"Sie können ruhig partiell mitklatschen"

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forderte die Bundeskanzlerin die Fraktion der SPD während ihres Debattenbeitrags im Bundestag am Mittwochmorgen auf, "damals waren Sie ja noch vernünftig." Die erste Lesung zum Haushaltsentwurf der Bundesregierung für 2011 wurde am Morgen traditionell mit der Debatte über den Etat des Kanzleramts eröffnet. Und die Art und Weise, wie sich die Kanzlerin dabei gerierte, läßt sich am besten mit Walter von der Vogelweides Worten umschreiben: "Ahi, wi kristenliche nu der babest lachet, swanne er sinen walhen seiht: ich hans also gemachet ..."

Während Sigmar Gabriel, der natürlich immer an Gedächtnisschwund leidet, wenn es um die Folgen der eigenen Regierungsbeteiligung geht, als erster Redner ein rhetorisches Feuerwerk auf Regierungsbank und Abgeordnete niederprasseln ließ, feierte die in der Aussprache darauf folgende Bundeskanzlerin sich, ihre christlich-liberale Koalition und die Erfolge bei der Bekämpfung der Finanzkrise. Und wie immer, wenn unsere Kanzlerin spricht, fällt so manch denkwürdiger Satz ...

Für Stimmung sorgte die Kanzlerin gleich zu Anfang, da ging es um die nach ihrer Ansicht erfolgreiche Bekämpfung der Krise:

"Liebe Kolleginnen und Kollegen, heute auf den Tag genau vor zwei Jahren war der Zusammenbruch des Bankhauses Lehman Brothers, uns allen in Erinnerung als Kulminationspunkt einer weltweiten tiefgreifenden Wirtschafts- und Finanzkrise. Ich habe hier im Zeichen dieser Krise im November 2008 gesagt: Wir, die Deutschen, wollen stärker aus der Krise herauskommen, als wir hineingegangen sind. - Ich glaube, ich darf für uns alle sagen: Diese weltweite Wirtschafts- und Finanzkrise hat unsere politische Arbeit in den letzten zwei Jahren tief geprägt. Heute, zwei Jahre später, können wir festhalten: Wir haben ein großes Stück des Weges geschafft. Wir haben Grund für Zuversicht. Die Wahrheit ist: Viele haben uns das nicht zugetraut, aber wir haben gezeigt, was in uns steckt."

Die Kanzlerin ist eine große Märchenerzählerin, und so fabuliert sie über den breiten Aufschwung und Wachstumskurs, auf dem sich das Land befinde, dabei lag z.B. die Zahl privater Insolvenzen schon lange nicht mehr so hoch wie im ersten Halbjahr 2010. Und Ländern wie Kommunen stehen 2011 und 2012 erhebliche Haushalts-Einschnitte bevor, denn der Schutzschirm für die Banken wurde aus Mitteln finanziert, die den Kommunen und Ländern für ihre Aufgaben nun nicht mehr zur Verfügung stehen ... Also wieder nur ein Aufschwung, der dem Gros der Bevölkerung wohl nicht zu gute kommen wird ...

Dann folgt natürlich ein wenig Arbeitsmarktstatistik:

"Das Allerwichtigste für uns und für mich ist aber, dass sich der Arbeitsmarkt in der schwersten Krise der Nachkriegszeit robust gezeigt hat und dass die Arbeitslosigkeit wieder auf ein Niveau vor der Krise gesunken ist. Das bedeutet etwas für Millionen von Menschen. Wir haben in den neuen Bundesländern seit 1991 zum ersten Mal eine Arbeitslosigkeit unter 1 Million.

Meine Damen und Herren, da lohnt schon einmal ein Blick zurück. Als ich vor knapp fünf Jahren Bundeskanzlerin wurde - nach sieben Jahren Rot-Grün -, lag die Arbeitslosigkeit bei fast 5 Millionen. Heute sind es knapp über 3 Millionen. Vielleicht unterschreiten wir diese 3 Millionen noch. Das ist der Erfolg der Arbeit und auch der Erfolg der Arbeit der christlich-liberalen Koalition.


- Ehrlich gesagt, weiß ich nicht, was es da zu lachen gibt. Ob 2 Millionen Menschen weniger arbeitslos sind oder nicht, das ist eine zentrale Frage der Gerechtigkeit in unserem Land. Wenn Sie über Gerechtigkeit und Solidarität sprechen, dann ist Arbeit einer der entscheidenden Punkte, um die es geht."

Kein Wort dazu, in welchen Bereichen vor allem die neuen Arbeitsplätze entstanden sind, nämlich in Leih- und Zeitarbeit sowie im Niedriglohnsektor.

Zur Haushaltskonsolidierung äußerte die Kanzlerin:

"Wir sagen: Dies ist der Herbst der Entscheidungen für wichtige Weichenstellungen in Deutschland für das neue Jahrzehnt zwischen 2010 und 2020. Das ist unser Anspruch, und dem werden wir gerecht.


Meine Damen und Herren, dabei sind solide Finanzen einer der Kernbausteine. Warum? Weil das für die Menschen bedeutet, dass sie keine Inflationsängste haben müssen, dass die, die wenig haben, nicht auch noch durch die Inflation enteignet werden und dass wir Spielräume für die kommenden Generationen schaffen. Wir wollen und werden eine Stabilitätskultur in Deutschland verankern, die im Übrigen auch beispielhaft für Europa sein wird. Das drückt unser Haushalt aus.

Meine Damen und Herren, wir haben einen Haushalt, bei dem immer noch jeder fünfte Euro durch Schulden finanziert wird. Wir haben aber einen Weg eingeschlagen auf der Grundlage der Schuldenbremse, die genau damit Schluss macht. Das ist damit gemeint, wenn es heißt: Deutschland lebt über seine Verhältnisse. Nicht der Einzelne lebt über seine Verhältnisse, sondern die Politik hat in der Vergangenheit nicht die Kraft aufgebracht, für die Zukunft Vorsorge zu treffen. Genau das ändern wir.


- Hören Sie doch einmal zu. Wenn 2 Millionen Menschen weniger arbeitslos sind, dann haben davon zunächst einmal Millionen von Familien profitiert. Vielleicht könnten Sie das einmal zur Kenntnis nehmen.


Eines ist doch klar: Wir brauchen Spielräume für Zukunftsinvestitionen. In dem Haushalt des Jahres 2010 sind ungefähr 72 Prozent fixe Ausgaben: für Soziales, für Personal und für Zinsen. Nur 28 Prozent bleiben für Investitionen und politische Zukunftsgestaltung übrig. 1991 waren das noch über 43 Prozent. Meine Damen und Herren, da müssen wir wieder hin. Es ist nicht in Ordnung, wenn die Ausgaben für Zinsen höher sind als die Ausgaben für Investitionen.


Es ist nicht in Ordnung, wenn die Ausgaben für Zinsen doppelt so hoch sind wie die Ausgaben für Bildung und Forschung.


Das werden wir ändern, weil wir an die Zukunft denken und uns nicht in der Gegenwart aufhalten, meine Damen und Herren."

Eigentlich könnte es so mit Zitaten aus dem Vorläufigen Plenarprotokoll munter weitergehen, auch ohne Kommentierung, denn was Frau Merkel verkündet, etwa in Bezug auf die Entkoppelung der Beiträge für die sozialen Sicherungssysteme von den Arbeitskosten, verrät über die Ansätze dieser Politik genug - es hat sich da gegenüber den letzten Jahren bei Schwarz-Gelb kaum etwas verändert. Schweigen möchte ich auch zu ihren Äußerungen zur Kernenergie, die sie wie die Braunkohlenverstromung in ihrer Rede als "Brückentechnologie" bezeichnet ...

Nur noch ein Bonmot der Kanzlerin zum Abschluß, da widmet sie ihre Aufmerksamkeit den Protesten gegen das Projekt "Stuttgart 21":

"Damit komme ich zu einem anderen Projekt, das auch die Gemüter bewegt. Die Grünen sind immer für die Stärkung der Schiene. Wenn es aber einmal um einen neuen Bahnhof geht, sind sie natürlich dagegen.


Die SPD war jahrelang für Stuttgart 21.


Jetzt, wo man ein bisschen dafür kämpfen muss, fangen Sie an, dagegen zu sein. Diese Art von Standhaftigkeit ist genau das, was Deutschland nicht nach vorne bringt. Wir wollen etwas anderes.


Bei völlig rechtmäßig getroffenen Entscheidungen braucht man keine Bürgerbefragung in Stuttgart. Vielmehr wird genau die Landtagswahl im nächsten Jahr die Befragung der Bürger über die Zukunft Baden-Württembergs, über Stuttgart 21 und viele andere Projekte sein,


die für die Zukunft dieses Landes wichtig sind. Das ist unsere Aussage.


Wir werden eine große Debatte über die Zukunftsfähigkeit Deutschlands führen. Einen Tunnel von Basel nach Karlsruhe oder was weiß ich von wo nach wo bauen zu wollen, aber nicht einmal aus einem Sackbahnhof einen Untergrundbahnhof, einen Bahnhof unter der Erde, zu machen, ist verlogen, Herr Trittin."

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

jayne

beobachterin des (medien-) alltags

jayne

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