"Sachsen sinnt Gottes Ordnung zu ändern"

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Gestern verabschiedete der Sächsische Landtag mit knapper Mehrheit in 2. Lesung das umstrittene Versammlungsgesetz, das nach dem Wunsch der schwarz-gelben Koalition im Freistaat sofort ausgefertigt werden, also rechtzeitig vor dem 13. Februar Gesetzeskraft erlangen soll.

Danach können Demonstrationen fortan "an einem Ort von historisch herausragender Bedeutung" verboten werden, der "an Menschen, die unter der nationalsozialistischen oder der kommunistischen Gewaltherrschaft Opfer menschenunwürdiger Behandlung waren, Menschen, die Widerstand gegen die nationalsozialistische oder kommunistische Gewaltherrschaft geleistet haben, oder die Opfer eines Krieges erinnert." Zudem ist es in Zukunft jeder lokalen Versammlungsbehörde freigestellt, neben den in der Gesetzvorlage namentlich benannten Örtlichkeiten in Dresden (z.B. Frauenkirche) und Leipzig (Völkerschlachtdenkmal) auch selbst historische Gedenkorte auszuweisen. Da hält also nicht nur die Totalitarismustheorie, die eine Gleichsetzung der "beiden deutschen Diktaturen" imaginiert, Einzug in die Gesetzgebung, was dem Konsens über die Singularität des NS-Regimes widerspricht, wie der Grünen-Abgeordnete Johannes Lichdi in der Aussprache betonte, sondern es droht eine willkürliche Wucherung grundrechtsfreier Orte im Freistaat.

Der Abgeordnete Klaus Bartl (Die Linke) stellte heraus, daß mit dem Versammlungsgesetz das Homogenitätsprinzip durch die Landesgesetzgebung verletzt werde. Zwar sei mit der Inkraftsetzung des Föderalismusvertrags den Ländern die Zuständigkeit für das Versammlungsrecht erteilt worden, doch könnte die Landesgesetzgebung nicht wesentlich von den Vorgaben des Bundesversammlungsgesetzes abweichen. Zudem gäbe es dafür einen Musterentwurf, an dem sich die Koalition im Freistaat allerdings nur ungenügend orientiert habe. Als schwerwiegend und verfassungswidrig schätzte Bartl auch ein, daß mit dem neuen Gesetz im Prinzip die Beweislast umgekehrt werde - im Freistaat müßten künftig die Grundrechtsträger (also Veranstalter von Kundgebungen und Demonstrationen) die Rechtmäßigkeit ihres Freiheitsgebrauchs beweisen, statt daß der Staat das Vorliegen der Vorraussetzungen für seine Eingriffsbefugnis belegen muß.

Dr. André Hahn (Die Linke) konstatierte, die für diese Beschränkungen des Grundrechts in Bezug genommenen Orte seien in der Vorlage zu unbestimmt definiert und deren Festlegung könne nicht der jeweiligen Verwaltung vor Ort überlassen werden, sondern müsse vom Gesetzgeber selbst getroffen werden. Als aufhellend erwies sich in diesem Zusammenhang auch der kleine geschichtliche Exkurs des Grünen-Abgeordneten Lichdi, der anhand der Geschichte der Dresdner Frauenkirche die Fragwürdigkeit dessen demonstrierte, was die schwarz-gelbe Koalition unter historischen Gedenkorten und "Würdeschutz" versteht. Die Frauenkirche stehe nicht allein als Symbol für die Geschehnisse des 13. Februar 1945, also die Opfer des Krieges, in der Zeit des NS-Regimes verkörperte sie z.B. vielmehr das Zentrum der dem Nazismus nahestehenden "Deutschen Christen", einer rassistisch und antisemitisch geprägten Strömung des deutschen Protestantismus.

Sabine Friedel (SPD) betonte, die Landeshauptstadt habe in der Vergangenheit noch nie den Versuch unternommen, auf Grundlage des Bundesversammlungsgesetzes einen Naziaufmarsch zu verbieten, und dies wäre jederzeit möglich gewesen, andere Städte hätten das auch praktiziert.

Marko Schiemann (CDU) verstieg sich u.a. zu der Behauptung, die jetzige Koalition reagiere nun endlich per Gesetz auf die jährlichen Naziaufmärsche in Dresden, nachdem sie in einem Brief des Dresdner Stadtrates aufgefordert worden sei, doch endlich wirksam zu werden, während die anderen Parteien nicht einmal konkrete Änderungsvorschläge gemacht hätten. Dabei lagen allerdings Änderungs- und Ersetzungsanträge von Die Linke und Grünen vor.

Der sächsische Justizminister Dr. Jürgen Martens (FDP) sorgte am Ende der fast zweistündigen Debatte für den eigentlichen Skandal - mit der Unterstellung, die Linke versuche das Versammlungsgesetz zu torpedieren und mache damit den Weg für die Nazis frei, um dann Steine auf sie werfen zu können. An die Opposition allgemein gerichtet verkündete er, den Rechten begegne man nicht mit Gesundbeterei und Krawall.

Dies ist ein Affront gegen all jene, die in den überparteilichen Bündnissen "Dresden nazifrei" und "No pasaran" Widerstand gegen die Naziaufmärsche organisieren. Vertreten sind darin u.a. der DGB, Juso, Bündnis 90-Die Grünen, Die Linke. Bei einer eindeutigen Verbots-Haltung sowohl der Stadtoberen wie der Staatsregierung gegenüber solchen Aufmärschen wären Bündnisse und Aktionen beschriebener Art überhaupt nicht notwendig, aber das haben die Regierenden in Sachsen offensichtlich noch nicht begriffen ...


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Geschrieben von

jayne

beobachterin des (medien-) alltags

jayne

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