Einen verlorenen faden wieder aufnehmen – vielleicht war es das, was mich gestern zu wolfgang bächlers gedichtband “nachtleben” greifen ließ, den ich im frühjahr 89 von meinem lektor beim s.fischer verlag bekommen hatte; ich las der fluß und ich trage erde in mir, beides gedichte, die ich, neben etlichen anderen, damals mit einem sternchen markiert: das erstere setzt sich auf einer metaebene mit dem überfluß an gesagtem auseinander, letzthin mit der vergeblichkeit, ohne in einen resignativen ton zu verfallen; eher mit spöttischem seitenblick auf die gesellschaft, sich selbst und das eigene werk spricht das dichterische ich, mit ironie und gelassenheit. Das zweite gedicht hingegen könnte als poetologisches statement des autors gelten, es endet mit den zeilen:

Ich habe nie etwas besessen.
Doch alles ist in mich eingedrungen.

Den verlorenen faden wieder aufnehmen – erst anfang der 80er jahre kam ich mit texten bächlers in berührung, vernahm ich seinen namen. In margarethe von trottas film schwestern oder die balance des glücks (1979), den ich mir 1981 wiederholt ansah und in dem auch konstantin wecker einen kurzen auftritt hat, als jungstar, der den brotberuf an den nagel hängt und fortan als liedermacher sein leben bestreiten will, spielt bächler in einer nebenrolle sich selbst als autor, der in dieser aufrührerischen wie von den ereignissen des sogen. deutschen herbstes gezeichneten zeit traumprotokolle in die maschine diktiert. Texte, die mich in ihrer verknappten sprache beeindruckten, die von häusern, räumen, krieg und ängsten handelten, in einer dringlichkeit, der ich mich nicht zu entziehen vermochte. Etwa ein halbes jahr zuvor hatte ich selbst träume aufzuzeichnen begonnen und dabei auch an eine literarische bearbeitung gedacht, und möglicherweise ermutigten mich bächlers texte, darin fortzufahren …

Die gedichte und traumtexte wolfgang bächlers konnte ich jedoch erst viel später lesen, zu ddr-zeiten waren lediglich in einer der anthologien zur westdeutschen lyrik hierzulande arbeiten von ihm zu finden, in “die nicht erloschenen wörter”, erschienen bei volk und welt 1985. Bächler, der als stiller, zurückhaltender autor galt, vermochte insbesondere in seinen gedichten und seiner trauminspirierten prosa auch mit galligem humor aufzuwarten – eine zeile in “nachtleben” lautet:

Die Pistole, die ich mir an die Schläfe hielt, war mit Scheiße geladen. Ich schoß mir die Welt durch den Kopf.

Durch bächlers traumprotokolle, die er seit den frühen 50er jahren nacht für nacht aufzuzeichnen begann, und die gedichte zieht sich ein verstörender ton, von dem auch jene in der filmepisode zitierten stücke geprägt sind, und die intensität, in der ich dies wahr- und aufnahm, mochte nicht zuletzt dem kontext der in dieser zeit gerade wieder zunehmenden politischen spannungen zwischen den blöcken, neuen rüstungsrunden in ost und west geschuldet sein …

Ich dringe in ein leeres Haus ein, in einem Dorf, das vom Feind umstellt ist. Ich gehe vorsichtig immer in Deckung, um nicht gesehen zu werden, befürchte Schüsse auf mich, nicht nur von drinnen, auch durch die Fenster von draußen. Ich finde ein Zimmer, dessen Wände frisch gestrichen sind.
Als einziges Möbel steht ein Tisch in der Mitte des Zimmers. Auf ihm liegt ein schöner roter Apfel. Ich nehme ihn und verlasse das Haus und bin dann weiter auf der Flucht, ohne zu wissen, wohin.
[Bächler: Traumprotokolle]

Werke Wolfgang Bächlers (Auswahl):
Traumprotokolle. S. Fischer, 1978
Nachtleben. Gedichte. S. Fischer, 1982
Im Schlaf. Traumprosa. S. Fischer, 1988
Einer, der auszog, sich köpfen zu lassen. Roman. S. Fischer, 1990
Gesammelte Gedichte. S. Fischer, 2012