"Wann haben Sie Ihren Abgeordneten zum letzten Mal geknuddelt?"

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Kleiner Situationsbericht von der Konstituierenden Sitzung des 17. Deutschen Bundestags

Zuweilen muteten Rhetorik wie Metaphorik der Eröffnungsrede des Alterspräsidenten Heinz Riesenhuber (CDU) seltsam an, etwas verfahren und schräg, und man mochte mit ihm bangen, ob er den geschlagenen "Bogen" zu einem glücklichen Ende zu bringen vermöchte, denn zu diesem Zeitpunkt war der neue Bundestagspräsident, der das Ganze für ihn hätte richten können, noch nicht gewählt. Wohltuend indes seine Worte in Bezug auf Achtung und Respekt der Abgeordneten für und vor einander, die für Meinungsstreit wie Entscheidungsfindung im Parlament unabdingbar sind. Und man hätte sich gewünscht, daß das auch in der letzten Legislatur immer gegolten hätte.

Schon in seinen Zeiten als Forschungsminister war Heinz Riesenhuber durch seine außergewöhnliche Diktion aufgefallen, während die Inhalte sich durchaus im Rahmen des zu Erwartenden bewegten. Heute vormittag nutzte er die Gelegenheit, im Prinzip noch einmal die Fixpunkte des Koalitionsvertrags mit blumigeren Worten, als sie einem Herrn Kauder zur Verfügung stehen, hervorzuheben, und diese als gemeinsame Aufgabe "für unser Land" zu annoncieren. An die Wirtschaftskapitäne und Unternehmer gerichtet stellte er die Frage: "Wann haben Sie Ihren Abgeordneten zum letzten Mal geknuddelt?" Und wollte ausdrücklich jene Abgeordneten mit eingeschlossen wissen, mit denen sie nicht befreundet sind. Zur Problemlage Innovation und Arbeit bemerkte er u.a. trocken: "Wir haben zu wenige Kinder gezeugt", und bemühte in der Folge einmal mehr den Topos vom demographischen Wandel, den er doch Sätze zuvor mit seinen Ausführungen zur Innovationsfähigkeit in Deutschland und der immer noch steigenden Arbeitseffizienz relativiert hatte. Die Entwicklungen im Bildungsbereich seit der Einführung von "Pisa" nannte er richtungsweisend, ebenso die Exellenzinitiative. Visionär geriet der Ausblick in Sachen Technologie: "Silizium ist Sand, und Sand ist bei uns reichlich vorhanden ..." Er prognostizierte die Entwicklung eines Quantenchips. Umweltpolitisch zeigte er sich mit dem erreichten Stand zufrieden, machte das auch an der Wasserqualität der Flüsse fest: Im Main gebe es heute 40 verschiedene Fischarten, und "sie vermehren sich und sind also glücklich [...] alles andere ist vom Standpunkt der Fische aus gesehen doch sekundär." Etwas geheimnisvoll hingegen ein weiterer Satz gegen Ende seiner Rede, als er noch einmal auf die Aufgabenstellungen für das Abgeordnetenhaus zurückkam: "Wir sind ein Teil dessen, was hier in Deutschland entschieden werden muß."

Soeben die Ansprache des mit 522 Stimmen (von 617) neugewählten Bundestagspräsidenten Norbert Lammert, bedenkenswert die Worte über den Informationsauftrag der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, die es auch heute wieder unterlassen hätten, die Konstituierende Sitzung live zu übertragen, stattdessen liefen bei ZdF und ARD zur Stunde Sendungen wie "Schaumküsse" und "Bianca - Wege zum Glück". Lammert sprach in diesem Zusammenhang von einer "souveränen Sturheit" seitens der öffentlich-rechtlichen Anstalten, und er werde sich das Recht herausnehmen, seinerseits mit souveräner Sturheit immer wieder darauf hinzuweisen ...

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Geschrieben von

jayne

beobachterin des (medien-) alltags

jayne

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