Wir lieben Kinder nicht nur, wir sind wie sie

Hegelplatz 1 Bei Bälgern und Briten kommt man mit Vernunft allein nicht weit, weiß Jakob Augstein
Ausgabe 06/2019
Für den Planeten wäre die alte Grönemeyer-Forderung „Kinder an die Macht!“ vermutlich eine gute Sache
Für den Planeten wäre die alte Grönemeyer-Forderung „Kinder an die Macht!“ vermutlich eine gute Sache

Foto: Hanna Franzen/AFP/Getty Images

Wir hier am Hegelplatz sind wahre Experten für Achtsamkeit. Behutsam, sensibel, mitfühlend, mit einem Wort: empathisch. So sind wir. Darum lieben wir Kinder. Und es ist es bei uns kein Tadel, sondern im Gegenteil das größte Lob, wenn in einer unserer heiteren Debatten ein Kollege dem anderen ein herzliches „Du verhältst dich heute wieder kindisch“ an den Kopf wirft.

Kinder sind überraschend und originell, bis die dummen Erwachsenen sie in das Korsett ihrer Konventionen zwingen. Andererseits können Kinder über eine Konsequenz verfügen, die uns Erwachsenen abgeht. Wie die 16-jährige Greta Thunberg, die gesagt hat, sie werde so lange jeden Freitag die Schule schwänzen und vor dem Parlament in Stockholm demonstrieren, bis Schweden das Pariser Klimaabkommen erfüllt: „Wann das so weit ist, weiß ich nicht. Vielleicht dauert es noch Jahre, vielleicht wird es nie geschehen. Aber ich werde mich immer wieder dafür einsetzen. Darauf kommt es an.“

Man sieht: Aus Sicht des Planeten wäre es wahrscheinlich eine gute Sache, wenn die alte Grönemeyer-Forderung erfüllt würde: „Kinder an die Macht!“ Aber aus Sicht des durchschnittlichen Erwachsenen kann die Kraft der Kinder manchmal unheimlich sein. Darum gibt es dann einen Film wie Das Dorf der Verdammten, in dem sich außerirdisch manipulierte Kinder daranmachen, die Weltherrschaft zu übernehmen, bis die Erwachsenen sie mit Atombomben und anderen Sprengkörpern um die Ecke bringen.

Aber meistens sind Kinder einfach herzig. Zum Beispiel, wenn sie ihre Eltern erpressen. Da heißt es dann: „Du wirst schon sehen, was du davon hast …“ – und dann kommt meistens „wenn ich tot bin“ oder so. Es ist eben kennzeichnend für das Verhältnis von Eltern und Kindern, dass die Kinder wissen, dass die Eltern sie nicht tot sehen wollen und dass die Eltern wissen, dass die Kinder das wissen und dass darum am Ende immer alles gut wird.

Es ist schön, wenn auch Erwachsene noch das Kind in sich bewahrt haben. Schon Goethe sagte ja: „Nur wer erwachsen wird und ein Kind bleibt, ist ein Mensch.“ Oder war das Erich Kästner? Egal, wir sind eher kinderlieb als gebildet. Jedenfalls sind nach dieser Regel die Engländer die besten Menschen. Denn die kindischsten sind sie bestimmt. Der durchschnittliche Engländer sagt ja: „Ihr werdet schon sehen, was ihr davon habt …“ – und dann kommt „wenn wir aus der EU austreten.“ Wenn es nur nach der Vernunft ginge, müsste man natürlich antworten: „Nein, ihr werdet sehen, was ihr davon habt – nämlich, dass ihr dann ziemlich am Arsch seid und wir nicht.“ Aber im Umgang mit Kindern und Engländern zählt nur die Liebe, nicht die Vernunft.

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Geschrieben von

Jakob Augstein

Journalist und Gärtner in Berlin

Jakob Augstein

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