Prosodie der Kellergänge (Auszug)

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für archinaut

Der estrich mit eingeprägter rasterung, speckig wirkende oberfläche, von der farbe ausgehärteten fettes – trieben wir hier es das erste mal, oder im abstellraum, in der waschküche? Trieb das uns die kellertreppe hinab? Linker gang: kartoffel-, rechterhand die kohlenkeller, abgeschottet von einer tür, abstellraum und waschküche geradeaus, ein vorraum … Geister? Keine, nur der schwarze glanz der aufgeschichteten briketts, diffuser schimmer, eine unruhe, eingekeilt im spitzen winkel zwischen türblatt und wand, oder im schlagschatten der verschläge, kartoffelhorten, regale, eingekeilt und spitz, als stechen in der seite spürbar, wenn man die treppe hinuntergehetzt, aufgekratzt von der rauchhaltigen luft da draußen, und sich zu verstecken suchte im letzten winkel, der noch denk-, erreichbar war, man mit füßen das rostige laub im wäldchen aufgewühlt hatte, den tonstaub des laubes, der in die lungen drang, rostiges laub, die rostige schaufel, der rost, durch den die asche fiel, und ab und an den mund verbrannt, im sprechen, das ein sich rechtfertigen gewesen, ein sich entheben, öfters den mund verbrannt, zu oft im keller gewesen, der noch ohne geschichte, aber voller geschichten war, abgelegter sachen, tatsachen, unwiderlegbar … das erste küchenbuffet, die spüle, später, die einweckgläser aus der vorzeit, die früchte aufgetrieben, die etiketten vom psalm des staubes befreit, die jahrgänge: 52, 53, 54 … soweit wir zurückzudenken vermochten, unsere jahrgänge, nicht unsere zeit …

Ja, das waren unsere jahrgänge, die ziffern auf den etiketten eine legende, der nachzuspüren wir bereit, dem beredten schweigen … allein die etiketten schienen zu bekunden, daß es sie gegeben, diese zeit, von der fortwährend im verschwiegenem die rede, eine vorzeit, über die wir nicht verfügten, weshalb sie uns beizubringen war, in gewissen schüben – diese öffneten wir zuerst: die nicht statthaft waren, mit dem echolot unserer stimmen die kellertreppe hinab, erst später auf den dachboden. Nur daß im keller, in der dunkelhaft, alles geronnen schien und unausweichlich, im eingeweckten steinobst, im mauergestein, das echo hallte nach, das unserer detonationen, oder war es der widerhall der wasserstandsmeldungen, der pegelstände und tauchtiefen, denen ich mittäglich gelauscht, einer kette von ortsnamen, die über diese verlautbarungen ins wahrscheinliche gerückt, von einer stimme, die aus dem äther kam: boizenburg lostau stade…, wobei die begriffe unterlauf, oberlauf rätselhaft über jahre (das kind kannte nur den dauerlauf, oder den lauf einer flinte, pistole, die tasche der väterlichen dienstpistole, abgelegt auf der flurgarderobe; das kind hatte öfters eine fahrkarte geschossen, später, mit dem luftgewehr - aber das ist schon eine andere geschichte, eine geschichte, der es mehr und mehr enteignet wurde, etwas, das man entwicklung nannte, bewußtwerdung, betrieben bis zur bewußtlosigkeit ...); zurück in die keller, in denen die zeit geronnen, weil schon zuviel davon stattgehabt, oder deren ablauf hier noch gar nicht begonnen, trotz der abdrücke, scharten, die im estrich sichtbar, erster gebrauchsspuren vom nachkriegsglück, dem glück, entronnen zu sein, das möglicherweise als last empfunden wurde ...

Die steine: das waren die alten, die man erneut verbaut, verfugt, denen man inneren zusammenhalt, tragfähigkeit zugetraut, notdürftig entschlackt vom mörtel der vorzeit, schrunden und spuren von ruß zu sehen noch heute; den stein abgeklopft, dem klang nachgelauscht, dem stumpfen, stimmhaften ... Steine klopfen, wie später sprüche, die nichtssagender als jeder stein, aber unter umständen beständiger, von unerhörter wirkung, präsenz: damit sind wir großgeworden ..., die uns vorgeboren, man hatte sich nichts vorzuwerfen ..., was letztendlich ein manko in dieser geschichte, schichtweise auf- oder abgetragen: da hatte sie längst abgefärbt auf uns, die ärmel unserer jacken, weiß vom kalk der kellerfluchten, da hatte sie uns ins spiel gebracht, fraglos, die fragen stellten andere, die antworten schuldig indes blieben: wir, die wir die frage noch gar nicht vernommen …

In den kellern, in denen der geruch von gas unabdingbar, in den gängen, ein geruch, der im gestein zu stecken, ihm eigen schien – die stählerne uhr im hauptgang zählte anders die zeit, die gasuhr, dicht unter der decke, fixiert am rohrgestänge, und vielleicht begriff ich hier zum ersten mal, daß die zeit ein raummaß, oder vielmehr ein gas, ein gas, das den geist vorstellte, der im keller waltete, den täter, den es nach oben trieb, unsichtbar, die kellertreppe hinauf, die stufen zum hochparterre, durch den briefschlitz der wohnungstür … wo ich den faden der geschichte verloren, oder das ganze knäuel, und wenn ich die kellergelasse erinnere, teilen sich auch die bodenkammern, der trockenboden mit, die eisernen dachluken, räume, die im selben dämmer wie die gelasse untertage, nur daß die furcht in den kammern weniger zuhause, die dunkelfurcht, obgleich sie doch wie alles zu kopfe stieg, immer wieder, und wir die unheimlichsten geschichten auf dem oberboden gespeichert wähnten, die unheimlichsten, die zu verheimlichen waren, die papiere, die hier abgelagert, das, was leicht entzündbar, obwohl dies abzulagern verboten, wie der umgang mit offenem licht; nur das zeitungspapier, das zur altstoffannahme zu bringen war, lagerte im keller, bis es schwarz wurde; die papiere, ausrisse, bücher, aktendeckel, stockfleckig, angegilbt, was zuoberst lag, brüchig – eine gegenwart, mit der man gebrochen hatte, irgendwann, sie zur vergangenheit geschlagen.

Ein system, das ausgeklügelt erschien: unten das verwahrte, das enthobene oben, losgelöst von unserer existenz …, ausgeschafft aus den arsenalen der zeit, der vorzeit, mochte es niemandes zeit mehr zuzuordnen sein – ewig oder: schon immer schien es dort gelegen zu haben, seit anbeginn der zeit, abgelegt in einem der atemzüge des zeitsoldaten möglicherweise, der hier zuhause und über diese dinge verfügt, vordringlich, obgleich er vielleicht auf dem rückzug gewesen, oder den zug der zeit verpaßt, vielleicht auch noch aufgesprungen, auf dem trittbrett mitgefahren war in die alkalische landschaft der stadt, die zerklüftet, zerborsten war, und sie durchquert hatte in endlos empfundener, schlingernder fahrt, bis er versackt, in einer der neuen alten kasernen am stadtrand, wo das verschossene grün der uniformen wieder zutritt hatte, wache schob im schilderhaus – ja, einer von denen, die den aufbruch liebten, den umbruch, dienst an der waffe, oder den am totenbett, krankenlager, im lazarett: ohne medikamente, doch tote jede nacht, und was sie einst glaube genannt, nannten sie jetzt überzeugung, wandelnd im zaumzeug der neuen zeit …

[Erstdruck 2007]

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Geschrieben von

jayne

beobachterin des (medien-) alltags

jayne

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