Wie hält es der Gärtner mit dem Tod?

Koch oder Gärtner Nachdem sein Teich endlich wieder eisfrei ist, macht der Gärtner eine grausige Entdeckung. Alle seine Fische und sogar der Frosch sind tot. Doch wohin mit den Kadavern?

Liebe Gartenfreunde, Sie erinnern sich vielleicht an die Verzweiflung, der ich in der vorigen Folge dieser Kolumne Ausdruck verlieh, da der Frühling noch und noch auf sich warten ließ. Jedoch, zum Zeitpunkt der Drucklegung war der Wetterwechsel schon erfolgt. Gleichsam über Nacht. Und als ich die Zeitung in den Händen hielt, brach überall das Eis auf und draußen war alles Licht und Wärme und Leben. Dachte ich jedenfalls, bis ich zu meinem Teich kam.

Wie soll ich es sagen? Mit welchen Worten beschreiben? Das Bild der Traurigkeit. Meine ­Fische. Sie waren alle tot. Die beiden Karpfen und der Sterlet. Ich trieb mit einer Stange die Eisschollen auseinander und da kamen sie hervor aus der Tiefe, sie stiegen an die Oberfläche, den geblähten Bauch nach oben gewandt. Sie waren blass und ihre Leiber faulten schon. Der Sensenmann hatte in meinem Teich reiche Ernte gehalten. Nun sah ich, dass er auch meinen Frosch nicht verschont hatte, den ich im vergangenen Herbst ausgesetzt hatte. Die Fische, der Frosch. Überall der Tod im schwarzen Wasser.

Nach meiner letzten Kolumne hatte eine Leserin besorgt gefragt, woher die Düsternis, warum die Bedrückung, die sie zu spüren meinte. Aber ich wusste schon, warum ich vom Schaudern der Furcht schrieb, mit dem ich mich über die Löcher beugte, die ich zuvor ins Eis geschlagen hatte.

Ist es ein Trost, dass es in den übrigen Berliner Gewässern nicht viel besser steht? „Fast alle Fische tot“ las ich nur einen Tag später in der Bild-Zeitung. Fast? Bei mir alle! „Wochenlang kämpften sie im harten Eis-Winter ums Überleben. Am Ende erstickten sie qualvoll.“ Ja, so muss es sich zugetragen haben. Ich hatte den Teich mit Bedacht so tief angelegt, dass er nicht zufrieren konnte. Aber dennoch hatte sich unter der weißbeschneiten Stille, die ich im Winter von der warmen Stube aus betrachtete, in Wahrheit eine ökologische Katastrophe abgespielt: Durch das dicke Eis drang kein Licht mehr in die Tiefe, die Pflanzen starben, den Fischen ging die Luft aus.

Ein Neustart?

„In vielen Bereichen bleibt dem Ökosystem nur der Neustart“, las ich also in der Zeitung. Neustart? Meine Fische sind tot. Mein Frosch ist tot. Und die Bild-Zeitung empfiehlt den Neustart. Leben bedeutet Sterben, und Nehmen bedeutet Geben, und der Tod ist der Sünde Sold. Schon klar. Aber warum meine Fische? Haben auch sie gesündigt? Warum ereilt der Tod auch sie?

Im ersten Garten der Geschichte, dem Paradies, starben die Tiere eigentlich nicht. Der Tod hatte an diesem Ort der Vollkommenheit keinen Zutritt. Andererseits verstand es sich von selbst, dass die wahre Unsterblichkeit Adam und Eva – den Ebenbildern Gottes – vorbehalten bleiben musste, die sie bekanntlich mit dem Sündefall verspielten. Augustinus schlug darum vor, dass die Tiere – „wenn das äußerste Alter ihre Auflösung mit sich gebracht
hätte“ – „sich in dem Gefühl ihres herannahenden Todes von dort entfernt hätten, damit nur ja kein Lebenwesen am Ort des Lebens den Tod erleide.“

Die Kinder sind weniger sentimental

Das war sehr taktvoll von den Tieren und ich wünschte mir, meine Fische hätten es ähnlich gehalten. So aber überließ ich das nun folgende traurige Werk meinen Kindern. Sie sind eindeutig weniger sentimental als ich. Wir hoben ein Loch aus, dort, wo auch die Meerschweinchen liegen. Wir begruben Fische und Frosch gemeinsam und pflanzten ein Kreuz aus Weidenholz auf das Grab.

Vielleicht stelle ich eines Tages noch einen kleinen Grabstein dazu und schreibe darauf die Zeilen aus dem Brecht-Gedicht: „Und der Himmel war abends dunkel wie Rauch / Und hielt nachts mit den Sternen das Licht in Schwebe. / Aber früh war er hell, dass es auch / Noch für sie Morgen und Abend gebe.“

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Geschrieben von

Jakob Augstein

Journalist und Gärtner in Berlin

Jakob Augstein

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