Sachsen News

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Das Beschreiten diverser Sonderwege scheint in Sachsen Tradition zu haben (man denke nur mal an den letzten König ...), und es sind derzeit soviele, daß man deren Verzweigungen kaum zu folgen vermag, deshalb diese News, die den einen oder anderen Weg schlaglichtartig erhellen mögen ...

Da wäre beispielsweise die von Bundesfamilienministerin Kristina Schröder beförderte Extremismusklausel, die, wie schon an anderer Stelle berichtet, seitens der sächsischen Staatsregierung vorauseilend im November letzten Jahres in Zusammenhang mit der Verleihung des Sächsischen Demokratie-Preises an Vereine in Anschlag gebracht worden ist. Obgleich Gutachten verschiedener Rechtsexperten, nicht zuletzt auch das des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestags von Mitte Januar, bezeugen, daß diese Klausel im zweiten Teil nicht verfassungskonform ist und in Bezug auf den ersten Absatz gewisse Restzweifel nicht ausgeräumt werden können, halten Bundes- wie die hiesige Regierung beharrlich daran fest.

Sachsen ist im Übrigen das einzige der neuen Bundesländer, das bislang diese Klausel eingeführt hat, und Innenminister Ulbig glaubt, der Kritik gerecht zu werden, indem er einfach den zweiten Absatz umformulieren läßt. Statt

und auf eigene Verantwortung dafür Sorge zu tragen, dass die als Partner ausgewählten Organisationen, Referenten etc. sich ebenfalls den Zielen des Grundgesetzes verpflichten. Uns ist bewusst, dass keinesfalls der Anschein erweckt werden darf, dass eine Unterstützung extremistischer Strukturen durch die Gewährung materieller oder immaterieller Leistungen Vorschub geleistet wird

heißt es nun im zweiten Absatz, den das SMI mittels einer Presseerklärung am 09. Februar in Umlauf brachte:

Als Träger der geförderten Maßnahmen haben wir zudem Sorge zu tragen, dass die zur Durchführung des geförderten Projektes als Partner Ausgewählten ebenfalls eine Erklärung gemäß Satz 1 abgeben.

Jetzt sollen die geförderten Vereine sich also auf eine Art Gouvernantenrolle verständigen, an der Lage hat sich damit m.E. nichts prinzipiell verändert, und das sehen auch die Oppositionsfraktionen im Sächsischen Landtag so.
Gestern gab es auch im Bundestag erneut eine Debatte zu dieser Klausel, und zwar aufgrund zweier Anträge der Bundestagsfraktionen der Grünen, SPD und Die Linke, doch die Koalition schlug Gutachten wie die Anträge der Opposition in den Wind ...

In Zusammenhang mit der besonders in Sachsen gepflegten Extremismustheorie, die zunehmend Einfluß auf die politische Praxis (nicht nur dort) gewinnt, müssen auch die Entwicklungen hinsichtlich des vergangenen wie auch bevorstehenden 13. Februar in Dresden gesehen werden. Zum Einen sind immer noch Verfahren gegen vier Fraktionsvorsitzende der Linken aus verschiedenen Bundesländern anhängig, weil sie 2010 mit zur Blockade des Naziaufmarschs aufgerufen resp. die Blockierer unterstützt haben. Die Selbstanzeige eines Grünen-Abgeordneten haben die Behörden schlichtweg ignoriert, und sie erwecken damit einmal mehr den Eindruck, daß der Kampf gegen Nazis allein eine Angelegenheit der Linken ist (so wie die VertreterInnen gutbürgerlicher Kreise ja im Zeichen der Extremismustheorie gern Links und Rechts in einen Topf werfen und sich als Mitte betrachten, die mit dem ganzen nichts zu schaffen hat ...).

Zum Andern hat das Dresdner Verwaltungsgericht der Polizei in einem Beschluß (Az. 6 K 366/10) vorgeworfen, im letzten Jahr nicht entschieden gegen die Blockaden vorgegangen zu sein - ihre Aufgabe wäre es gewesen, den demokratisch legitimierten Aufmarsch zu gewährleisten. Das Demonstrationsrecht rechter Gruppen sei verletzt worden, heißt es in der Urteilsbegründung. Die Polizei sei Garant der Versammlungsfreiheit. Maßnahmen müssten sich zunächst gegen die Störer richten. Und lediglich bei Vorliegen eines polizeilichen Notstands wäre ein Eingriff in die geplante Demo zulässig gewesen. Von polizeilichem Notstand spricht man, wenn Maßnahmen gegen Störer nicht möglich oder erfolgversprechend sind. Unerwähnt blieb im Urteil, daß sich auch die Blockierer auf Demonstrationsfreiheit berufen können.

So müssen das parteiübergreifende Bündnis Dresden-Nazifrei wie überhaupt die demokratisch gesinnte Öffentlichkeit , die sich auch in diesem Jahr dem Mißbrauch des Gedenkens durch Neonazis am 13. wie auch 19. Februar entgegenstellen werden, diesmal mit schwierigen Bedingungen rechnen. Eine für den 13. geplante Stadtführung "Täterspuren", während der Stätten aufgesucht werden sollten, die für das Wirken des NS-Regimes vor Ort stehen, ist vom Ordnungsbürgermeister der Stadt bereits auf Neustädter Seite verbannt worden. Dies betrifft auch die von den Grünen alljährlich initiierte Mahnwache an der "Trümmerfrau" vor dem Rathaus. Ebenfalls untersagt wurde, und zwar vom Dresdner Verwaltungsgericht, die vom Bündnis in Sichtweite der Nazis geplante Kundgebung. Einzig die von der OBM initiierte Menschenkette, an der sich Vertreter aller Stadtratsfraktionen beteiligen werden, darf auf Altstädter Seite stattfinden.

Am Mittwochabend noch hatte im Dresdner Staatsschauspiel eine stark besuchte Podiumsdiskussion mit Ordnungsbürgermeister Sittel, dem ehemaligen FDP-Innenminister Baum, Christian Demuth von der örtlichen Initiative Bürger-Courage und Schriftsteller Ingo Schulze stattgefunden, auf der es um den richtigen Umgang mit Rechts ging, bei dieser Gelegenheit haben Sittel und die Stadtspitze ob ihres Agierens und Lavierens z.B. in Sachen zivilen Ungehorsams im Vorfeld des 13. Februar reichlich Kritik einstecken müssen ... Ingo Schulze brachte es zum Abschluß der Diskussion auf den Punkt: Ohne zivilen Ungehorsam hätten wir heute immer noch die DDR. Nur es müssen eben möglichst viele ungehorsam sein.

Der Fraktionsvorsitzende der LINKEN im Dresdner Stadtrat, André Schollbach, äußerte in einer Presseerklärung:

"Die CDU-dominierte Stadtspitze hat bei der Vorbereitung des 13. Februar 2011 eklatant versagt. Durch ihre fragwürdigen und widersprüchlichen Entscheidungen bei der Genehmigung von Veranstaltungen wurden völlig unnötig erneut politische und gesellschaftliche Gräben aufgerissen.

Zwar steht der Verwaltung bei der Entscheidung über die Genehmigung von Versammlungen ein Ermessensspielraum zu. Aber nicht jede rechtlich zulässige Entscheidung ist auch eine vernünftige. Es ist schlicht nicht mehr nachvollziehbar, wenn bei den verschiedenen Veranstaltungen völlig unterschiedliche Maßstäbe angelegt werden.

Im Ergebnis übergibt die Stadtspitze den Nazis ausgerechnet am Nachmittag des 13. Februar die Dresdner Altstadt, ohne dass ein genehmigter Protest stattfinden dürfte. Dieses Bild ist ein für die Stadt Dresden und ihre Bürger verheerendes.

Es bleibt zu hoffen, dass möglichst viele Menschen auf friedliche Weise Zivilcourage zeigen."

In seiner heutigen Sendung "Hintergrund" um 18.40h wird sich auch der Deutschlandfunk mit dem Thema befassen, unter dem Titel "Unter Polizeischutz - Dresden und die Neonazi-Aufmärsche".

P.S. die Sendung ist aufgrund der Ereignisse in Ägypten leider ausgefallen.

2. P.S. Soeben hat der Kreisverband Dresden der Partei Bündnis 90/Die Grünen eine Presseerklärung folgenden Inhalts abgegeben:

PRESSEERKLÄRUNG

GRÜNE: Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes ist kein Persilschein für die Stadt

GRÜNE zum Urteil des Oberverwaltungsgerichtes zum 13. Februar

Das Bundesverfassungsgericht hat den Eilantrag des Kreisverbandes Dresden von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN abschlägig beschieden. Die Karlsruher Richter sahen in der von der Stadt angeordneten Verlegung der angemeldeten Demonstration in die Neustadt keine erhebliche Verletzung von Grundrechten, die von den Verfassungsrichtern in einem Eilverfahren zu unterbinden zu gewesen wären.

Für die GRÜNEN ist das Urteil durchaus nachvollziehbar: „Das BVerG ist ja nicht die Revisionsinstanz der Oberverwaltungsgerichte. Es hatte deshalb ausschließlich nur über die Schwere der Grundrechtseinschränkung zu entscheiden,“ so der Sprecher des GRÜNEN Kreisverbandes Michael Schmelich. „Das Urteil ist trotzdem kein Freibrief für die Ordnungsbehörden und auch nicht für das Trennungskonzept der Polizei.“

Die GRÜNEN werden sich im Lichte der Ereignisse am 13. Februar entscheiden, ob sie das Hauptsacheverfahren vor dem Verwaltungsgericht führen werden. „Ob das Freihalten von Vorratsrouten für die Nazis rechtsmäßig ist, wird sich dann herausstellen,“ so Schmelich.

Die GRÜNEN werden jedenfalls vor diesem Hintergrund auf die angemeldete Demonstration, die so nur auf der Neustädter Seite stattfinden könnte, verzichten. „Wir haben bis 2070 eine Mahnwache vor der Trümmerfrau angemeldet. Die können wir nicht auf die Neustädter Seite mitnehmen,“ so Schmelich. Auch steht für die GRÜNEN außer Frage, dass sie weiter zur Teilnahme an der Menschenkette aufrufen.

„Im Übrigen ist die Auseinandersetzung mit den Antidemokraten so wichtig, dass man sie nicht den Juristen überlassen darf“ resümierte Schmelich den aktuellen Streit mit der Landeshauptstadt.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

jayne

beobachterin des (medien-) alltags

jayne

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