Es ist das London des Jahres 1944, in dem der Roman einsetzt, die deutschen Truppen liefern sich an allen Fronten Rückzugsgefechte, doch das NS-Regime dreht weiter an der Spirale von Massenmord und Zerstörung.
London und die südenglische Küste bilden das eine Ende der Parabel, als die der Flug einer V2 beschrieben werden kann. Jener als Vergeltungs- und Wunderwaffe apostrophierten Rakete, die vor allem psychologische Wirkungen entfaltete. Denn im Gegensatz zur V1, mit der auch London zuvor traktiert worden war, machte die Fluggeschwindigkeit des neuen Geschosses jegliche Vorwarnung oder Abwehr unmöglich. Es brauchte nur fünf Minuten bis ins Zielgebiet, schlug unvermittelt irgendwo in der Stadt ein, und wenn man den Knall vom Überschall hörte, war alles schon vorbei ...
Das andere Ende der Parabel läßt sich dort verorten, wo die Raketen entwickelt, hergestellt und abgefeuert wurden. Mobile Startrampen waren in von den Deutschen besetzten Gebieten auf dem Festland stationiert, z.B. in Den Haag. Entwicklung, Testgelände und Produktion befanden sich in Peenemünde und im KZ Dora-Mittelbau bei Nordhausen. Dort sind bei der Herstellung der Rakete mehr Menschen umgekommen, als es Opfer in deren Einsatzgebieten gegeben hat. Die Bedingungen für die Häftlinge in diesem Lager waren nicht besser als in jeden anderen KZ.
Aber Die Enden der Parabel ist kein "Raketenroman", auch wenn Evakuierungen und das Erscheinen einer V2 am Horizont das Eingangsszenario bilden, in dem wir einer der Hauptgestalten des Romans begegnen, Pirat, der mit seiner Aufklärereinheit in einem heruntergekommenen Gebäude campiert. Die pikanten Bananenfrühstücke, die er mitten im Krieg für seine Kombattanten als schwelgerische Akte zelebriert, sind Legende.
Pirat entdeckt das Geschoß in dem Augenblick, als er sich anschickt, in seinem Gewächshaus auf dem Dach des Gebäudes die Bananen fürs Frühstück zu ernten. Die Rakete könnte genau an dieser Stelle einschlagen, doch er bemerkt nur sarkastisch: Wir bekommen Post ... Was hier in der Spannung zwischen Angst und ekstatischem Lebensgefühl abläuft, könnte indes auch als Parabel bezeichnet werden ...
Der Text ist ein Teil des Projekts Wir lesen gemeinsam Thomas Pynchons "Die Enden der Parabel".
Kommentare 8
Vielen Dank für die Ortsbeschreibung, liebe Jayne. Könnte helfen. Im Moment geht es mir noch so, dass immer wenn ich etwas zu fassen kriege und denke, okay, dem kann ich jetzt folgen, das Buch wieder um die Ecke biegt und abschweift. mal sehen , ob das so bleibt. Und mal sehen, ob sich meine Haltung dazu verändert. Die Grundvoraussetzung um dran zu bleiben ist zumindest vorhanden: Ich mag die Sprache.
Die Ortbeschreibung erinnert mich daran, wie ich meine Mutter, die in Nordhausen groß geworden ist und neun Jahre als der Krieg zu Ende war, einmal fragte, ob sie etwas von dem Konzentrationslager gewusst habe. Sie sagte, ihre Mutter habe davon gewusst, sie und ihre Geschwister wussten nur, dass es da etwas gibt, worüber man nicht spricht.
Das ist eine schön strukturierte hilfreiche Einführung. Danke Dir.
"Im Moment geht es mir noch so, dass immer wenn ich etwas zu fassen kriege und denke, okay, dem kann ich jetzt folgen, das Buch wieder um die Ecke biegt und abschweift." - Ja, das ist Pynchon. Mir ist das mit "Mason Dixon" so ergangen. Den Klopper habe ich 2 Jahre nach Erwerb dann endlich in einem Urlaub in Ruhe (und tagsüber) von Anfang bis Ende durchlesen können. Für abends im Bett ist dat nix...
auch merci!
@all: freue mich, wenn der text als kleiner einstieg funktioniert - der assoziationsreichtum des romans ist verwirrend, man weiß rasch nicht, wo man sich befindet, wenn man zu große pausen beim lesen läßt oder nicht voll dabei ist, und zum andern macht das ein stück weit auch seinen reiz aus ...
Danke liebe Jayne!
Liebe jayne,
vielen Dank dafür, dass Du angefangen hast, das Ganze auf zwei gesunde Füße zu stellen. Auch toll geschrieben.
Ein Hammer auch der Schlusssatz von der Spannung zwischen Angst und ekstatischem Lebensgefühl!
Wirklich toll!
Herzliche Grüße
rr
Danke jayne,
mal etwas über die Geschichte selbst zu erfahren, hat etwas Handfestes. Und der haptische Moment ist ja nun nicht zu unterschätzen.
Hoffentlich erfahre ich als Mitleser auch weiterhin Inhaltliches, denn ohne gehen die Erklärungen drum herum nämlich ziemlich ins Leere.