"Diese Partei verläßt man nicht, wenn es stinkt ..."

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Erste Eindrücke vom Bundesparteitag der SPD in Dresden

Schon gestern war ich kurz auf dem Dresdner Messegelände, wo der Parteitag bis Sonntag Abend über den Leitantrag und ihre neue Führungsspitze entscheiden wird, um mein Akkreditierungskärtchen abzuholen. Das Messegelände zeigte sich zünftig beflaggt, an das Equipment wurde letzte Hand angelegt. Die SPD-eigene Abteilung, die das alles koordiniert, nennt sich übrigens "Event-Managment", und so wissen wir, womit wir es die kommenden drei Tage möglicherweise zu tun haben werden ...

Der Parteitag begann fast pünktlich mit der Eröffnungsrede des SPD-Generalsekretärs Hubertus Heil, der Saal war bis auf den letzten Platz gefüllt, viele Gäste mußten sich die Rede im Stehen anhören. Heil mahnte, daß die Auseinandersetzung um die Ursachen des jüngsten Wahldebakels solidarischer geführt werden müßte als andere vergleichbare Debatten in der Vergangenheit. Den Respekt vor anderen Meinungen gelte es in der Partei erst wieder zu erarbeiten, und letztendlich sei die SPD die Summe ihrer Flügel. Dann kam er auf die versprochene Analyse zu sprechen, die (wie nicht anders zu erwarten), positiv ausfiel: Das, was die SPD in den letzten elf Regierungsjahren geleistet habe, wollte er nicht schlecht geredet wissen. Schließlich habe die SPD in Regierungsverantwortung die Gesellschaft, die die Kohl-Regierung an den Rand des Sozialstaats gefahren hätte, spürbar modernisiert, was sich in Bereichen wie z.B. Familien- und Gleichstellungspolitik niedergeschlagen habe, aber auch in Fragen der Umwelt- und Klimapolitik. Beispielhaft nannte er in diesem Zusammenhang das Erneuerebare-Energien-Gesetz. Auch außenpolitisch sah er nur Erfolge und bemühte dafür noch einmal die Haltung der rot-grünen Koalition zur Beteiligung der Bundeswehr am Irak-Einsatz. Von deren Agieren in Sachen des umstrittenen Militäreinsatzes in Ex-Jugoslavien war allerdings nichts zu hören.

Im Vorfeld des Parteitags war eine harte Analyse versprochen worden, doch weder der Generalsekretär, noch der scheidende Parteivorsitzende Franz Müntefehring, der als zweiter ans Rednerpult trat, hielten das Versprochene. Sicher, man bedauerte den Vertrauensverlust, der in der Wählerschaft und ebenso bei der Parteibasis zu verzeichnen ist, doch auch Müntefehring blieb die genaue Analyse schuldig. Aus blieb eine kritische Sichtung der Regierungszeit, stattdessen lieferte er mittels Wahlkampfrethorik eine Kampfansage gegen die schwarz-gelbe Koalition. Er sagte gute und richtige Dinge, z.B. in Bezug auf die Kontrolle der Finanzmärkte, gerechte Entlohnung oder Chancengleichheit in der Bildung, aber auf eine Kritik der unrühmlichen Rolle seiner Partei bei der Deregulierung der Finanzmärkte wartete man vergebens. Müntefehring räumte zwar ein, daß die SPD ihre Niederlage selbst mitverschuldet habe, doch ebenso habe es am "Zug der Zeit" gelegen. Für Viele seien "wir die Leute von gestern" gewesen, und für die Wählerinnen und Wählern unsere Angebote eben nicht interessant genug. Manche hätten z.B. soziale Sicherheit vermißt, andere Innovation und Gerechtigkeit. Die SPD habe das Verhältnis dieser Politikfelder zueinander nicht deutlich genug abgeklärt. Nur knapp ging Müntefehring auf die innerparteilichen Konflikte ein: Partikularisierung habe auch in der Partei Raum gewonnen, nicht nur in der Gesellschaft. "Wer eine hundertprozentige Partei haben will" so Müntefehring gegen Ende seiner Rede, "sollte keine zweite Person dazu nehmen."

Eine wirkliche und auch schonungslose Analyse sollte erst in der Aussprache geboten werden, und das gleich mit den ersten vier Rednern, beispielsweise einem Delegierten aus Bayern. Die Konstellation, die der Partei das Wahldebakel beschert habe, dürfe nicht fortgesetzt werden, betonte er in Bezug auf die Kandidaturen zum neuen Parteivorstand. Es habe in der Vergangenheit zwei verschiedene Realitäten gegeben: einerseits die der Bundesparteitage, auf denen Sachen wie Hartz IV usw. bejaht worden wären. Zum Andern die Realität "draußen im Lande", wo es keine Mehrheiten für Hartz IV, die Rente mit 67, Afghanistan-Einsatz oder die von Clement mitgeförderte Leiharbeit gegeben habe. Mit Hartz IV sei die Abstiegsangst in die Mitte der Arbeitnehmerschaft hineingetragen und eine Brandmauer eingerissen worden. Aber das habe man in der Partei nicht wahrgenommen. Als Bekenntnis zum Marktradikalismus bezeichneten etliche der Delegierten das Schröder-Blair-Papier, und die Wähler hätten die SPD für die Liberalisierung der Finanzmärkte mit verantwortlich gemacht "weil wir shareholder value mit möglich gemacht haben." Die "Agenda 2010", die maßgeblich von der Irrlehre des Neoliberalismus geprägt sei, gehöre endlich auf den Prüfstand, ebenso wie die Führung der Partei.

Sebastian Rohloff forderte Schluß mit der Basta-Politik, neue Ansätze einer Mitgliederbeteiligung in der Partei seien überfällig. Demokratie sei in der SPD zur Floskel verkommen und beschämend, wie man heutzutage Fraktionsvorsitzender wird - per Selbstausrufung. Man habe zu oft akzeptiert, daß erst von Parteivorstand oder Fraktion Entscheidungen verkündet würden, die dann im Nachhinein legitimiert werden müßten. Thematisiert wurde auch der Umgang miteinander, so seien in den letzten Jahren x Parteivorsitzende "verbraucht" worden, besonders schäbig sei man dabei mit Kurt Beck umgegangen. Alle Wechsel seit Brandt, mit Ausnahme Vogel sind, so Axel Schäfer, in unordentlicher Weise erfolgt.

Die kritischen Geister haben eindrucksvoll Front gemacht und dafür viel Beifall geerntet, und nun bleibt zu fragen, ob sich das auch in der Besetzung des Parteivorstands niederschlagen wird ...

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Geschrieben von

jayne

beobachterin des (medien-) alltags

jayne

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