This is a man’s world.“ Dieser Satz stimmt, auch wenn James Brown seine Feststellung eine Zeile später bereits revidiert: Ohne Frauen ist die Welt nichts wert. Ohne Männer würde es allerdings nicht weniger problematisch. Die Prämisse von Y: The Last Man, einer seriellen Adaption des gleichnamigen, 2002 erschienenen Comics von Brian K. Vaughan und Pia Guerra, ist schlicht und faszinierend: Plötzlich und simultan sterben auf der ganzen Welt sämtliche Lebewesen mit Y-Chromosom. Dazu gehören alle männlichen Säugetiere – und somit auch alle Männer.
Die Szene, mit der das Y-Chromosom-freie Zeitalter anbricht, ist dementsprechend drastisch: Soeben hatte man die Familie der demokratischen Kongressabgeordneten Jennifer Brown (Diane Lane) kennengelernt, deren erwachsene Kinder Hero (Olivia Thirlby) und Yorick (Ben Schnetzer) nicht unbedingt die besten Vorbilder für Politikernachwuchs abgeben – die Sanitäterin Hero hat eine Vorliebe für Drogen und einen verheirateten Liebhaber, der sonnige Yorick krepelt als erfolgloser Zauberer am Rande des Existenzminimums. Doch auf einmal fallen (von männlichen Piloten gesteuerte) Flugzeuge vom Himmel, (von Männern gesteuerte) Bahnen entgleisen, Autos rauschen ineinander. Und im Pentagon spuckt der Großteil der Belegschaft Blut und kippt mausetot um. Das geheimnisvolle „Ereignis“, wie es später genannt wird, verschont auch nicht den republikanischen Präsidenten.
Wenige Monate danach ist Brown als nächste (Lebende) in der Befehlskette Präsidentin geworden und versucht das in Trauer und Trauma, Dystopie und Chaos versinkende Land vom verbarrikadierten Pentagon aus mit einem weiblichen Stab aus Militär, Politik und Wissenschaft zu regieren. Aber Männerleichen verschmutzen das Trinkwasser, die Stromversorgung ist anfällig, die Dämme brechen. Und es stellen sich komplizierte Fragen wie die, ob man zunächst die Samenbänke mit eingefrorenen Spermien oder die Lebensmittelversorgung sichern sollte.
Dass ein Mann und ein männliches Tier überlebt haben, erfährt das Publikum noch vor Präsidentin Jennifer Brown: Ausgerechnet der Heiopei Yorick und sein Kapuzineräffchen Ampersand taumeln auf der Suche nach Yoricks Freundin durch das Chaos. Yorick, dessen Name mit einem Y beginnt …
Nonchalance bei Klischees
Wenn kein Mann am Start ist, kann auch keiner den Helden spielen. Das Schöne an der von der Autorin und Schauspielerin Eliza Clark entwickelten und in marginalen Punkten vom Comic abweichenden Serie ist die Nonchalance, mit der sie Klischees umgeht: Es gibt hier keine hysterischen Frauen, die sich die Augen auskratzen, angesichts der Tragödie heulend zusammenbrechen oder aus „Triebstau“ übereinander herfallen – natürlich wird gestritten, natürlich entwickeln nicht alle den gleichen Tatendrang, und natürlich werden manche Figuren ob der globalen Katastrophe verrückt. Doch die Autor:innen von Y: The Last Man zaubern einen komplexen Charakter nach dem anderen aus dem Hut, von der anstrengenden, aber unterhaltsamen Genetikerin Dr. Allison Mann (Diane Bang) über Heros besten Freund, den trans Mann Sam (Elliot Fletcher), der darunter leidet, nun immer wieder seine Identität erklären zu müssen, bis hin zur enigmatischen Agentin 355 (Ashley Romans), die zu einer mysteriösen Undercover-Gruppe gehört und von der Präsidentin als Yoricks Bodyguard eingesetzt wird.
Die kämpferische 355 bildet wie selbstverständlich das Gegengewicht zum gutmütigen, so gar nicht heldenhaften Yorick – dass Rollen nicht angeboren sind, dass, wie Simone de Beauvoir schrieb, man nicht als Frau zur Welt kommt, sondern dazu gemacht wird, steht in der Serie außer Frage.
Die Story setzt dabei nicht auf Charleys-Tante-Travestie: Wenn Yorick sich etwa in der Öffentlichkeit bewegt, trägt er eine Gasmaske oder behauptet, trans zu sein. Und wenn er von drei Frauen erwischt wird, als er sich nackt in einer Reinigung umziehen will, kommt es weder zu schlüpfrigen Bemerkungen noch Taten. Man möchte gar nicht wissen, was sich Drehbuchautoren ausdenken würden, wenn es umgekehrt wäre und eine einzige Frau inmitten von Männern überlebt hätte.
Auch die Anfangsbilder aus Y: The Last Man kreisen auf einer subtilen Ebene um Gender. In der ersten, kurz vor dem „Ereignis“ spielenden Episode sieht man Männer, die Gewalt ausüben und zerstören. Aber auch Männer, die trösten, die Lust spenden, die Freunde und Familienangehörige sind. Die Integration aktueller politischer, körperpolitischer und sozialer Diskurse gelingt somit: Als Kim über die demokratische weibliche Not-Koalition sagt: „Manchmal denke ich, sie sind erleichtert, das ist die Welt, die sie immer wollten!“, echot darin der Streit von Demokraten und Konservativen zu (reaktionären) Rollenbildern. Die Frage, wieso Yorick lebt, bietet Spekulationen zur Genetik. Und Hero landet bei einer Frauengruppe, die unter der Ägide einer Ex-Polizistin ihren Männerhass pflegt: Für einige Menschen, zum Beispiel Opfer von männlicher Gewalt, wäre die männerlose Gesellschaft vielleicht eine Option. In anderen Situationen wird dagegen klar, dass ein Chromosom weniger eben nicht vor Gewalt schützt.
Spannend auch, wie und ob die vollgestopften Handlungsstränge bis zum Staffelende aufgelöst werden. Bei drei Frauen fließen jedenfalls irgendwann Tränen. Die eine, Gynäkologin, hat bei einer anderen soeben per Ultraschall eine Schwangerschaft festgestellt, eine dritte hatte durch das „Ereignis“ ihre Söhne verloren. „Es ist so schön, Leben in all diesem Tod zu sehen“, erklärt die Ärztin und wischt sich über die Wange. Und es versteht sich von selbst: Das Embryo ist weiblich.
Info
Y: The Last Man Eliza Clark USA 2021, Disney+
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