Der Tod macht so lebendig

Was läuft Unser Autorin vermisst in „After Life“ die Nachhaltigkeit des Griesgrams Ricky Gervais. Spoiler-Anteil: 52%
Ausgabe 15/2019

„Ich bin lieber nirgendwo mit ihr als irgendwo ohne sie.“ Tony (Ricky Gervais) hat seine Frau verloren. Lisa (Kerry Godliman) ist an Krebs gestorben und lässt den Redakteur der fiktiven Lokalzeitung Tambury Gazette suizidal grantelnd in dem Kaff zurück, das beide einst glücklich mit ihrem Hund bewohnten. Jener Hund ist es auch, der Tony bislang vom Selbstmord abgehalten hat – weder Tonys Vorgesetzter und Schwager Matt (Tom Basden) noch die Kollegen und Kolleginnen des hinterwäldlerischen Anzeigenblättchens noch die weiteren Figuren, die sich rund um Tonys Unglück scharen, dringen zu ihm vor. Der Mittfünfziger ist ein bitterer Nieselpriem. Ein vor Selbstmitleid vergehender Sarkast, der sich vorgenommen hat, das persönliche Leid im – in seinen Augen – nun sinnlosen Leben noch mal so richtig an der Umgebung auszulassen. Und darum jede Möglichkeit nutzt, seine Mitmenschen durch heftige Kritik und Beleidigungen zu bestürzen.

Es ist offensichtlich, wie viel Präsentationsfläche für Zynismus und schwarzen Humor, aber damit auch für Menschlichkeit die Tony-Figur bietet, die leidenschaftlich um das nicht mehr ganz so tabuisierte Thema Tod kreist. Und der Komiker Gervais, Regisseur, Autor und Hauptdarsteller der sechsteiligen Serie, nutzt jeden Funken: Die kleinkarierte Welt, mit der Tony sich herumärgert, besteht aus Dorfbewohnern, die unbedingt in die Zeitung wollen – und dafür der Tambury Gazette eifrig skurrile Geschichten wie „Ich koche aus Muttermilch Reispudding!“ oder „Unser Baby sieht aus wie Adolf Hitler!“ melden. Immer wieder rücken Tony und sein dickhäutiger Fotografenkollege Lenny dann aus, um ein Pärchen vorzufinden, das seinem Baby einfach nur einen Hitler-Bart zwischen die Pausbacken gemalt hat, oder eine Frau zu treffen, die nicht nur ihre Muttermilch, sondern auch ihre Vaginalhefe in Lebensmitteln verarbeitet – übrigens ging diese Geschichte vor vier Jahren in Großbritannien tatsächlich durch die Medien und wird Gervais inspiriert haben.

Doch von Anfang an ist bei After Life die Intention, den lebensmüden, verletzten Tony zurück zum Glück zu führen, deutlich spürbar. Dabei helfen Figuren wie Daphne (Roisin Conety), eine schwere Blondine, mit der sich Tony peu à peu anfreundet und die geduldig „Sex Worker!“ korrigiert, wenn Tony sie als Prostituierte bezeichnet – diese Dienste nimmt er allerdings eh nicht in Anspruch. Daphne ist eine gutherzige Dame, die seine Bissigkeit mit ihren Sprüchen adäquat zu kontern vermag: „Ich habe kleine Hände“, erklärt sie ihm, „und das ist als Sex Worker von Vorteil – so sehen die Schwänze größer aus!“ Julian, ein drogenabhängiger Zeitungslieferant, entwickelt sich zu einem Vertrauten Tonys – an ihm lernt er, dass es auch anderen Menschen schlecht, sogar schlechter geht. Die schottische Pflegerin seines dementen Vaters erweist sich als schlagfertige Macherin. Und Anne, eine ältere Witwe, die Tony bei den täglichen Besuchen am Grab seiner Frau kennenlernt, durchschaut den Trauernden sofort.

So ist Gervais’ Produktion eigentlich eine Hommage an die Liebe und das Leben – allerdings in einem betont galligen Outfit. Und Gervais als verlotterter Miesepeter sprudelt die bösen Oneliner hervor wie einst als Comedian. Derartig eindeutig sind Struktur und Absicht der Netflix-Produktion, dass man sich irgendwann fast zu langweilen beginnt bei der wenig überraschenden Entwicklung, die Tony durchmacht – seine Reise vom Saulus zum Paulus vollzieht sich in abgezirkelten 6 mal 25 Minuten, inklusive einer sich ankündigenden Liebesgeschichte. Das Motto „Versöhne dich!“ schwebt über sämtlichen Folgen und wird immer größer – das ist einerseits wunderbar humanistisch und passt zum Engagement des Serienerfinders, der sich als „atheistischen, tierlieben Menschenfreund“ bezeichnet. Gervais’ unrasierter Charme, seine Beschimpfungen voller Mutterwitz und das betont nonkonformistische Provinzpersonal aus liebevoll gespielten Messies, Junkies, Sex Workern und Spießern sind attraktiv und amüsant, in manchen Situationen sogar anrührend.

Doch andererseits lässt die Faszination zu schnell nach: Hätte man der horizontalen Entwicklung Tonys vom Trauerkloß zum Charmebolzen doch nur ein paar Steine mehr in den Weg gelegt oder ein paar mehr bedingungslose Momente wie den Tod einer der Nebenfiguren eingeplant. Man hätte Tony mit Freuden noch begeisterter ins Herz geschlossen.

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