"Die SPD ist nicht da, um als Partei da zu sein" oder Der Tag danach

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Eindrücke vom Bundesparteitag der SPD in Dresden, nach dem Erscheinen des Erzengels Gabriel

Dem zweiten Tag war ein ruhigerer Beginn beschieden, für etwas Aufsehen vor dem Haupteingang zum Messegelände sorgte nur eine Gruppe der Linksjugend "solid" (Die Linke), die einen Offenen Brief an die Delegierten der SPD verteilen wollte. Dort heißt es: "Als Teil einer Generation, die in den kommenden Jahren und Jahrzehnten die politische Landschaft mitgestalten will, fordern wir die SPD - und insbesondere die Mitglieder der Jusos - auf, sich endlich für eine sozial gerechtere Gesellschaft einzusetzen und die ideologischen, personellen und inhaltlichen Vorbehalte gegenüber Menschen, die links von der SPD eine politische Heimat gefunden haben, fallen zu lassen. Denn eines haben die Ergebnisse dieses Wahljahres mehr als deutlich gezeigt: Nur zusammen haben wir die Kraft, dieses Land zu verbessern!" Sie versuchten auch dem gerade eintreffenden Kurt Beck ein Exemplar zuzustecken, doch der winkte ab und rief "lernt erst einmal Politik!"

Der Saal zeigte sich gegen 9.00 Uhr noch kaum gefüllt, und so konnte ich die Zeit nutzen, um die dem Plenum vorgelagerte Ausstellungshalle zu besichtigen. Neben den Ständen verschiedener Kreisverbände, Arbeitsgemeinschaften und Initiativen der SPD waren auch die Präsentationen diverser Unternehmen und Verbände zu finden. Bertelsmann-Stiftung und BDI, Phillip Morris, PKV und Audi in Eintracht mit Friedrich-Ebert-Stiftung, AWO oder der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen, und die Sparkasse schenkte Kaffee aus, in roten Bechern ...

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Mit Spannung hatte ich die Rede des Fraktionsvorsitzenden Frank-Walter Steinmeier und die sich anschließende Aussprache erwartet - Aber hier zeigte anscheinend das vorabendliche Erscheinen des einenden Erzengels schon Wirkung, denn von Widerspruch war in der Aussprache nur wenig zu spüren, ganze zwei Delegierte beteiligten sich daran. Dabei hatte Steinmeier genug Angriffsflächen geboten, z.B. in Bezug Arbeitsmarktpolitik. Er geiselte die dauerhafte Spaltung der Arbeitnehmerschaft in solche, die von ihrer Arbeit leben können und jene, die mit Niedriglöhnen abgespeist werden und am Monatsende noch aufs Amt müssen. Am Vortag wären die Reaktionen seitens der Delegierten darauf wohl harrscher ausgefallen, denn da hatten bei anderer Gelegenheit viele der Redner klargestellt, daß die SPD die Mitverantwortung für die Ausweitung der Leiharbeitsverhältnisse als auch des Niedriglohnsektors während ihrer Regierungszeit trägt und dies auch deutlich benannt werden sollte.

Doch nun schien die Zeit zurückgedreht oder der von den Delegierten initiierten Analyse die "Spitze" genommen, und Steinmeier konnte das ganze Spektrum künftiger Oppositionspolitik ausbreiten, ohne kritische Nachfragen fürchten zu müssen. Auf Versäumnisse und Fehler während der rot-grünen und schwarz-roten Regierungszeit ging er nicht ein, so war es ein Leichtes, einen Forderungskatalog an die schwarz-gelbe Koalition aufzumachen, dem man selbst in der Regierungsverantwortung nur ansatzweise entsprochen. Beispielsweise in Sachen Mindestlohn - entsprechende Anträge der Opposition zu einem flächendeckenden Mindestlohn sind in der Vergangenheit stets auch von der SPD abgeledert worden. Steinmeier leistete eine gründliche Kritik des schwarz-gelben Koalitionspapiers und der ersten Schritte der neuen Regierung (Wachstumsbeschleunigungsgesetz), aber ohne kritische Sichtung der eigenen Regierungstätigkeit erscheint das nur wenig glaubwürdig. Wie formulierte gestern Christian Reinke aus Mecklenburg-Vorpommern in Bezug auf die Rolle der SPD bei der Teilprivatisierung der Rentenversicherung: "Wer die gesetzliche Rente teilprivatisiert, kann nicht mehr glaubwürdig gegen die Privatisierung in anderen Bereichen der sozialen Sicherungssysteme auftreten."

Nur während der Debatte zum Leitantrag sollte der kritische Geist vom Vortage noch einmal aufscheinen, ein Delegierter betonte, der Bundesparteitag solle den Anfang und nicht das Ende der notwendigen Debatte bilden, und das müsse der Leitantrag auch ausdrücken. Christine Nägele aus Bayern merkte an, daß der Antrag zu undeutlich in Bezug auf die Fehler der SPD in ihrer Regierungszeit ausformuliert sei und nannte in diesem Zusammenhang Leiharbeit, Hedge-Fonds, die Reduzierung der Leistungen im Gesundheitswesen. Dem Abstimmungsverhalten in Sachen Initiativantrag Nr. 11 zum Leitantrag, von dem nur der erste Absatz von der Antragskommission übernommen worden ist, was mehrere Redner scharf kritisierten, wird entscheidende Bedeutung für einen Neuanfang der SPD beigemessen, zumindest von großen Teilen der Delegierten. Denn gerade in den nicht übernommenen Absätzen 2 und 3 findet sich die Kritik an den politischen Entscheidungen der SPD-Führung sehr konkret formuliert.

Indes bildete das alles kein Hindernis, am frühen Nachmittag den vormaligen Vorsitzenden Müntefehring noch einmal zünftig zu feiern und mit stehenden Ovationen aus dem Vorstand zu verabschieden.

Nachtrag 17.18: Heftig auch die Auseinandersetzung um die Wiedereinführung der Vermögenssteuer, ein Antrag, der von Franziska Drohsel eingebracht wurde. Dieser Antrag ist soeben mit großer Mehrheit angenommen worden.

2. Nachtrag: Der Initiativantrag 11 ist am Abend tatsächlich nur zu einem geringen Teil angenommen worden, die Absätze 2 und 3 wurden hingegen entsprechend dem Vorschlag der Antragskommission mit deutlicher Mehrheit abgelehnt.

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Geschrieben von

jayne

beobachterin des (medien-) alltags

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