Was Gottes Wille ist - Ein Offener Brief

Religion Kürzlich äußerte der neue Landesbischof der Evangelischen Landeskirche Sachsen in einem Interview der "Welt" gegenüber, Homosexualität entspräche nicht Gottes Willen.

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Sehr geehrter Herr Landesbischof Carsten Rentzing!

Seit 1976 bin ich kraft einer vollzogenen Erwachsenentaufe ein Glied Ihrer Kirche, und somit sind Sie auch für mich zuständig. Ich komme aus einem atheistisch geprägten Elternhaus, doch für mich bedeutete Kirche in den 70er und 80er Jahren nicht nur einen Ort, um den über Umwege empfangenen Glauben auszuleben, sondern auch einen Freiraum, der für Menschen wie mich offenstand, die sich in dieser oder jener Weise an der Realität der DDR rieben, in die innere Emigration gingen oder offen in Opposition. Die Landeskirche bot Räume, Alternativen zum gesellschaftlich Gegebenen zu entwickeln und zu leben, gemeinschaftlich, einen Raum, der emanzipatorischen Charakters war, der Diskurse ermöglichte, die so in der Gesellschaft kaum offen geführt werden konnten. Unter denen (und gerade das vergangene und dieses Jahr stehen ja deutlich im Zeichen der 1989er Umwälzungen), die sich in diesen Räumen bewegten, waren auch Menschen mit homosexueller Orientierung, und ich vermag mich nicht zu entsinnen, daß dies je Anlaß gegeben, diese Menschen auch nur schräg anzusehen oder als Belastung zu empfinden. Sie hatten in dieser Gemeinschaft in uneingeschränkter Weise ihren Ort, durften sich als integriert erleben, und etwas anderes ist für mich auch nicht denkbar, im Streben nach einer Gesellschaft, die offen und solidarisch ist. Ich selbst gehöre auch zu dieser Minderheit, doch das habe ich erst viel später erkannt.

Nun äußerten Sie kürzlich in einem Interview mit der Tageszeitung „Die Welt“, Homosexualität entspräche nicht dem Willen Gottes, und beriefen sich dabei auf die Bibel. Sicher ist die Heilige Schrift das Dokument, an dem wir uns in unserem Glauben orientieren. Und zugleich ist es ein Dokument, das eine Glaubens-Geschichte, die Entwicklungsgeschichte christlichen Glaubens verkörpert und als solches in einem zeitlichen und gesellschaftlichen Kontext entstanden ist. Der Weg der Kanonisierung der zur Bibel gehörenden Schriften war lang, der Weg zu Glaubensbekenntnissen wie dem „Vater unser“. Im Grundstudium der Theologie wird vermittelt, welch hohe Anzahl an Redaktoren mit unterschiedlichsten Hintergründen und Zielsetzungen an der Entstehung der Schrift beteiligt waren, was deutlich macht, daß wir es bei der Bibel nicht allein mit einer Überlieferung von Gottes Wort und Wirken zu tun haben, sondern gleichermaßen mit dem menschlichen Versuch, Gottes Willen zu begreifen und auszudeuten. Dies ist ein Prozeß, der zwangsläufig nicht mit der Kanonisierung der Schrift abgeschlossen ist, denn die Schrift trägt die Züge jener Zeit, in der sie entstanden ist, transportiert ein Weltverständnis, wie es zu jener Zeit vorzufinden war. Aber das wird Ihnen hinlänglich bekannt sein.“ Gott ist größer als unser Herz“, heißt es in 1.Joh.3,20, und ich denke, das sollten wir nicht vergessen. Ich glaube, daß Gott mit Homosexuellen sehr wohl klar kommt und sie auch nicht als Last oder Belastung seiner Schöpfung empfindet, wie Sie. Sie erklärten im Interview, daß Menschen homosexueller Prägung Ihnen eine Last sind, die erduldet werden muß. Ich konnte in meinem Leben wiederum erfahren, daß sie eine Bereicherung darstellen, auch indem sie qua ihrer Existenz dazu anregen, eingeübte Rollenbilder zu hinterfragen. Und ich habe mich dabei nie im Dissenz mit Gott oder meiner Landeskirche empfunden. Doch die setzt mir und meinesgleichen jetzt quasi den Stuhl vor die Tür …

Abschließend möchte ich an ein Wort des Kirchentagspräsidenten Andreas Barner erinnern, das dieser uns auf dem Abschlußgottesdienst des 35. Kirchentags in Stuttgart in Bezug auf Respekt und Toleranz gegenüber Homosexuellen mitgegeben hat: „Gegen Liebe können wir Christen uns nicht stellen“.

Mit freundlichen Grüßen

Jayne-Ann Igel

P.S.

Am späten Nachmittag erhielt ich Antwort vom Landesbischof, wir bleiben im Gespräch.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

jayne

beobachterin des (medien-) alltags

jayne

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