Erziehungsziel verfehlt oder Der Umgang mit Glaubenssätzen

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Daß die Sondierungsgespräche von SPD und Grünen mit der Linken in NRW von Vornherein zum Scheitern verurteilt gewesen wären, behauptet im Nachhinein das Gros der Kommentatoren.

Gescheitert sind die Gespräche indes nicht an der Unbotmäßigkeit der Linken, die nach Darstellung von Hannelore Kraft und Sylvia Löhrmann die DDR-Vergangenheit relativiert und sich nicht eindeutig auf den Glaubenssatz vom Unrechtsstaat hätten einschwören lassen. Gescheitert sind sie an der Herangehensweise seitens SPD und Grünen, die ihren Gesprächspartner nicht als ebenbürtig erachtet haben und scheinbar darauf bedacht waren, ihn vorzuführen. Dabei hätte doch das Sondieren der inhaltlichen Schnittmengen im Vordergrund stehen müssen.

Aber die Spitzenpolitikerinnen von SPD und Grünen, die von der Linken eine eindeutige Absage an das DDR-Unrechtsregime als Vorbedingung für weitere Gespräche abverlangten, traten hernach gleich Gouvernanten vor die Mikrophone und verkündeten, mangelnde Demokratiefestigkeit und Uneinsichtigkeit ihrer Zöglinge bezüglich der DDR-Vergangenheit bildeten die hauptsächlichen Gründe für das Ende der Rot-Grün-Roten Regierungsoption.

Dabei wären die Vertreter der Linken laut Katharina Schwabedissen sogar bereit gewesen, ein ihnen vorgelegtes Papier zu unterzeichnen, dessen Quintessenz in der Feststellung bestand, daß die DDR eine Diktatur gewesen ist. Doch schon die Vorlage dieses Papiers erscheint mir ein Akt der Anmaßung gegenüber einem Gesprächspartner, mit dem man auf Augenhöhe verhandeln möchte. Da hätte man glatt auch der Glaubenskongregation des Heiligen Stuhls die Aufgabe der gründlichen Gewissenserforschung übertragen können.

Demokratiedefizite offenbaren sich in dieser Angelegenheit sowohl bei den Grünen und der SPD im Umgang mit ihrem politischen Mitbewerber, als auch bei CDU und FDP gegenüber ihrem politischen Gegner. Im Vorfeld der Sondierungsgespräche konnte man z.B. den Eindruck gewinnen, die FDP verkünde bezüglich des Umgangs mit der Linken eine neue Hallsteindoktrin. Die CDU wiederum war und ist bemüht, ihren politischen Gegner mittels Extremismusetikett ins Abseits zu stellen, Differenzierungen sind da Fehlanzeige. Das kann nur als Tiefpunkt politischer Diskurs-Kultur in diesem Lande bezeichnet werden.

Ich fühle mich angesichts dieser Herangehensweise an Glaubenssätze erinnert, mit denen ich in der DDR konfrontiert worden bin, z.B. dem von der führenden Rolle der Partei. Hier soll die offizielle Lesart der jüngeren Zeitgeschichte ein weiteres Mal implementiert und durchgesetzt werden. Eine Ideologisierung unglaublichen Ausmaßes findet statt, eine Ideologisierung, die unmittelbar an den 1990 von konservativer Seite verkündeten Glaubenssatz vom Ende der Utopien anschließt.

Am Topos vom „Unrechtsstaat“ sollen sich nach herrschender Meinung die Geister scheiden, man attestiert den nachfolgenden Generationen ein mangelndes Wissen über die „zweite deutsche Diktatur“, das zur Verklärung damaliger Zustände führe und läßt, beraten von der Bundeszentrale für Politische Bildung, an Schulen in westlichen Bundesländern, etwa in Freiburg i. Br., beispielsweise Unterrichtsstunden nachstellen, wie sie in der DDR so typisiert und stilisiert nie abgelaufen sind. Man erschlägt resp. denunziert mit der „Totalitarismus“-Keule jedweden Ansatz, die Geschichte des untergegangen Staates differenzierter zu betrachten.

Der Bürgerrechtler und Historiker Thomas Klein, 1979 bis 1980 in der DDR inhaftiert schreibt: „Im vereinigten Deutschland treffen wir heute auf ein bemerkenswertes Spektrum der Verarbeitung vergangener und gegenwärtiger Zumutungen. Zwei Beispiele: Mehr als einmal haben ehemalige Funktionsträger der SED, die mir früher in der DDR beinhart und drohend als Sachwalter der politischen Reinheit gegenübertraten und die Verwerflichkeit gerade linker Opposition in der DDR begreiflich zu machen versuchten, mich nach dem Anschluss der DDR an die Bundesrepublik von den Vorzügen der jetzt herrschenden Ordnung überzeugen wollen – und mich vor der Sinnlosigkeit linker Opposition in Deutschland gewarnt. Zu dieser eher komischen Spielart systemübergreifenden Opportunismus' gesellt sich jedoch auch eine vorwiegend deprimierende Variante neudeutscher Friedfertigkeit: Viele »ehemalige Bürgerrechtler« (so lautet heute die Sprachregelung) – in der DDR mutig und unbestechlich gegen die nominalsozialistische Diktatur, für Demokratie und Menschenrechte kämpfend – sehen heute keinen Anlass, etwa die zeitgenössische Entwürdigung der vom Kapital unverwertbaren Arbeitskräfte durch die Hartz–IV-Gesetze wenigstens als Menschenrechtsfrage zu entdecken.“

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Geschrieben von

jayne

beobachterin des (medien-) alltags

jayne

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