Das Leben ist für Frauen ungerecht. Gleich die ersten Szenen von Mein fabelhaftes Verbrechen illustrieren die gesellschaftliche Stimmung mit klassisch misogynen Ingredienzien: die dicke Traumvilla eines Filmproduzenten. Die junge, blonde Schauspielerin Madeleine (Nadia Tereszkiewicz), die aufgelöst aus dem Haus stürmt. Ihre beste Freundin und Mitbewohnerin Pauline (Rebecca Marder), die kurz darauf einen Vermieter beruhigen muss, der die ausstehende Miete eintreiben will.
Madeleine und Pauline schaffen es nicht, Geld aufzutreiben – dabei sind sie keinesfalls faul. Es stellt nur niemand Madeleine ein, und auch die junge Rechtsanwältin Pauline kann keinen Fall ergattern. Alles, was die beiden von Männern bekommen, hat das Potenzial, sie entweder zu entehren ̵
r zu entehren – oder zu schröpfen.Als der verzweifelten Madeleine von ihrem Verehrer André (Édouard Sulpice) auch noch der Plan unterbreitet wird, seine heimliche Geliebte zu werden, während er „sich opfern“ und eine reiche Frau heiraten würde, scheint der Tiefpunkt erreicht: Madeleine hält sich eine Pistole an den Kopf und kann von der Freundin gerade noch davon abgehalten werden, ihrem Leben ein Ende zu setzen. Den Sinneswandel führt Pauline mit einem Sandwich herbei, einem riesengroßen mit Käse und Schinken: Bei Ozons Figuren liegen Drama und Komik ebenso nah beieinander wie Wahrheit und Übertreibung. Doch die Kernbotschaft ist klar: (Mittellose) Frauen leiden unter (triebhaften) Männern.François Ozons lose auf einem von zwei männlichen Autoren geschriebenen Theaterstück von 1934 basierende Krimikomödie hält sich strikt an die Aktstruktur des Originals – formal wie inhaltlich. Denn dass im ersten Akt eine Pistole gezeigt wurde, hat etwas später ein Nachspiel: Kurz nach Madeleines Rückkehr in die Absteige wird der Filmproduzent erschossen in seiner Villa aufgefunden. Der Verdacht fällt auf Madeleine – und die entscheidet nach Rücksprache mit Pauline, den nicht begangenen Mord zu gestehen und auf Notwehr zu plädieren.Karrierefrauen anno 1935Paulines Plan involviert die Medien und die Strahlkraft eines weiblichen Opfers – und er geht auf: Madeleine wird, wie von Pauline vorhergesagt, freigesprochen, ist als Schauspielerin plötzlich in aller Munde und bekommt reihenweise Angebote. Pauline macht Karriere als Anwältin und trägt dabei schicke Anzughosen. Beide ziehen in ihre eigene große Villa. Und wäre der Film nach dem zweiten Akt zu Ende, dann würden die beiden ihren Triumph leben.Eingebetteter MedieninhaltDoch plötzlich taucht Odette (Isabelle Huppert) auf, eine Stummfilmdiva, der man die Femme fatale bereits am unfassbaren Hut und an den hexenroten Locken ansieht. Odette behauptet, sie selbst habe den Filmproduzenten getötet – und verlangt von Madeleine: „Gib mir meinen Mord zurück!“Leichthändig verstreut Ozon die Vokabeln aktueller Diskurse in seinem Setting. „Sollte es im Jahr 1935 nicht möglich sein“, lässt er Madeleine im schicken schwarzen Samtkäppchen unter Tränen im Gerichtssaal plädieren, „dass eine Frau ihr Leben und ihre Karriere ohne Zwänge, in Freiheit und Gleichheit führen kann?“ Im Jahr 2023 kann man die gleiche Frage stellen. Kurz vorher wurde den beiden Frauen von geifernden Zeug:innen im Gerichtssaal gar eine „widernatürliche Beziehung“ angedichtet – immerhin hätten sie in der kleinen Bruchbude nur ein Bett! „Männerhass, das passt“, nickt der Richter zufrieden, die rein männliche Jury spitzt die Ohren. Die Gerichtsszene erinnert nicht zufällig an die aktuellen Fälle von Machtmissbrauch in der Kulturbranche – sämtliche Konsequenzen wie Victim Blaming, zweifelhafter Ruhm und Vorverurteilungen inklusive.So webt Ozon eine in einem pittoresk-bunten Retrosetting angesiedelte, emanzipatorische Screwballkomödie, bei der jeder und jede sein Fett wegkriegt und die Protagonistinnen kecke Dialogzeilen aufsagen: „Ein toller Mann“, kommentiert Pauline die selbstlose Hilfe eines Kollegen, „den muss man weder bumsen noch töten.“Vordergründig komödiantisch, darunter aber mit großem Ernst demonstriert Ozon damit einmal mehr sein Ziel, das Leben für Frauen gerechter werden zu lassen. Dass er in Mein fabelhaftes Verbrechen eine Zeit zitiert, in der weibliche Charaktere in Ernst-Lubitsch- und Howard-Hawks-Komödien selbstbewusst gegen ihre männlichen Co-Stars anspielten und die Frauen Hollywoods sich stark in das System einbrachten, macht seinen Film darüber hinaus zu einer Hommage an die Vorkämpferinnen. Mit der stark in den Mittelpunkt gerückten Freundschaft zwischen Pauline und Madeleine, die tiefer und haltbarer als sämtliche Männerbeziehungen zu sein scheint, erinnert er darüber hinaus auch an Filme wie Thelma & Louise: Die Protagonistinnen sind „partners in crime“, die von ihrer Umgebung dazu gemacht wurden; es versteht sich fast von selbst, dass Hupperts mit viel Grandezza gespielte Diva, die mit Ageismus zu kämpfen hat, sich irgendwann mit den jungen Frauen solidarisiert.Vielleicht lässt sich der Hintergrund des sommerlichen Paris-Settings, in dem reihenweise Damen mit Glockenhüten in Straßencafés sitzen und sich mit Weingläsern zuprosten, auch als Mission interpretieren: „Sisters are doin’ it for themselves.“Placeholder infobox-1