Dem Tod in die Augen sehen

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Neulich habe ich dem Tod in die Augen gesehen, dem Tod in den Augen einer Frau, die auf einer fahrbaren Trage vom Krankenwagen in die Seniorenresidenz zurücktransportiert wurde, über die Straße, auf dem Rücken liegend - sie lag reglos da, leblos, wie mir schien, das Gesicht weiß, verhärmt, und die Augen mochten in die Himmel starren ...

In jenem Viertel, in dem dies passierte und das ich wöchentlich einmal aufsuche, eines Arzttermins wegen, in einer Praxis an der stark befahrenen Straße, scheint es nur noch Alte zu geben, und in diesem nur findet Ausdruck, was sich wohl auch schon in mir festgesetzt, sich tief eingegraben: daß das Alter letztendlich eine Schande, etwas, dessen man sich schämen muß.

Wenn von alten Menschen gesprochen wird, sei es in den Medien oder in politischen Debatten, dann fast auschließlich in ihrer Eigenschaft als Empfänger von Kassenleistungen, Renten-, Pflege- und Krankenkasse, als Kostgänger - als jene indes, die den gegenwärtigen Reichtum in unserem Lande mitgeschaffen haben, erscheinen sie nicht.

Rentnerschwemme hieß es bereits in den 90er Jahren, als das erste Mal eine demographische Debatte aufgemacht wurde, und ich mußte unwillkürlich an Schwamm denken, den, der sich in vielen der unsanierten Häuser festgesetzt ... Und weiter drehte sich das Rad: drohende Vergreisung, Rentenanpassung, Nullrunden, Altenrepublik ...

Bis zu den Szenarien, die uns Anfang 2007 auf dem Höhepunkt der wiederbelebten Rede vom Demographischen Wandel präsentiert, die Ängste, die damit geschürt wurden, als gäbe es keinen technischen Fortschritt, der immer wieder für die Steigerung der Arbeitseffektivität sorgt. Neu war, daß diese auch mittels der Medien inszenierten Schreckensszenarien geeignet waren, den Keim einer Feindseligkeit zwischen die Generationen zu legen.

Die Alten lebten auf Kosten der Jungen, hieß es da, und diese müßten immer mehr für die Renten der alten Leute schuften ... Mich überkommt die Scham und so etwas wie Beschämung, wenn ich all die Alten sehe, in diesem Viertel, die vormittags ihre Wege erledigen, in ihrer auffällig unauffälligen Kleidung, vorherrschend in den Tönungen blaßblau, hellbraun und beige, selbst schon nahe am Renteneintrittsalter ...

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Geschrieben von

jayne

beobachterin des (medien-) alltags

jayne

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