Wo bleibt nur das Wasser?

Gärtner Der Teich bringt den Gärtner langsam um den Verstand, weil das Wasser immer verschwindet. Zumindest lernt der Gärtner aber so viel über Kapillarkräfte und trinkende Bäume

Liebe Gartenfreunde, mein Teich bringt mich um den Verstand. Im Ernst. Es ist ein Elend. Er verliert Wasser. Immer noch und zwar nicht zu knapp. Ich habe Ihnen hier einmal die beiden denkbaren Erklärungen für diesen bedauerlichen Umstand skizziert: Löcher und Kapillarkräfte. Die Gärtner, denen ich leichtfertig den Bau meines Teichs anvertraut habe, hielten es für eine gute Idee, die Folie mit vermörtelten Steinen zu belegen. Das sieht toll aus. Birgt aber das Risiko von Beschädigungen. Ich hätte mir das vorher denken müssen. Aber ich bin so vertrauensselig.

Außerdem hatten die Gärtner ja Vliesmaterial zum Schutz der Folie eingearbeitet. Das Vlies nun führt seinerseits zu neuen Problemen: Kapillarkräfte. Das ist eine lustige Laune der Natur. Flüssigkeiten wandern entgegen der Schwerkraft in dünnen Röhren und Spalten, in Hohlräumen aller Art, wenn sie nur fein genug sind, nach oben. Das kann sich jeder Gärtner mit dieser hand­lichen Formel ganz leicht selber ausrechnen: Die Steighöhe ist gleich dem Quotienten aus dem Produkt von 1,4 und zehn hoch minus fünf Meter im Quadrat und dem Radius.

Anders gesagt: Je kleiner der Durchmesser einer Röhre, desto größer sind der Kapillardruck und die Steighöhe. Eine Kapillare mit einem Radius von 0,1 Millimeter lässt das Wasser um 14 Zentimeter steigen, 1 Mikrometer Durchmesser zieht das Wasser um 14 Meter nach oben.

Jedenfalls entfalten diese Kräfte eine unerwartet starke Wirkung: Sie können den halben Teich leersaugen. Einfach so. Man muss sich klarmachen, dass Bäume auf diese Weise Wasser in große Höhen bringen. Sie machen sich auch den Sog des verdunstenden Wasser zunutze und den osmotischen Druck, der von den Wurzeln ausgeht. Wenn man das alles zusammenzählt, dann kann ein Baum Wasser bis auf 130 Meter Höhe transportieren. Höher kann auf dieser Welt keine Pflanze werden.

Über das Trinken der Bäume hat Helmut Schreier in seinem dendrologischen Klassiker ­Bäume – Streifzüge durch eine unbekannte Welt geschrieben: „In einer regnerischen Mainacht im Jahr 1992 hörte ich, wie der Baum trank. Ich presste mein Ohr an den Stamm und vernahm sein Saugen, sein Pumpen, Schmatzen und Schlürfen ... Wir gingen von Baum zu Baum, um unsere Ohren an die Stämme zu halten und verschiedene ­Saufmuster herauszuhören. Am lautesten schmatzten die Birken, aber am Ende fand ich die Kiefer am interessantesten, ihr ziehendes Schlürfen, ihr klingendes Rauschen, ihr zischendes ­Knistern.“

Schreier gesteht, dass es ihm nach jener Nacht nie wieder ­gelang, den Bäumen beim Trinken zuzuhören. Aber immerhin.

Was jetzt mit meinem Teich ­geschieht? Ich habe die Zusammenarbeit mit den Gärtnern beendet. Sehr traurig. Nach all den Jahren. Und alles muss neu gemacht werden. Von Grund auf.

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Geschrieben von

Jakob Augstein

Journalist und Gärtner in Berlin

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