Aus der 20er-Wundertüte

Was läuft Fakt und Fiktion werden oft gemischt. Doch in „Eldorado KaDeWe" wimmelt es von historischen Ungenauigkeiten. Kurzum: unserer Autorin fehlt die zeittypische Beschissenheit
Ausgabe 01/2022

Ein Brot kostet eine Milliarde Mark. Aber für ein Blick auf ihre Brüste als Masturbationsvorlage lässt der Lagerarbeiter die Verkäuferin Lebensmittel mopsen: Vor knapp 100 Jahren herrschten beschissene Zeiten. Am Anfang der „Interbellum“-Phase, die als „Goldene Zwanziger“ romantisiert wird, trafen traumatisierte Kriegsheimkehrer auf ebensolche Bürgerinnen. Notgedrungene Prostitution und ein damit verflochtenes Nachtleben boomten; die Inflation wütete; die Nazis formierten sich.

Julia von Heinz’ sechsteilige ARD-Miniserie Eldorado KaDeWe, die sie mit John Quester, Sabine Steyer-Violet und Oskar Sulowski schrieb, orientiert sich an wahren Ereignissen rund um das KaDeWe in der Hauptstadt Berlin. Vom Einzelhändler Adolf Jandorf 1907 eröffnet, florierte das Kaufhaus zunächst, sein gewiefter Chef hatte sich von Luxuspalästen wie Macy’s in New York inspirieren lassen. Die Produktion, die mitten in eine erstaunliche 20er-Jahre-Nostalgie fällt und vom KaDeWe durch Werbemaßnahmen wie einem „exklusiven Fotoshooting“, in dem die „Hauptdarstellerinnen über unvergessliche Momente am Set sprechen“ unterstützt wird, mischt die Fakten mit Fiktion.

Denn von Heinz erzählt den Stoff als Wirrungen des Herzens. Ihre Protagonist:innen sind eine erfundene Jandorf-Tochter namens Fritzi (Lia von Blarer), ihr „Love Interest“, die fiktive Verkäuferin Hedi (Valerie Stoll), dazu der „echte“ Jandorf-Sohn Harry (Joel Basman) und der „echte“ KaDeWe-Prokurist Georg Karg (Damian Thüne). Auch formal setzt von Heinz auf den Mix: Musiker:innen wie Inga Humpe oder Anna Mateur singen eigene und Originallieder, etwa Friedrich Hollaenders 1926 für Claire Waldoff geschriebenes Raus mit den Männern oder die Homosexuellen-Hymne Das lila Lied. Sogar auf Bildebene soll Gegenwart mit Vergangenheit verschmelzen, indem man das alte in das jetzige Berlin hineininszeniert – so wird im 20er-Jahre-Anzug durch das heutige Stadtbild gelustwandelt, neue Autos sausen an Kutschen vorbei. Und im Hof vor dem Lesbenclub Eldorado wimmelt es von Regenbogengraffiti. Nebenbei spart man so Ausstattungskosten und behält das junge Zielpublikum im Blick.

Doch sowohl die lesbische Liebes- und Emanzipationsgeschichte als auch das Drama um die „Arisierung“ im Zuge der Machtergreifung, die den traumatisierten und darum ungesund feierwütigen Harry Jandorf (sowie sämtliche Jüdinnen und Juden) ins Abseits drängen, werden durch fehlende Authentizität geschwächt.

Klar, Eldorado KaDeWe ist keine Dokuserie. Aber gerade weil die Story auf Fakten basiert, sind historische Ungenauigkeiten und Klischees ärgerlich: So soll Fritzi in einer Klinik mit Elektroschocktherapie „geheilt“ werden – diese brutale Methode wurde jedoch 1939 erstmals angewandt. Der Film Menschen am Sonntag, in den die Clique geht, feierte erst 1930 Premiere. Es scheint, als ob man sich frei an einer 20er-Jahre-Wundertüte bedient hat.

Zudem wabert die Beziehung zwischen der Arbeitertochter Hedi und der Erbin Fritzi in reichlich David-Hamilton-Ästhetik und damit der stereotyp-zahmen Darstellung von lesbischem Sex: Zwei normative, junge, weibliche, nackte Körper, die zu Klaviermusik und Unschärfeverlagerungen Cunnilingus andeuten, die (oft genommene) Hand, die sich orgiastisch ins Laken krallt, dazu romantische Else-Lasker-Schüler-Zitate – wer das rebellisch findet, dem erscheinen auch unrasierte Damenachseln revolutionär. Dass nebenbei sämtliche Handelnden artig Schauspielhochdeutsch sprechen (oder aufsagen), egal ob Berliner:innen oder die aus dem Baden-Württembergischen stammenden Jandorfs, lässt die Performance noch mehr in Richtung Schultheater rücken. Menschen in Verkleidung.

Am meisten fehlt den Figuren jedoch Ambivalenz. Der Einzige, der sich vom (scheinbar) guten Kerl zum Arschloch entwickelt, ist Hedis aus monetären Gründen bestätigter Verlobter Rüdiger (Tonio Schneider), dessen steigende Parteiliebe mit steigender Boshaftigkeit einhergeht. Die anderen, Hedi, die für ihre mit Downsyndrom zu Hause lebende Schwester Mücke (Neele Buchholz) sorgt; Fritzi, deren Werbeideen niemand sehen will; Harry, dessen Kriegstraumata ihn heimholen; und Georg, der lange integer bleibt, sind und bleiben „gute Menschen“ – und damit recht langweilig. Das zeittypisch Beschissene wirkt in Eldorado KaDeWe nur behauptet. Um das Drama mitzufühlen, müsste es jedoch immersiv sein.

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