Der lange Abschied oder Schäubles Geheimtinte

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Meine letzte Schäublette

Womöglich haben wir ihn immer zu Unrecht verdächtigt, uns Übel zu wollen, vielleicht ist er im Kern ja ein „herzensguter“ Mann, ein Vater, dem gleich des Heiligen im fernen Rom (ja, Schäubles Faible für das Heilige Römische Reich, schon seit früher Jugend) nur eines am Herzen liegt, unsere innere Sicherheit, unser Seelenheil – In den letzten Wochen und auch jüngst gelegentlich seines Besuchs der evangelischen Zukunftswerkstatt hat er uns seine Besorgnis diesbezüglich immer wieder offenbart, angesichts einer Jugend beispielsweise, die heuer mehr dem Rausche des Weltweit-Webs hingegeben als dem Nikotin oder wie wir damals Anfang der siebziger Jahre einem Getränk namens Schweppes (wer kennt das heute noch?). In einer Zeit, da sich der spätere Innenminister gerade seine ersten politischen Sporen verdiente, als Mitglied der Jungen Union und Vorsitzender des berüchtigten RCDS*, deren Vertreter heutzutage u.a. die Rente mit 70 favorisieren (Mißfelder). Aber Zukunft und Schäuble lassen sich nur schwer in einen kausalen Zusammenhang bringen, im positiven Sinne, und so trat er denn auf der Zukunftswerkstatt auch eher als Mahner vor der Grenzen- und Gesetzlosigkeit des Netzes auf, denn als Apostel informellen Selbstbestimmungsrechts. Sicherheit firmiert bei ihm ganz klar vor Freiheit, so war es auch auf seinem Plakat zu lesen. Na ja, ein Pirat ist er eben nicht, oder doch?

Als der promovierte Steuersachverwalter 1972 in den Bundestag einzog, hatte man von ihm noch kaum gehört, vermochten ihm die 68er Schmuddelkinder oder ein gewisser Herr Guillaume in Sachen Aufmerksamkeit bequem den Rang abzulaufen. Letzterer bekanntermaßen als Abgesandter der Stasi, die ihre Vorgänge zu dieser Zeit analog mit Kerblochkarten archivierte. Und vor allem war es die RAF, die vielleicht der eigentliche Grund, weshalb Schäuble schlecht auf alles zu sprechen ist, was auch nur einen terroristischen Hintergrund vermuten läßt.

Jetzt wäre es aber mal an der Zeit, die thematische Bandbreite des Bundes-Innenministers zu würdigen, schließlich pflegt der Mann ja nicht nur seine eigenen Hobbys, als da wären Vorratsdatenspeicherung, Bundeswehr im Innern, BKA-Gesetz (alles noch im Stadium ewiger Herumbastelei), und auch nicht nur seine seherischen Begabungen in Bezug auf die abstrakte Bedrohungslage. Zuallererst ist er oberster Dienstherr für das Heer der Bediensteten im Öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen, und da gilt es Tarifverhandlungen zu führen oder den Vermittler zu spielen. Auch muß er sich um die einheimischen Islamisten (Sauerland-Buben) und deren familiären Hintergrund kümmern, den von christlich-abendländischen Werten durchwaberten interkulturellen Dialog, oder einen Güterzugtunnel für die Ortenau – Ja, richtig gehört: Güterzugtunnel, weil der zuständige Kollege namens Tiefensee scheinbar schon in höhere Regionen abgetaucht ist ... Zudem fungiert der Innen- auch als Sportminister und als Minister für die Verfassung (letzteres Originalzitat Schäuble). All die Dopingskandale, im Rennsport vorzugsweise, die ihm das Bier sauer werden ließen – Überdies vergeht kein Tag, an dem Schäuble nicht mit irgendeiner Meldung in den einschlägigen Blättern oder den Top-News präsent ist. Wie macht er das bloß, wie hält er das Interesse an seiner Person am Kochen?

Bei all dem bürgerschaftlichen Engagement scheint dennoch seine Fangemeinde allmählich dahinzuschmelzen. Zwar gewinnt er in seinem Wahlkreis Offenburg im Ländle noch jedes Mandat, aber die Säle, in denen er auftritt, bleiben halb leer. Und konnte er bei der Bundestagswahl 2002 noch auf 52% Erststimmen verweisen und 2005 auf 50%, so waren es diesmal nur 47%, die sich hinreißen ließen ... Dabei ist er immer noch der couragierteste Vertreter der Freiheitsrechte: „Ich bin konsequent für den Schutz der Freiheit und der Sicherheit der Bürger“ gab er kürzlich der Badischen Zeitung kund.

Wir wissen indes noch nicht, wohin es Schäuble verschlagen wird, auch ein Grund, weshalb ich hier ganz sentimental Rückschau halte – ich hätte nicht gedacht, daß er mir eines Tages fehlen könnte, dieser Herr, der zudem am selben Tage wie ich Geburtstag hat. Zunächst hieß es, er würde auf einen Vorposten der EU in der Wallonie abgeschoben, wo man dann nichts mehr von ihm hört, den Architekten der inneren Sicherheit. Aber dies ist ja mittlerweile vom Tisch, und er wird vermutlich ein weiteres Mal im Innendienst eingesetzt. Denn er hat noch Großes vor. Die Erweiterung der Befugnisse für den Verfassungsschutz etwa, da das mit dem BKA nicht hundertprozentig geklappt hat. Der Verfassungsschutz übernimmt polizeiliche Aufgaben, darf observieren, Lausch- und Spähangriffe führen, Computer vor Ort durchsuchen – der Junge bleibt am Ball, sportiv wie er ist, und verrät uns nicht mal, mit was er sich dopt. Die CDU-Innenminister der Länder ziehen derweil fleißig mit, in der Koalitionsvereinbarung zwischen CDU und FDP in Sachsen heißt es beispielsweise: „Zur Bekämpfung des Extremismus benötigen wir umfassende Erkenntnisse über die Feinde von Freiheit und Demokratie. Der Landesverfassungsschutz hat hier seine Kernaufgabe. Wir werden das Verfassungsschutzgesetz weiterentwickeln und den Verfassungsschutz in seinen Kernkompetenzen stärken.“ Daran scheint sich die FDP zumindest im Freistaat nicht zu stören. Entsprechende länderübergreifende Entwürfe hält Schäubles Ministerium jedenfalls schon parat, auch wenn der Hausherr vorgibt, nichts davon zu wissen, von den Plänen für eine Geheimpolizei – wie äußerte er im Vorhinein der Koalitionsverhandlungen mit der FDP: „Unsere Handschrift wird also deutlich zu sehen sein.“

*RCDS: Ring Christlich-Demokratischer Studenten

Dieser Beitrag ist zuerst in der Print-Ausgabe von Sachsens Linke 10/2009 erschienen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

jayne

beobachterin des (medien-) alltags

jayne

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden