Baumschulen-Einmaleins

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Zeitig genug in die Baumschule gegangen, den Baumschulenweg, in die Schule der Tollkirsche zuerst, dann bot sich das weit ausladende Geäst eines Apfelbaums an, auf unserem Grundstück, das nah genug an Schulen ganz anderer Art gelegen, der Haft-, der Landesnervenheilanstalt, an der von letzterer betriebenen Gärtnerei mit den Winterapfelsorten (da lagen die Nerven blank).

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Also zeitig genug in die Baumschule gegangen, umhegt und ein zartes Astwerk entwickelt, Triebe, von denen manche arg beschnitten, andere ins uferlose geschossen, wie die der Weiden in der Siedlung jenseits unserer Einfriedung, deren Zweige ins Bachwasser wiesen ...

Und dann die erste öffentliche Ziehanstalt, die ich wachen Auges passierte, an der Einmündung der Straße des 18. Oktober in die Phillip-Rosenthal-Straße in L. gelegen, die Baumschule hatte die Geländespitze zwischen den beiden Straßen inne - diese erste Baumschule war noch ohne Alphabet, wenn man von der großen Tafel über der Pforte an der Spitze des Grundstücks absah.

Der Inhaber dieser Schule privat, auf der umzäunten Fläche Nadelgehölze, kniehoch, die über die Jahre, da ich das Areal alltäglich tangierte, auch nicht an Höhe zu gewinnen schienen, wiewohl ich selbst ein zögerliches Wachstum zu verzeichnen hatte. Auf dem Gelände war ein zierliches Holzhaus errichtet worden, quadratisch und mit Fenstern zu jeder Seite - ein Haus, in dem ich hätte wohnen mögen; nie habe ich dort jemand ein oder ausgehen sehen, so oft ich auch durch den Maschendraht hindurch das Ganze beobachtete.

Die Baumschüler harrten aus, gleich uns in den Bänken in der Schule, die nur wenige hundert Meter entfernt, in der wir lernten, uns selbst zu beschneiden und ein wohlproportioniertes Astwerk auszubilden - man schwärmte zu dieser Zeit von der Zweckmäßigkeit der Kugelgestalt ... Wir waren vom selben Stamm, und über Jahre hin schien nichts vorwärts zu gehen, immer dieselben Lehrer, dieselben Orte, dasselbe Alphabet. Wir drehten uns im Kreise und übten das Stillstehen, Exkursionen führten uns an die Baumgrenze, die Grenze des Verstands, wo das Erdreich ausgehoben und abgetragen, wir der ältesten Vorgängerpopulationen ansichtig wurden, sie bildeten am Rand, an der Schnittkante des Braunkohlentagebaues ein mäanderndes Band.

Tannen also auf dem Grundstück, und ein Kiesweg, der zum Häuschen führte, das innen licht, das Herz dieser Schule, das offenbar zum Stillstand gekommen. Doch der Rasen immer gepflegt, rings um die Tannen, die vielleicht ihr Wachstum eingestellt oder ihre Kräfte sammelten, um in den Grund vorzustoßen. Auf dem Grundstück herrschte trotz allem eine nimmermüde Heiterkeit, wenn ich im Straßenbahnwagen daran vorbeifuhr, eine Heiterkeit, nach der sich das Baumschülerherz sehnte ...

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Geschrieben von

jayne

beobachterin des (medien-) alltags

jayne

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