Weil Nachrichten als Flaggschiffe des öffentlich-rechtlichen Rundfunks (ÖRR) gelten, verortet man ihre Sprecher:innen in den Offizierskajüten. Doch die werden verstärkt abgemustert: Mit Pinar Atalay und Linda Zervakis wechselten jüngst zwei Moderatorinnen von der ARD zum Privatfernsehen, vorher zogen Marc Bator, Jan Hofer und der einst als „Brillenträger des Jahres“ ausgezeichnete Matthias Opdenhövel Leine.
Was versierten Nachrichtenleuten in den werbefinanzierten, mit Frauentausch, Dschungelcamp und US-Serien-Großeinkauf assoziierten Privatsendern winkt, wird seitdem heftig diskutiert. Mammon, vermuten die einen – und weisen auf begrenzte Verdienstmöglichkeiten hin: Die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) schiebe auch den fleißigsten und beliebtesten Köpfen einen finanziellen Riegel vor. Reich, so formulierte es Jan Hofer in einem Podcast, werde man so nicht – bei angeblich knapp 260 Euro pro Tagesschau läppert sich mit teils mehreren Ausgaben am Tag zwar einiges zusammen. Doch die ARD-Sprecher:innen sind freiberuflich und werden alternierend eingesetzt. (Bei Talkshow-Hosts und Festangestellten ist es etwas anders. Claus Kleber wird auch im designierten Ruhestand als Dagobert Duck des ZDF in Erinnerung bleiben. Sofern er nicht doch überraschend bei den Privaten wieder auftaucht.)
Eine weitere These besagt, dass der ÖRR, dessen Wille zur ganzheitlichen Abbildung der Gesellschaft eh oft angezweifelt wird, mit dem Abgang von Zervakis und Atalay weitere Diversitätsprobleme entwickeln könnte. Doch selbst ohne sie stehen erfreulicherweise schon länger vermehrt Menschen mit internationalen Wurzeln auch zur Primetime bereit: Die Journalistin Jana Pareigis übernimmt Petra Gersters Stelle bei heute (ZDF), der Hamburger Aimen Abdulaziz-Said moderiert das ARD-Mittagsmagazin, und mit Dunja Hayali, Mitri Sirin, Nazan Gökdemir, Jessica Zahedi oder Till Nassif entfernt sich der ÖRR zum Glück schon eine Weile vom vorherrschenden Dagmar-Berghoff-Typus. (Nichts gegen Frau Berghoff: Die Grandezza, mit der sie sich am Millennium-Silvesterabend von ihrem Posten verabschiedete, soll ihr erst mal eine:r nachmachen.)
Es könnte einen anderen Grund geben, der den Wechsel zu den Privaten attraktiv macht: Die Tage des ÖRR mit seinem Alleinanspruch auf seriöse Nachrichten und seinen starren Hierarchien, die sich nach wie vor in einer bestimmten Art von Menschen (männlich, weiß, rechtschaffen betagt) in Führungspositionen und Räten äußern, sind eventuell einfach gezählt. Die im Vergleich jüngeren Privaten, die beider zukunftsträchtigen, das lineare Fernsehen ansonsten ignorierenden Zielgruppe beliebt sind und deren Konzept durch die Finanzierung ein anderes, durchaus fragwürdiges sein muss, sind flexibler. Und auch wenn das weniger Sicherheit für Angestellte bedeutet (die Diskussion um Luxuspensionen von ÖRR-Mitarbeiter:innen brennt noch): Flachere Hackordnungen, ein unbürokratischerer Aufbau, vielleicht auchein aus mangelnder Erfahrung resultierender Mut könnten die „Informationsoffensive“ der Privaten, für die man– was ja auch wieder FÜR den ÖRR spricht – jene verdienten Gesichter einsetzt, zu einer gelungenen Konkurrenz machen. Das wird Seriosität, Relevanz und Einfluss des ÖRR keinesfalls schaden: Je mehr Menschen darüber nachdenken, wie gute Informationsvermittlung geht, desto besser.
Kommentare 17
Oh, Privatwirtschaft du soziale Heilsbringerin. Erst wenn jeder Mensch reduziert wird auf seine Leistung als Humankapital, erst dann haben wir soziale Gerechtigkeit. Räte zur Qualitätssicherung oÄ, in denen eh die immer gleichen Süßkartoffeln sitzen, sind ohnehin ein Relikt der dummen Boomer, wir Zoomer hingegen machen es einfach unbürokratisch, geht eh schneller. Der letzte Satz, die chiffriert kapitalistische Losung: Konkurrenz belebt den Markt!
Hä, ich bin hier beim Freitag und gar nicht beim Handelsblatt...???
Die "Abtrünnigen" folgen ihrem Anspruchsdenken ... Kohle. Fast wie beim Fussball ... wechseln Linda Dingsbums vom FC Tagesbild zum FC Nachtbild. Sinnlos, sich darüber ungegendert Gedanken zu machen. Die Medienlandschaft zefranst sich weiter. Gespräche ... wie zu alten Zeiten ... über den Film vom Vorabend, werden immer seltener. Rechnet man den 24h-Sendebetrieb aller Anstalten hoch und runter ... sollte man den Verantwortlichen zur Strafe 10h Testbild verordnen. Dann können sie mal wieder ihren Horizont ausrichten und Balken und Farben und Kontrast schärfen.
Abschalten!
Die Tage des ÖRR mit seinem Alleinanspruch auf seriöse Nachrichten und seinen starren Hierarchien, die sich nach wie vor in einer bestimmten Art von Menschen (männlich, weiß, rechtschaffen betagt) in Führungspositionen und Räten äußern, sind eventuell einfach gezählt.
Die Tage, in der irgendwelche linearen Medien in Deutschland Anspruch auf Seriosität nehmen konnten, sind längst vorbei. Das wird auch nicht besser, wenn man beim Verkünden der Nachrichten steht statt sitzt.
Fernsehen ist wie Rauchen. Es kann ganz angenehm sein, aber es fügt der Gesundheit auf Dauer erheblichen Schaden zu.
Die Darlegung von Jenni Zylka trifft meines Erachtens zwar einige richtige Aspekte. Die Schlussfolgerungen daraus finde ich indess etwa halbherzig und unbefriedigend. Zunächst einmal lassen sich die Anbieter im Bereich TV-Nachrichten weder inhaltlich noch arbeitsrechtlich klar in »Gute« und »Böse« scheiden. Qualitativ dürften die Ö/R nach wie vor die Nase vorn haben – dafür sorgt schon allein der stetig mit zu berücksichtigende Bildungsauftrag. Umgekehrt sind die Privaten einen Tick innovativer: a) weil sie müssen (Werbeeinnahmen, Zuschaueranteile), b) weil keiner der großen Privat-Anstalten von Trash-TV allein leben kann. In Sachen Arbeitsbedingungen würde ich es ähnlich einschätzen wie Frau Zylka: Hierarchien = flacher, Kohle = mehr, Auftragssicherheit = möglicherweise etwas unbeständiger.
So weit, so gut. Wenn die Lage so ist, wie sie ist, können die Ö/R (unter der Voraussetzung, man priorisiert dieses Modell weiter) nur punkten, indem sie das Informationsangebot weiter diversifizieren (was durch Formate wie etwa funk durchaus geschieht) und ansonsten dafür sorgen, dass ihr Angebot in der Branche mit den besten Ruf hat. Nun sehe ich jedoch nicht, dass die Ö/R in den aufgeführten Bereichen eklatante Fehler gemacht hätten. Vielmehr fand ein Wechsel statt von einem Arbeitgeber zum anderen: berufsbiografisch für die Beteiligten sicher bedeutsam, darüber hinaus jedoch kaum eine Chose, aus der sich politisch Alarm schlagen ließe.
"Fernsehen ist wie Rauchen. Es kann ganz angenehm sein, aber es fügt der Gesundheit auf Dauer erheblichen Schaden zu."
Das trifft ja auf Vieles zu. Auto, Handy, PC, Essen, Reisen,....
Wie ist eigentlich dieses eigenartige Bedürfnis entstanden, sich reglos mit Bier und Zuckerkram vor eine Glasscheibe zu setzen und anderen bei irgendwelchen Aktivitäten zuzuschauen?
Regierung per "Bild und Glotze" ist natürlich eine Erklärung, aber damit gings ja doch nicht los.
Das eigenartige Bedürfnis? Ich stelle mir ein Ehepaar vor, das sich eigentlich nicht mehr viel zu sagen hat, aber der Ansicht ist, man müsse unbedingt jedem Abend zusammen im Wohnzimmer verbringen ...
:)
Ich weiß es wirklich nicht. Als Kind fand ich einzige Fernsehsendungen spannend, aber vor Bundestagsdebatten oder Leichtathletik lief ich freiwillig weg.
Und heute habe ich manchmal einen ganz seltsamen Appetit auf "Astro-TV". Das könnte ich manchmal stundenlang gucken - fast reglos, und zur Not sogar ohne Bier und Zuckerkram.
Als hätten sich dort genau das richtige Programm und genau das richtige Medium dafür gefunden.
Oh, und Bibel-TV. Unglaublich, was es alles gibt.
"Unglaublich, was es alles gibt."
In der Tat. Der RBB hatte mal als so eine Art Testbild ein Aquarium vor die Kamera gestellt. Den Rest übernahmen die Fische. Und dazu gab es dann schon bald einen nicht unberühmten Betreuer für die Fische. Es soll größere Zuschauerzahlen gegeben haben.
Dann ließ der RBB mal Kameras in den Führerständen von S- und U-Bahn laufen. Auch hochinteressant. Und Zuschauerzahlen.
Es wäre noch das Pechtropfenexperiment zu nennen. Eine große Herausforderung für Kamera und Zuschauer. Die Kommentierung wäre es gewiss auch.
Hurtigruten hatte zu irgendeinem Jubiläum mal Kameras in die Brücken der Schiffe gestellt. Stundenlang, ja tagelang sanftestes stilles Schwanken im Einklang mit den Wellen. Nur in den Häfen unterbrochen durch begeisterte Gemeinden und deren Tänze, Gesänge... Riesige Zuschauerzahlen.
Das Fernsehen unterläuft täglich mühelos seine eigenen Möglichkeiten. Finde ich jedenfalls. Und habe folglich schon seit beinah 20 Jahren keine Kiste mehr.
Wieso werden eigentlich keine live-Sendungen von unserem ruhmreichen Demokratieverteidigungskampf am Hindukusch gebracht? Oder wenigstens jetzt vom natürlich auch erfolgreichen Rückzug in sowjetisch-ukrainischen Transportfliegern?
Oder von Tarifverhandlungen in der Industrie?
Oder mal was Realistisches aus den Pflegeheimen und Intensivstationen?
Oderoderoder....
Oder mal was Realistisches aus den Pflegeheimen und Intensivstationen?
Egal wo Sie eine Kamera hinstellen - Sie erkennen den Ort und die Menschen, die Sie gerade dokumentieren wollten, binnen Sekunden nicht mehr wieder. Nur auf die Bahn können Sie sich verlassen. Der Zug, der immer unpünktlich kommt, kommt auch mit Kamera unpünktlich.
Wieso werden eigentlich keine live-Sendungen von unserem ruhmreichen Demokratieverteidigungskampf am Hindukusch gebracht?
Sie meinen, vom Abzug? Passiert ja vielleicht sogar.
"Hier Camp Marmal, hier Camp Marmal, zum letzten Mal Camp Warmal, äh, Marmal."
So ähnlich war das ja auch bei der Sprengung auf Helgoland.
"Diversitätsprobleme"
Interessante Wortschöpfung. Kann man völlig unabhängig vom politischem Standpunkt verwenden. Heute im "Freitag", morgen in Kubitscheks "Sezession". Könnte sogar von dort stammen, theoretisch.
genau und mir völlig stulle.
»Wann haben Sie sich zum letzten Mal dem (erheblichen) Gesundheitsrisiko ausgesetzt, (…)«
Aufgrund der von Ihnen gewählten Formulierung gehe ich mal davon aus, dass Ihnen an einer Antwort nicht wirklich gelegen ist.
Mir ist im Bezug zu ÖRR und youtube ÖRR und anderen youtuber, wie etwa Rezo, was anderes aufgefallen.
Wieso grenzt man sich selber aus, so wie es jeder Verschwörungstheoretiker früher auf youtube praktizierte, bis zu dem Tage, an dem Sie alle auf Instagram, telegram oder woanders ihr eigenes Ausgrenzungsplatförmchen aufzogen?
Rezo mit seinem neuesten Video Kanzlerduell, ist solch ein Beispiel dafür und ich habe dann auch dort in den Kommentarspalten das mit der eigenen Ausgrenzung reingeschrieben und sogar nach 2 Sekunden drei Antworten erhalten, die ich auch beantwortet habe und dann war wieder Stille, weil das nicht ins eigene Gruppenbild von verstandener Freiheit und eigener Wichtigkeit für die Gesellschaft passte.
Eine Antwort von mir für das Rezouniversum:
Die CDU/CSU führt keinen Wahlkampf und muss nur darauf reagieren was die anderen Parteien im Wahlkampf so tun, und erzählen um für ihren Stellungswert in ihrer Existenz eine gewisse Wichtigkeit über Prozentzahlen zu erhalten. Ebenso ist diese Rezo Blase mit ihrer eigenen Ausgrenzungserscheinung, nicht wichtig für die CDU/CSU, um einen Wahlsieg einfahren zu können.
Und Rezo ist auch nicht wichtig, so das er eine Neuauflage von einer politischen Rededuellsendung ala Stefan Raab nachmachen muss.
Mit daran beteiligt sind auch Leute aus dem funk youtube Raum der ARD und ZDF Anstalt.
ZDF heute mit seinen Fragen auf youtube, die man über Schablonenantworten beantworten kann, ist ganz niedriges Niveau, wie bei Verschwörungstheoretikern von damals und ist leider eine Methode die auch andere ÖRR Influencer anwenden.
Und wenn ich darüber nachdenke, für was ist youtube eigentlich gut, dann fällt mir nur als Antwort ein, es dient als Negativbeispiel, um sich selber in die richtige Richtung orientieren zu können und dafür braucht es einen mental gefestigten Geist.
Nur wo lernt man das dann, mit dem mental gefestigten Geist als Schutz vor eigener Ausgrenzung aus dem sehenden wie hörenden Wahrnehmungshorizont mit Sprache und bewegter Bilder, über schlechte erstellte Werbeinfos für Bildung und Lifestyle, da ja nur Klicks für die Influencer wichtig sind?
Keine Ahnung. Ich habe mich selbst in diese Richtung, einer eigenen Bildung und dem aussortieren von Wahrnehmungsfallen, die ich nicht haben will, über Negativbeispiele erzogen.
Oh, ich war auch im Analogen Weltentraum unterwegs und habe junge Leute dazu befragt und die waren erst mal darüber erstaunt, über diese Sicht mit der eigenen Ausgrenzung und fanden diese Sichtbeurteilung dieser Umstände sogar gut, um sich selber in ihren Konsum zu hinterfragen.
Und dann war ich wieder im Wald mit seinem Flussbett unterwegs und fand keine Bäume vor, sondern nur Müll aus veranstalteter Parties, oder anderer Ideen für Zusammenkünfte, um eine eigene Ausgrenzung zur Natur, wie auch zu gesellschaftlichen Zwängen zu zelebrieren.
Na ja, es wird heißer in der Umgebung und auch in der Sprach-Info-Welt und das bewirkt, dass man nicht mehr in den Fluss springen kann, weil alles mit voller Müll und Flaschenscherben, die eigene Verletzungsgefahren heraufbeschwört.
Und jetzt viel Spa$$ beim Mülltrennen.
Es wird wohl noch andere Gründe geben außer finanzielle, dass sie vom ÖRR weg gehen. Vielleicht redaktionelle? Vielleicht auch weg vom Biedermeier?
Ich habe kein Privat-TV, seitdem die noch extra Geld haben wollen. So wichtig sind sie mir nicht, zudem habe ich mich für nen Streamingdienst entschieden. Das reicht dann, tausend schlechte Programme brauche ich nicht.
Beim ÖRR finde ich die Nachrichtenredaktion extrem staatsfunkmäßig. Unvergessen, als vor 12 Jahren wegen neoliberalen Schlanker Staat der U-Bahnbau ohne Bauaufsicht die Stadt Köln zum Einstürzen gebracht hatte (es wurde sehr viel mehr Grundwasser abgepumpt als genehmigt, das hatte den Boden unter den Gebäuden weggespült. Tiefbau 1. Semester, so was weiß jeder Architekt) und sämtliche Bausubstanz entlang der Strecke wurde nachhaltig geschädigt, obwohl der Rheingraben Erdbebengebiet ist. Deutschland ist halt ganz offensichtlich Bananenrepublik. Tagesschau, tagesthemen und heute bzw heutejournal meinten, der Grund für die Katastrophe wäre der Karneval und seine Mentalität. Obwohl der WDR zuständig war, haben die verantwortlichen Politikerinnen angewiesen, dass der Bayrische RF die Sondersendung dazu übernimmt. Von so einer üblen Propaganda sind sie bis heute nicht ab. Gab nie eine Rüge deshalb, ist wohl journalistischer Standard des ÖRR. Ein halbwegs intelligenter Mensch hält so einen russisch-chinesischartigen FDP-Propagandafunk doch nicht aus.
Da der extreme Vorfall nie aufgearbeitet wurde, ist das jederzeit in Zukunft wieder möglich, dass die Politik die Aufsicht abschafft und irgendwelche Behördenschnepfen und Baufirmen da ohne Sachverstand ganze Städte zerstören können - ohne irgendwelche Konsequenzen zu fürchten (verurteilt wurden nur ein paar Vorarbeiter), begleitet von der entsprechenden Propaganda des Staatsfunks. Ganz normal Bundesrepublik.
Entschuldigung angenommen.