Wenn man schon bestohlen wird, dann doch bitte von einem Gentleman. Einem, der sich zu kleiden weiß, der die Etikette beachtet, in Anwesenheit einer Dame seinen Hut absetzt – selbst wenn er hernach ihren Schmuck stibitzt. Ein chevaleresker Meisterdieb eben, dessen Maskierungstalent ihn in Verbindung mit seiner kulturellen Expertise immer wieder davonkommen lässt. „Elegant gekleidet, gut aussehend mit dunklem Haar, Schnurrbart und hartem Blick“, so beschrieb Maurice Leblanc Anfang des 20. Jahrhunderts seine erfolgreichste Romanfigur, den „Gentleman-cambrioleur“ Arsène Lupin.
Die französische Netflix-Serie Lupin bedient sich dieser Vorlage nur begrenzt. Bei ihrem Protagonisten handelt es sich nicht um Lupin selbst, sondern um einen Lupin-Fan, sozusagen einen „Lupin-Ultra“: Assane Diop, gespielt von Omar Sy, ist der Sohn eines aus dem Senegal stammenden Einwanderers, der bei dem reichen, weißen Unternehmer Pellegrini (Hervé Pierre) arbeitete, bis der seinen Angestellten über den Tisch zog. Der Suizid seines Vaters in Haft, in der Diop senior zu Unrecht saß, hat den kleinen Assane schwer traumatisiert. Ihn trösteten nur die Arsène-Lupin-Bücher, die ihm sein Vater mit dem Hinweis gab, sich – als Außenseiter in einer weißen Gesellschaft – weiterzubilden. 25 Jahre später hat er das getan, vor allem im Stehlen. Lupin erzählt somit die Aufsteigergeschichte eines Underdogs, dem aufgrund von Hautfarbe und Herkunft die Türen zur snobistischen „Haute Société“ normalerweise verschlossen bleiben.
Erdacht von George Kay und François Uzan und in bislang fünf Folgen inszeniert von Louis Leterrier, setzt Lupin – im Gegensatz zu den medial bahnbrechenden BBC-Sherlock-Produktionen – seinen Fokus weder auf geniale, lang geplante Taten noch auf unerwartete Auflösungen. Anstatt in Krimi-typischer Fallstruktur mit verschiedenen Abenteuern hat es Diop nur mit einem zu tun, das sich horizontal durch die Serie windet: Sich als reicher Geschäftsmann ausgebend, ersteigert er bei einer Auktion im Louvre „le collier de la reine“, ein royales Collier, das auf einen Lupin-Buchtitel hinweist – um sich die Klunker danach zum Schein stehlen zu lassen. Die Halskette hat nämlich mit der Unschuld seines Vaters zu tun und soll die Machenschaften Pellegrinis endlich aufdecken.
Ein schönes Prä-Corona-Paris
Dass Diop durch Omar Sy mit einem schwarzen Darsteller besetzt wird, ist selbstredend kein Zufall: Diop ist das Gegenteil der Romanfigur Lupin, die qua Geburt zur weißen Oberschicht gehört und aus Spaß an der Freud’ gaunert – um mit der vorzugsweise von Ausbeutern gestohlenen heißen Ware wieder in seine Schicht zurückzukehren. In Lupin geht es dagegen um Selbstermächtigung, um das alternativlose Selbstverständnis, mit dem sich schwarze Menschen eigentlich in der Gesellschaft bewegen sollten.
Verhindert wird das einerseits durch offenen, vor allem aber durch strukturellen Rassismus – der sich in der Serie weniger subtil darstellt, als er ist: Pellegrinis Frau verschließt reflexartig die Autotür, als sie Diop auf ihren Wagen zukommen sieht. Ihre Tochter fragt Diop, ob es „stimmt, was man über Schwarze sagt“. Und nachdem sich Diop als Millionär in den Louvre geschmuggelt hat und seine Kette abholen will, entschlüpfen dem Auktionator die Worte „Sie habe ich mir ganz anders vorgestellt.“ „Wie denn?“, grinst Diop. „Sie sind ja ... jung“, antwortet der andere verlegen.
Diese fehlende Subtilität schwächt die Intention: Natürlich muss Rassismus auch bekämpft werden, wenn er so deutlich wie in diesen Beispielen daherkommt. Der tiefer sitzende, den man nicht sofort erkennt, ist jedoch auch das tiefer sitzende und schwerer zu bekämpfende Problem: Kaum vorstellbar, dass ein professioneller Versteigerer, der mit internationalen Kunden Milliardengeschäfte abwickelt, Rassismus so offen auf der Zunge trägt – er würde den Job nicht lange machen.
Farbenblind ist das Casting bei Lupin also nicht – im Gegenteil: Bewusst spielt hier ein auffällig stattlicher, auffällig gut aussehender schwarzer Darsteller in einer Serie, von deren namengebendem Charakter es heißt, er könne sich unbemerkt überall einfügen. Denn das trifft auf Omar Sy garantiert nicht zu: Er ist riesig und schwarz. „Undercover“ funktioniert er nur, wenn er sich als Reinigungskraft einschleicht, sich dort bewegt, wo man ihn als unterprivilegierten Bürger erwartet – eigentlich ein wunderbarer, treffend und clever ausgedachter Schachzug der Showrunner, der viel zu selten bewusst eingesetzt wird.
Dass Diops familiäre Situation mit Exfrau Claire (Ludivine Sagnier) und Sohn Raoul (Etan Simon) zudem vor 50er-Jahre-Klischees starrt, ist ein weiterer Schwachpunkt: Claire hat nichts anderes zu tun, als sich in Hausfrauenmanier über die Verschwiegenheit und Unpünktlichkeit ihres Exmannes zu ärgern; in einer Rückblende zeigt der junge Diop der jungen Claire ein Beispiel für Mansplaining (beziehungsweise „Boysplaining“); und dass Raoul seinen unsteten Vater kritiklos anhimmelt und die altmodischen Lupin-Schmöker verschlingt, die Papa ihm schenkt, ist eher väterliches Wunschdenken als Realität im Jahr 2021.
Zu kurz kommen auch die kriminal-erzählerischen Möglichkeiten, die im Stoff stecken: Wirklich überraschend sind Diops Schachzüge und Coups nur vereinzelt, die Verkleidungen (Mütze, falsche Augenbrauen) überzeugen vermutlich nicht mal einen kurzsichtigen Hilfsdetektiv, und vom Sherlock-Tempo und -Witz ist Lupin mindestens so weit entfernt wie London von Paris.
So charmant und natürlich Sy seinen Charakter ausstattet, so schön das Prä-Corona-Paris glänzt: Für ein eindringliches antirassistisches Statement ist Lupin zu wenig differenziert, für eine fesselnde Serie zu wenig spannend. Immerhin funktioniert der Cliffhanger am Ende: In der zweiten Staffel zaubert Diop garantiert ein paar Tricks mehr aus dem Zylinder.
Info
Lupin George Kay, François Uzan Frankreich/USA 2021; 5 Folgen, Netflix
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