Oscars-Gewinner „Im Westen nichts Neues“: Produzent Malte Grunert spricht über den Erfolg
Interview Ein Gespräch mit Malte Grunert, dem Produzenten von „Im Westen nichts Neues“. Der deutsche Film gewinnt vier Oscars. Was ist das Geheimnis seines Erfolgs?
Bei Dreharbeiten kommt es nicht nur auf die Schauspieler an: Hauptdarsteller Felix Kammerer wird nachgeschminkt
Foto: Reiner Bajo/Netflix
Bei der Oscars-Verleihung in Los Angeles gewinnt Im Westen nichts Neues vier Auszeichnungen. Der Film von Edward Berger war in neun Kategorien nominiert – die höchste Anzahl an Nominierungen, mit denen eine deutsche Produktion je ins Oscar-Rennen ging. Der opulente Antikriegsfilm nach dem 1928 erschienenen Roman von Erich Maria Remarque ist preisverwöhnt: Zuvor wurde er bereits mit sieben britischen Filmpreisen (BAFTA Awards) ausgezeichnet.
Wir haben vor der Preisverleihung mit dem Produzenten des Films, Malte Grunert, gesprochen. Auf dem Weg vom Flughafen zum Hotel stellte er bei einem Telefoninterview seine Stressresistenz unter Beweis: Er wirkte kein bisschen gejetlagt.
der Freitag: Herr Grunert, wieso überzeugt „Im Westen nichts Neues“ so viele Menschen?
M
222;Im Westen nichts Neues“ so viele Menschen?Malte Grunert: Das hat verschiedene Gründe – der traurigste und ungewollteste ist, dass unser Film wegen des Kriegs in der Ukraine auch im Kontext zum Angriffskrieg dort lesbar ist. Als wir anfingen, den Film zu machen, war das natürlich nicht absehbar und auch nicht intendiert – aber offensichtlich liegt im Stoff von Erich Maria Remarque und damit auch im Film etwas, das in der aktuellen Situation relevant scheint. Ich habe den Eindruck, dass das vor allem in der US-amerikanischen und englischen Presse stark so wahrgenommen wird.Und darüber hinaus?Das liegt wahrscheinlich am Film an sich: Das Besondere an den Nominierungen ist ihre Anzahl. Es sind nicht nur ein oder zwei, sondern es betrifft sehr viele verschiedene Gewerke, ob das nun Kamera, Ton, Szenenbild, Maske oder die Musik von Volker Bertelmann sind. Es ist uns anscheinend gelungen, in all diesen vielen Gewerken richtig gute Arbeit abzuliefern, als echtes großes Team. Und daraus resultiert dann auch die Nominierung als „Best Picture“.Wieso lief das besser als bei manchen anderen Filmen?Ich kann nicht sagen, ob es besser lief. Es haben viele Gewerke auf einem sehr hohen Niveau gearbeitet. Natürlich sind das alles tolle Leute, die auch vorher schon großartig gearbeitet haben – aber ein bisschen ist es wie in der Alchemie: Der Regisseur Edward Berger und ich konnten anscheinend die richtigen Menschen versammeln. Mit der Kostümbildnerin Lisy Christl und der Maskenbildnerin Heike Merker habe ich schon vorher eine Produktion zusammen gemacht, die hatte ich also mitgebracht. Der Director of Photography James Friend und Volker Bertelmann hatten bereits mit Edward gearbeitet, und wir alle konnten uns gemeinsam mit dem Szenenbildner Christian Goldbeck gut und schnell darauf einigen, was uns wichtig ist. James Friend drückte es mal so aus: Es ist sehr selten der Fall, dass alle das Gefühl haben, wirklich denselben Film zu machen. Jedes Gewerk war offen für ein Gespräch mit dem anderen, die Maske konnte mit dem Ton reden, die Kamera mit dem Kostüm, und alle haben versucht, das gleiche Ergebnis zu erzielen. Das war etwas Besonderes.Schwebt der Gedanke vom Film als kollektiver Kunst denn nicht eh über jeder Filmproduktion?Doch, aber es war eine glückliche Fügung, dass das Team und damit die Kommunikation untereinander so gut passen. Es gibt sonst auch mal widerstreitende Interessen, Kamera und Ton zum Beispiel müssen viel kämpfen, weil das Mikrofon ja oft da sein muss, wo die Kamera es nicht haben will – im Bild. Aber das alles hat bei uns wirklich gut funktioniert.Was waren die Herausforderungen aus produzentischer Sicht?Es gab eine Menge technischer Herausforderungen – mal ganz abgesehen davon, dass wir im Frühjahr 2021, also auf der Höhe der zweiten Corona-Welle, gedreht haben, sozusagen als äußere Erschwernis. Ansonsten war das eine Produktion mit hohem und komplexem Aufwand, angefangen mit dem Bau unseres großen Hauptmotivs, des Schlachtfelds, mit deutschen und französischen Schützengräben und dem Niemandsland dazwischen. Ich glaube, das war für alle, nicht nur für mich, das größte Problem, weil man solche Dinge auch ausprobieren muss. Keiner von uns hatte das jemals gemacht, da muss man sich annähern: Wie groß soll das alles sein? Bei jeder Motivbesichtigung wurde alles größer. Erfreulicherweise haben Edward Berger und James Friend bereits ein halbes Jahr vor Drehbeginn angefangen, unsere größeren Schlachtsequenzen aufzulösen und zu storyboarden. Dadurch konnten wir das Szenenbild auf spezielle Einstellungen hin entwickeln. Für alle, also Szenenbild, Kamera, Maske, Ton, nicht zuletzt Regie, waren diese Schlachtsequenzen eine riesige Herausforderung.Inwieweit sind Sie als Produzent in die künstlerischen und kreativen Prozesse eingebunden?Es gibt ja keine feste Definition für produzentisches Arbeiten – beziehungsweise so viele, wie es Produzenten und Produzentinnen gibt. Ich habe ein bestimmtes Verständnis von meinem Beruf: Der interessiert mich nur, wenn ich auch mit der kreativen Entwicklung zu tun habe, also wenn ich zuerst mit den Drehbuchautor:innen Lesley Paterson und Ian Stokell und mit Edward Berger am Buch arbeiten darf, ich bin auch am Casting und an der Auswahl des Teams beteiligt. Auf Englisch würde man sagen: Ich bin eine Art „aggregator“, jemand, der versucht, die richtigen Leute zu finden, die sich auskennen, und denen dann zuzuhören.Eingebetteter MedieninhaltPreise wie der Oscar werden an die Produzent:innen verliehen – wie ist das Bild eines Filmproduzenten außerhalb der Branche?Kann ich nicht wirklich sagen – bei uns ist der Credit Block für Produktion im Abspann recht überschaubar, und dass bei der Oscar-Nominierung für „Best Picture“ nur mein Name, also nur ein einziger Name steht, ist ja eher ungewöhnlich. Ich glaube nicht, dass es in der Öffentlichkeit ein klares Bild davon gibt, was Produzent:innen machen oder was Filmproduktion wirklich ist. Aber das ist auch sehr schwer zu greifen, schwieriger als der Beruf einer Kamerafrau oder eines Schauspielers oder Regisseurs. Zudem gibt es eben diese vielen verschiedenen Möglichkeiten, den Beruf des Produzenten zu definieren und auszuführen.Wieso sind Sie Produzent geworden und nicht etwas anderes in der Filmbranche?Ich saß neulich auf einem Podium mit allen Produzent:innen der anderen „Best Picture“-Nominierten. Auch Jon Landau war dabei, James Camerons Produzent für Avatar – The Way of Water, er produziert alle Cameron-Filme seit Titanic. Und der hat mit meiner Berufswahl zu tun. Denn Anfang der 1990er, als ich gerade mit meinem Jurastudium fertig war und nur wusste, dass ich auf keinen Fall Jurist werden wollte, hatte ich einen Job als Fahrer bei einer US-amerikanischen Filmproduktionsfirma, die in Berlin drehte. Ich war damals schon großer Filmfan. Die Produktion lief aus dem Ruder, ich weiß zwar nicht, wieso, aber man merkte das. 20th Century Fox schickte einen „Executive Producer“ aus den USA nach Berlin, der das richten sollte, so eine Art „Fixer“. Dem wurde ich als Fahrer zugeteilt – und das war Jon Landau. Ich kann mich erinnern, dass ich mir damals anguckte, was der machte, und fasziniert dachte: Okay, offensichtlich gibt es die Möglichkeit, eine Struktur in diesen unfassbaren Zirkus hineinzukriegen. Das kann man besser oder schlechter machen – aber es sieht nach Spaß aus.Braucht man dafür spezielle Charakterzüge?Das ist vermutlich wieder genauso vielfältig wie die Art und Weise, auf die man den Beruf ausüben kann … Ich habe zum Beispiel ein gutes Gedächtnis, kann mir viele Dinge merken und viele verschiedene Dinge gleichzeitig bedenken, auch die Relationen zwischen ihnen, das stresst mich nicht. Ich bin eh einigermaßen stressresistent. Das hilft bestimmt auch.Placeholder infobox-1
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