Dekolleté-Diskurs

Mode und Politik Wagenknecht trifft Joop. Und das ist gar nicht so doof, wie es vielleicht klingt
Ausgabe 26/2019

Das geht ja schon schick los: Da sitzt Sahra Wagenknecht, versierte Öffentlichkeitsfrau, Linken-Politikerin, Philosophin und Doktorin der Volkswirtschaft, auf der Bühne des knallvollen Berliner Babylon-Kinos und erklärt ihrem Gesprächspartner, dem Modedesigner Wolfgang Joop, sie habe sich beim ersten Zusammentreffen gesorgt, weil sie „keine Ahnung von Mode“ habe. Beifall des Publikums: Mode hat eben nichts mit Politik zu tun. Oder doch?

Doch. So was von. Dem von Wagenknecht so subtil wie kokett personifizierten „Intellektuelle haben kein Interesse an derart Profanem“-Klischee kann Joop, der direkt auf ihre markante Erscheinung (Hochsteckfrisur und „Balletthaltung“) anspielt, glücklicherweise schnell den Garaus machen. Das Thema des Talks, Mode trifft Politik, ist topaktuell. Denn Mode hat mit Politik zu tun – auf mehreren Ebenen: Politik äußert sich unter anderem mittels Kommunikation, und wer behauptet, vestimentäres Nicht-Kommunizieren sei keine Aussage, der vergisst, dass auch Schweigen beredt sein kann. Zudem müssen bei der Mode (und den Unterthemen „Trends“ und „Wirtschaftlichkeit“) immer „Produktion“ und „Wege“ mitgedacht werden. Beide Gäste, die unter der Moderation von Luc Jochimsen aufeinandertrafen, wären also geeignete Kandidaten, um solche Diskurse zu führen. Wie steht ein Kreativer wie Joop, der in einem Zeitungsinterview seine Affinität zu den Linken öffentlich gemacht hat, zu der nach streng kapitalistischen Prinzipien funktionierenden Modebranche, in der regelmäßig das Neue hergestellt und gefeiert, die Marke gestärkt und qua Werbung für gutes Geld an den Mann/die Frau gebracht wird? Und was ist mit dem Label? Macht sich eine Politikerin wie Wagenknecht, die angeblich „nicht auf Marken schaut“, durch eine wiedererkennbare Frisur, einen wiederkehrenden Stil nicht selbst zur Marke? Und ist das nicht vielleicht sogar schlau? „Mode“, erklärt Joop, dessen Fashion-philosophische Weisheiten ihn mindestens auf Lagerfeld-Niveau („Wer Jogginghosen trägt etc.“) heben, „Mode ist ein Zeitabschnitt“ – und schon darum von Grund auf politisch.

Dass sich das Gespräch nicht mit Merkels Jacketts aufhält, ist zwar lobenswert – nur ein Sekündchen widmet Joop in einem quirligen Monolog dem Stil der Kanzlerin und ihrem Opernball-Dekolleté. Doch Jochimsen hat sich gegen die Mode und für die amüsante, aber wenig diskursive Biografie-Variante entschieden: Wagenknecht und Joop erzählen abwechselnd, wie sie aufgewachsen sind, politisiert wurden, wie sie das Land, das es nicht mehr gibt, verbessern, verändern, unterstützen wollten. Joop (74) beschwört die (gute alte) Zeit, in der noch alles repariert und nichts weggeschmissen wurde. Wagenknecht bringt ein hübsches Döneken über ihre nie gehaltene erste Rede auf dem Parteitag der PDS. Was sie, die damals 22-Jährige, an der „aus älteren, rauchenden Männern“ bestehenden, „unattraktiven“ Partei gereizt habe, fragt Joop sie. Spannende Frage, doch Jochimsen bricht ab.

Am Ende polemisiert Wagenknecht gegen „grünen Kapitalismus“, doch für die Diskussion darüber, ob die Staaten des realen Sozialismus tatsächlich ökologischer waren und sind, bleibt keine Zeit. So versucht es Joop nur noch ganz kurz mit Geraderücken, ja nun, ganz abschaffen will der Unternehmer den Kapitalismus wohl doch nicht, und dann ist Schluss. Schade. Einen bemerkenswerten (Gesprächs-)Stil haben sie alle drei.

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