen und vernetzten System kommt es auf die Beziehungen zwischen den Dingen – also die Interaktion oder Kommunikation – ebenso sehr an, wie auf die einzelnen Elemente.
Es gibt jetzt vor dem ersten Bodenfrost noch viel zu tun. Alle Töpfe sollten hoch gestellt werden vom kalten Boden – am besten auf Holzklötze. Die Rosen sollten zurückgeschnitten und Erde um die Wurzeln angehäuft werden, zur Sicherheit noch ein paar Zweige oben drauf. Den schon seit Monaten wuchernden Himbeersträuchern jetzt radikal zu Leibe rücken; nicht vergessen all die neuen Wurzelstämme auszugraben und gründlich zu vernichten. Die vorhandenen Tulpenzwiebeln, spätestens jetzt, nocheinmal ausgraben, die Ableger prüfen, separieren und neu setzen.
In der Natur sind Auflösung, Tod und Verwesung geradezu zwingend notwendig um Neues hervorzubringen. Winter mag für den Gärtner selbst nicht unbedingt angenehm sein, aber umso mehr brauchen Pflanzen diese kleine Verschnaufpause um wieder Kräfte zu sammeln. Im Garten, wie im richtigen Leben, gibt doch die Endlichkeit erst den Dingen ihren besonderen Geschmack. Die viele Energie, die gebunden wurde, um zauberhafte Farben und Düfte zu erschaffen, sie verschwindet nicht – Nichts verschwindet in der Natur. So wie in der Liebe, wandeln sich die Dinge einfach nur.
Der Grad der Unordnung eines chemischen Systems wird als Entropie bezeichnet. Die Entropie ist temperaturabhängig: Mit steigender Temperatur nimmt die Unordnung der Stoffe zu. Im Winter aber entsteht mit einem Mal Ordnung, ganz wie von Zauberhand. Wenn der Gärtner im Winter seinen Garten betrachtet, entdeckt er Dinge, die ihm das ganze lange Jahr über verborgen geblieben sind. Ähnlich einem Kind, das nach ausgelassenem Spiel vor Erschöpfung einfach einschläft legt der Garten im Winter sein Gewand ab und begibt sich zur Ruhe. Der fürsorgliche Gärtner deckt es zu, trifft besonnen seine Vorbereitungen und freut sich auf den kommenden Tag, wenn, mit den ersten Sonnenstrahlen des Frühlings, alles sich wieder zu regen beginnt. Wenn er beim Wachsen wieder staunend zusehen kann.
Columbus' Wunsch auf Winterhärte schliesse ich mich an, mit freudigen Erwartungen für das Frühjahr.
Schreibt Ringelnatz:
Herbst im Fluss
Der Strom trug das ins Wasser gestreute
Laub der Bäume fort.
Ich dachte an alte Leute
Die auswandern ohne ein Klagewort.
Die Blätter treiben und trudeln,
Gewendet von Winden und Strudeln
Gezügig, und sinken dann still.
Wie jeder, der Großes erlebte,
Als er an Größerem bebte,
Schließlich tief ausruhen will.
Fragen Sie mich nicht, warum ich ausgerechnet hier, ausgerechnet zu diesem Artikel, ausgerechnet auf Ringelnatz, den Ernsten komme. Es scheint mir nur zu passen. Und nein, das ist keine Bewerbung; dazu ist mir Wildwuchs viel zu wichtig. Auf Wiederlesen, bis zum Frühjahr.
"Der mit den Pflanzen malte" – Roberto Burle Marx: Super! Seine Gärten lassen sich aber doch schwer in einem kleinen 5-spaltigen Aufsetzer mit 600 Worten darstellen, oder? Hier wäre mindestens eine ganze Seite – vielleicht sogar eine reich bebilderte Doppelseite (!) – angebracht. Am besten noch mit einer abgefahrenen, geometrischen Überschrift. (Das Herz jedes Editorial-Designers macht bei der Vorstellung sofort einen dreifachen Auerbachsalto, rückwärts.)
Mit den Arbeiten von Roberto Burle Marx könnte man auf alle Fälle preisverdächtige Zeitungs-Gestaltung machen, der "goldene ADC-Nagel" wäre so gut wie sicher ... aber eine Gartenkolumne? Das wäre doch irgendwie unstimmig.
An dem "Andergärtner, Down under, Wunder- und Wundgärtner" sollte man dennoch unbedingt dran bleiben.
Wenn des Obergärtners Arbeit ruht,
sucht er sich einen Substitut.
Teile und herrsche ist des Verlegers Leitmotiv
JA kategorischer Imperativ?
Ein Gärtner räumt seinen Garten auf
Insgeheim er hofft doch darauf,
dass bei seiner Rückkehr er schmerzlich wurde vermisst.
So denkt ein jeder Kolumnist.