Als ich Pynchons Roman zu lesen begann, mußte ich unvermittelt an Zonen denken, statt an Räume, in denen sich das Geschehen entwickelt. Mit dem Begriff der Zone bin ich groß geworden, wir lebten in einem Staatsgebilde, das von Vielen einfach nur Zone genannt wurde, auch von Leuten, die selbst in ihr lebten, im besten Sächsisch, und noch in den sechziger Jahren sollten in ihr großflächig Flugblätter niedergehen, die mit dem Kürzel SBZ versehen waren. Es gab Sperr- und Sonderzonen, und der Westen bezeichnete seine Grenzregionen als Zonenrandgebiet. Der Begriff Zone imaginierte unwirtliche Gebiete, Gefährdungen besonderer Art ...
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Mir war vorher nicht bewußt, wie sehr Tarkowskis Stalker, Aitmatows Ein Tag zieht den Jahrhundertweg und Pynchons Parabel in Beziehung miteinander stehen, ohne behaupten zu wollen, Tarkowski oder Aitmatow hätten die Parabel gekannt oder sich von ihr inspirieren lassen. Doch mag man wohl kaum von Zufall sprechen - in den drei Werken spielen Räume eine Rolle, die als Zonen bezeichnet werden können, was dem Erfahrungshorizont des 20. Jahrhundert geschuldet ist.
In Aitmatows Roman und Tarkowskis Film geht es jeweils um eine Wirklichkeit, die befremdlich, kaum einzuschätzen ist, um Zonen, die kontrolliert werden, kontrolliert, weil alles in ihnen außer Kontrolle geraten ist. Es geht um Geschehnisse und Entwicklungen, für die Vergleichbares nicht existiert, weshalb sich die Agierenden in die Zonen vorantasten müssen, in Gefilde, die unwirtlich geworden. Was passiert da draußen? Was passiert mit uns? Sie suchen nach Antworten, versuchen sich mit dieser Wirklichkeit ins Verhältnis zu setzen, müssen erfahren, daß nichts mehr stimmt ...
Pynchons Räume erinnern mich wie die von Stalker an Aitmatows fernen Planeten Waldesbrust, auf dem sich Abgesandte der Erde wiederfinden. Dort scheint alles unter Kontrolle, selbst das Klima wird reguliert, und doch geht im Innern dieses Planeten etwas vonstatten, das für dessen Bewohner unerklärlich und unbeeinflußbar, dem sie weitgehend ohnmächtig gegenüberstehen. Dieses Phänomen nennen sie Inneres Ausdorren, und es macht Region um Region des Planeten unbewohnbar, läßt es zur Wüste werden.
Phänomene, die uns nicht unvertraut, uns Kindern des 20. und 21. Jahrhundert - noch nie waren Menschen z.B. mit solch einer Vielzahl von Wettererscheinungen konfrontiert, die letztlich auf menschliches Agieren zurückzuführen sind, Überschwemmungen, Tornados, Dürreperioden ... Ganz abgesehen von den Zonen, die Ausdruck von Menschenhand organisierter und reproduzierter Unwirtlichkeit sind ...
Der Text ist ein Teil des Projekts Wir lesen gemeinsam Thomas Pynchons "Die Enden der Parabel".
Kommentare 9
hallo jayne, ich bin auch in der zone aufgewachsen und kann es nachempfinden, was du schreibst. die verbindung zu tarkowski und aitmatow habe ich bisher nicht gesaehen, doch je länger ich darüber nachdenke...
ich danke dir für diese anregungen :)
Lieber jayne,
ziemlich anrgegender Blog auch für mich!
"Wow", kam es mir beim Lesen!
Deine Gedanken haben ziemlich mitreißend (und hoffentlich auch mitreisend in all die Zonen) auf mich gewirkt!
Vielen Dank für Deinen Blog.
Ich bin da ziemlich angetan davon , was da da als literarisch versierte Frau zusammen trägst.
Bei uns waren sie in dieser Hinsicht eher konservativ und haben noch ganz lange Zone gesagt und geschimpft als Bild mit der DDR in Ausrufungszeichen angefangen hat, dass Bild überhaupt den Begriff DDR aufgenommen hat. Aber das ist Jahrtausende her, oder ? :)
rr
danke, lieber rr und rolf netzmann, heute morgen hatte ich den eindruck, daß diese drei werke so eine art magisches dreieck bilden, in dem wir uns erkundend bewegen ...
Zum Begriff der Zone möchte ich doch meine persönliche Meinung kundtun:
In Ansbach gab es früher ein Denkmal am Bahnhof: Eine Miniatur Mauer mit Stacheldraht. Irgendwo Stand an diesem Teil: "Denkt an Berlin!" Dass also Leute aus Bayern, wo die Kinder den Antikommunismus mit der Muttermilch aufsogen, von der "ZONE" sprachen hat mich nie gewundert. Von der Zone sprachen bei uns im West-Deutschland ohnehin nur noch Revanchisten und/oder CDU/CSUler von der "Stahlhelmfraktion". Ich habe Verwandtschaft in Mecklenburg/Vorpommern, Menschen die nie in der SED gewesen sind und selbst diese sprechen heute noch von der DDR und nicht von der „Zone“, oder „Ostzone“, und ich habe seit der Wende noch nie von einem ehemaligen DDR Bürger gehört: dass er -auf sein Heimat und Herkunft zurückblickend- sagte, er habe in der „Zone“ gelebt, nicht mal Hubertus Knabe (aber der ist ja auch nur „gefühltes“ Stasi-Opfer) Selbst wenn ich Wolfgang Leonhards "Die Revolution frisst ihre Kinder" mit dem heutigen Kenntnisstand über die DDR verbinde und Berücksichtige, kann ich nur sagen: Wer von der SBZ spricht, von der „Zone“, von der „Ostzone“, der wendet sich in Richtung Geschichtsrevisionismus, denn die DDR war mehr als ein von den Russen besetztes Gebiet.
Hätten sich nicht Brandt und seine SPD mit ihrer Entspannungspolitik durchgesetzt, sondern diejenigen diese SPD-Politiker als „Vaterlandesverräter“ für diese Politik der friedlichen Koexistenz beschimpften, also Strauß, Kohl und Co, dann hätte es vielleicht in der "Zone" was anderes als Flugblätter geregnet.
nach ende der ddr habe ich den begriff zone von seiten ddr-bürger auch nicht mehr vernommen, aber in den 60er/70er jahren schon, und auf diesen zeitraum bezieht sich ja der erste absatz meines textes - gut, das sind eben unterschiedliche erfahrungen ...
"nach ende der ddr habe ich den begriff zone von seiten ddr-bürger auch nicht mehr vernommen"
Das ist nun eindeutig falsch. Bis heute wird der Begriff in Bezug auf die DDR verwendet.
aber seltener von ehemaligen ddr-bürgern ...
ich danke auch sehr spaet für diesen bericht, jayne. es ist schwer genug, mehr als wiederzuerzaehlen. bin mit meiner lektüre ja erst auf seite 118, aber immer mehr denke ich, dass in dem klischeehaften ausdruck "der wahnsinn des krieges" das wort "wahnsinn" vielleicht net wörtlich genug genommen werden kann? will pynchon eine stimmung der paranoia widergeben? von aitmatov kenne ich leider nicht viel und von tarkowski auch net.. :-(
@wana: "In Ansbach gab es früher ein Denkmal am Bahnhof". Auch in Marburg gab es Wegweiser: Breslau soundsoviele Kilometer, etc. Musste auch an unsern (im übrigen aber sehr weisen) Literaturlehrer denken, der einmal im Tran sagte: Wolfram von Eschenbach wurde bei Ansbach von einem Panzer überrollt... :-))
"wahnsinn" trifft es gut, und man muß wohl einen nerv dafür haben ...