Einer der Großen

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Vor zehn Jahren, am 16. Dezember 2001, starb der 1913 in Chemnitz geborene Schriftsteller Stefan Heym – von Anfang an war er mir als eine Art Methusalem der deutschsprachigen Literatur erschienen, als einer, der aus dem Unbekannten kam. Im elterlichen Bücherschrank fand sich ein Roman des Autors mit dem Titel Der Fall Glasenapp, allein schon der Name des Titelhelden dünkte dem Kind geheimnisvoll.

Da hatte Heym es wohl noch nicht bei den Oberen verschissen, in den fünfziger, anfang sechziger Jahren, der Exilant, dessen erste Werke aus dem Amerikanischen übertragen werden mußten und der über ein Vorleben verfügte, eine Vergangenheit, die einen langen Schatten warf, der dieses Leben scheinbar einhüllte, verbarg … Ich weiß nicht, ob das Kind, das ich vorstellte und das den Buchbestand der Eltern durchforschte, seitdem es Vertrauen zum Alphabet gefaßt, den Glasenapp je bis zur letzten Seite gelesen, diese Geschichte um den Tod eines Wehrmachtsoffiziers im besetzten Prag, oder es ihm eher langweilig erschienen, damals, ohne Kenntnis des Kontextes, der Bezüge.

Der Name des Autors sollte mir erst in den Endsiebzigern wieder begegnen, in Zusammenhang mit der Biermann-Ausweisung als Mitzeichner der Protesterklärung gegen die Ausbürgerung, und nach Lektüren von Hermlin, Hein, Wolf – erst der Name und dann der Autor in umso klarerer Gestalt als Vertreter einer Position, die ich teilte. Seine Arbeiten erschienen zu jener Zeit fast ausschließlich in westdeutschen Verlagen. Bücher wie Ahasver und Collin, letzteres eine Aufarbeitung der Ereignisse um den 17. Juni 1953 wie auch Abrechnung mit dem Stalinismus in der DDR, wanderten in unserem Freundeskreis von Hand zu Hand, bildeten den Ausgangspunkt für Gespräche, geistige Exkursionen …

Einen nachhaltigen Eindruck bei mir hinterließ indes der schon 1972 publizierte König-David-Bericht, jenes Lehrstück über die Manipulation von Geschichte, Geschichtsschreibung – mir fiel es nach dem Theologiestudium in die Hände, unverkennbar die Anspielungen auf eine Realität, die auch unser Alltag war. Jeder hatte wohl schon davon gehört oder selbst erlebt, daß offizielle Photos, auf denen in Ungnade gefallene Persönlichkeiten zu sehen, einfach retuschiert wurden, die Werke ausgereister Autoren aus den Buchläden verschwanden, in Bibliotheken nicht mehr einfach ausgeliehen werden konnten, das betraf etwa die Werke Reiner Kunzes, der 1977 das Land verließ. Dies alles eine Revision von Geschichte, die doch stattgehabt hatte …

Noch kurz vor Lektüre des König-David-Berichts hatte ich mich während des Studiums mit der Entstehungsgeschichte der Heiligen Schrift auseinandergesetzt, der Vielzahl von Redaktoren, die mit ganz unterschiedlichen Intentionen die einzelnen Dokumente ausgewählt und zum Kanon erhoben hatten – im Kontext des Romans von Heym sollte mir das alles vertraut erscheinen. Und dieser Roman dürfte auch heutzutage, beispielsweise hinsichtlich der Anmaßung der Deutungshoheit über die DDR-Geschichte (und ihrer auf Stasi, Mauer, Stacheldraht reduzierten Erzählung) seitens einer politisch wie geistig konservativ geprägten Elite, kaum an Aktualität eingebüßt haben …

Daß Stefan Heym als integer und unbestechlich galt, läßt sich auch an der Tatsache ablesen, daß er 1989 zu den Erstunterzeichnern des Aufrufs "Für unser Land" gehörte und sich im November 1994 als Alterspräsident in seiner Eröffnungsrede zur Konstituierung des 13. Deutschen Bundestags überaus kritisch zu den politischen und sozialen Verhältnissen im wiedervereinigten Deutschland äußerte, ein der Solidarität verpflichtetes Miteinander anmahnte.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

jayne

beobachterin des (medien-) alltags

jayne

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