Knacks und Begehren

Was läuft Über Polyamorie und Psychoanalyse in der Netflix-Serie „Wanderlust“
Ausgabe 50/2018

Was Dion & The Belmonts zum Thema sagen? „Well I’m the type of guy / who will never settle down / where pretty girls are / you know that I’m around / they call me the wanderer / yeah the wanderer / I roam around around around ...“ 1961 brachte The Wanderer seinem Interpreten jede Menge Augenzwinkern ein, viel Verständnis, und eine Portion Neid: Jemand gibt zu, dass er es nicht so genau nimmt mit der Treue, dass er ein Hallodri ist, sich durchschläft, in jedem Städtchen ein anderes Mädchen, in jedem Clübchen ein anderes Bübchen.

Auch die BBC-Serie Wanderlust, die seit Kurzem auf Netflix zu sehen ist, spielt als Ausgangspunkt mit der Idee der genießerischen Untreue: Joy (Toni Collette) und ihr Mann Alan (Steven Mackintosh) haben drei größtenteils erwachsene Kinder durchgebracht, sie sind in ihren jeweiligen Berufen – Joy ist Therapeutin, Alan ist Lehrer – erfolgreich, sie verstehen sich gut, haben ein Häuschen in einer britischen Kleinstadt, nette FreundInnen, liebe KollegInnen. Nach einem schweren Fahrradunfall, der sich wie ein – erst später erklärtes – Leitmotiv durch die Serie und Joys Erinnerungen zieht, ist ihnen jedoch die Lust auf Vollzug abhandengekommen: Beim Sex muss Joy lachen – der Killer für die Bettabsicht. Frustriert gehen beide fremd, finden‘s toll, stimmen darin überein, dass der Seitensprung ihrem Eheleben guttut, und entscheiden, es mit einer „offenen Beziehung“ zu versuchen. Und da fängt dann der Ärger an.

Ärger, den man (trotz der momentan allgegenwärtigen Behauptung glücklich gelebter Polyamorie) längst kommen sah – und versteht. Denn so einfach ist es eben nicht, Lust, Eifersucht, Neid, Vertrauen und all diese diffizilen Gefühle einer langjährigen Partnerschaft neu zu definieren. Schon gar nicht, wenn man gemeinsam Kinder liebt und erzieht. Auch Joys und Alans jeweilige Gspusis, vor allem die Lehrerin Clare (Zawe Ashton), machen irgendwann Stunk. Zusammen mit den detaillierten Problemen, die wie Wellen zwischen Joy und Alan und ihren Kindern wogen, wächst jedoch die Erkenntnis, dass es bei Wanderlust nicht um die Frage geht, wer wen wann „betrügen“ darf, oder wie man jenes „Betrügen“ definiert. Sondern um eine viel tiefer liegende psychologische Ebene: Langsam und mithilfe von Joys eigener Therapeutin (Sophie Okonedo) werden Zusammenhänge in Joys Verhalten sichtbar ...

Wanderlust will nicht moralisieren, so wenig, wie es einst Dion mit seinem pro-polyamorösen Song tun wollte. Und dass sich die Serie so weit in die Psyche ihrer Protagonistin wagt, ist einerseits hübsch und mutig. Andererseits fällt sie dabei aber doch Urteile: Promiskuitives Verhalten scheint mit Dingen gekoppelt zu sein, die unangenehm sind, mit Traumata, Enttäuschungen, oder dem Zwang zur Selbstbestätigung. Durch die psychologische Tiefe, die Wanderlust ab der Hälfte der Staffel erreicht, geht eine anfänglich vorhandene sexuelle Leichtigkeit flöten: Könnte denn eine vom Sex mit dem gleichen Menschen gelangweilte Person wirklich nicht „einfach so“ einen Fremden begehren? Muss dahinter immer eine durch tiefer liegende Erlebnisse getriggerte Beziehungsunfähigkeit stehen?

Wahrscheinlich bespricht man so etwas am besten bei Bedarf mit dem eigenen Psychiater. Immerhin bietet Wanderlust einen Strauß Nebenhandlungen an, die das Grundthema, die Gründe für Distanz und Nähe in Partnerschaften, spiegeln: Die frisch getrennte älteste Tochter Laura muss ihr Selbstbewusstsein wiederaufbauen; die 18-jährige lesbischen Naomi eine neue Liebe finden; und der 16-jährige jungfräuliche Tom endlich begreifen, was von Anfang an etwas zu überdeutlich sichtbar war – dass er seine beste Freundin liebt. Den Abenteuern von Joys Brut fehlt allerdings die Dringlichkeit, die der Haupthandlung innewohnt – im Gegensatz zu Serienvorbildern wie Alan Balls großartigem Familienportrait Six Feet Under oder Jill Soloways Transparent bleiben die Nebenfiguren bei Wanderlust sympathisch, aber egal. Der britische Theaterregisseur Nick Payne, der die Serie schrieb, hat sich dagegen viel Mühe gegeben, Authentizität in der Sprache herzustellen – manche von Joys Patienten bringen keinen einzigen Satz zu Ende. Und auch Joy und Alan stammeln zuweilen mehr als sie diskutieren. Wie aufgebrachte Menschen das eben so tun, kurz bevor der Haussegen runterkracht.

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