Sie wollen doch hier jetzt nicht putzen?! Das ist ein Tatort ...“ Kommissarin Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler) weist eine vermeintliche Reinigungskraft zurecht, die, in Kittel, Gummihandschuhen und mit einem Pümpel in der Hand, neben Blutspuren in der Schultoilette steht. Diese Putzfrau ist aber gar keine. Sondern, wie peinlich, die neue Kollegin: Kommissarin Anais Schmitz lautet der Rollenname von Schauspielerin Florence Kasumba, deren Tatort-Debüt diesen Sonntag ausgestrahlt wird.
So kläglich wie Lindholms erste Begegnung mit der neuen Partnerin scheitert, die hinter Lindholms Fehlinterpretation der Indizien (Frau mit Gummihandschuhen, Kittel und Saugglocke in einer öffentlichen Toilette = Putzfrau) tief sitzenden Rassismus wittert und dementsprechend wütend reagiert, so misslungen ist die Idee, die beiden Ermittlerinnen auf diese Art und Weise aufeinandertreffen zu lassen. Denn die Szene stellt genau das aus, was die Besetzung der vielseitigen, in Spiel, Gesang und Tanz geschulten Schauspielerin Kasumba als Göttinger Polizistin eigentlich beenden wollte: das Thematisieren der Hautfarbe, das für alles (außer vielleicht der Frage, welche Klamotte den Teint am besten leuchten lässt) komplett irrelevant ist. Und das sowohl den Lindholm-Charakter schwächt, zu dem ein solch dumpfes Vorurteil nicht passt, als auch Kasumbas Rolle der durch den gesamten Film gleichermaßen säuerlichen Kommissarin Schmitz, die die Möglichkeit, Kollegin Lindholm habe vielleicht tatsächlich nur nach den Utensilien und nicht nach der Hautfarbe konkludiert, keine Sekunde in Betracht zieht.
Aber Florence Kasumba wird das überstehen. Die 42-Jährige, die mit zwei Geschwistern in Essen aufwuchs und momentan mit ihren beiden Kindern und ihrem Mann in Berlin lebt, hat mehr Erfahrung, als die Befindlichkeiten von deutschen Tatort-Drehbüchern ihr zugestehen: Nach einer umfassenden Ausbildung in den Niederlanden sang und tanzte sie sich durch den König der Löwen, Cats und Elton Johns an die gleichnamige Oper angelehntes Musical Aida. „Sind die Sterne gegen uns, lässt der Himmel uns allein“, klagt sie in der Titelrolle im Duett mit dem geliebten Radames und lässt ihren Mezzosopran bewegt flattern. Seit Jahren spielt sie zudem Neben- und Hauptrollen in deutschen Fernsehproduktionen, darunter viele Tatorte. Besetzt wurde sie in diesen als die gepeinigte Geflüchtete (Der illegale Tod, Im gelobten Land) oder Beschneiderin aus Somalia, deren Aufenthalt eine Scheinehe sichert (Tod einer Lehrerin). In Anna Wingers rasant-brillanter Kalter-Krieg-Serie Deutschland 86 übernahm sie dann den Part einer Widerstandskämpferin. Und, als kleiner Funfact für Comic-Nerds: Florence Kasumba ist einer der wenigen Menschen, die sich sowohl in DC- als auch in den konkurrierenden Marvel-Produktionen tummeln durften. In Patty Jenkins’ zu Recht hochgelobtem feministischen DC-Actionreißer Wonder Woman gab sie die Amazonenkollegin Acantha, in gleich drei Marvel-Filmen überzeugte sie als Ayo, eine Kriegerin aus Wakanda – die in Black Panther mit beeindruckender Choreo, langem Speer und fest entschlossenem Gesichtsausdruck ihren König T’Challa verteidigt.
Diese Entschlossenheit steht ihr gut – und ist, nach ihren eigenen Angaben, Teil ihrer Persönlichkeit: In Interviews beschreibt sich die in Uganda geborene Kasumba, die als Teil des Black-Panther-Teams in den USA längst eine eigene Fangemeinde hat, als „sehr diszipliniert“, akkurat und strukturiert. Sie sei, erklärt sie, ein „fleißiges Kind“ mit einer Leidenschaft für das Tanzen gewesen – und für die Buchführung. Sie erzählt aber auch von Rassismuserfahrungen in ihrer Heimat Deutschland, von den enttäuschenden Vorurteilen, wenn sich wieder jemand über ihr „gutes Deutsch“ wunderte, und die auch ihre Kinder schon erleben mussten. Und von ihren Minderwertigkeitskomplexen als Ballettelevin, weil ihre Figur anders war als die der weißen Tanzmädels um sie herum.
In einem Gespräch mit der Zeit bezeichnete sie sich kürzlich zwar als „gar nicht politisch“, aber sie forderte vor ein paar Jahren schon mal von den deutschen (Fernseh)Filmschaffenden, nicht weiße SchauspielerInnen nicht nur in Nebenrollen als Geflüchtete und drogenabhängige Prostituierte zu besetzen. Ein Wunsch, der bei KollegInnen mit türkischen und arabischen Wurzeln ebenfalls lange ignoriert wurde, bis endlich Figuren wie Elyas M’Bareks Lehrer Zeki Müller und Sibel Kekillis Kieler Tatort-Kommissarin Sarah Brandt ein wenig mehr selbstverständliche Diversität in die deutsch-blasse Kino- und Fernsehlandschaft brachten. Die afrodeutsche Tatort-Kommissarin, die durch die Hochzeit mit einem Deutschen „diesen blöden Nachnamen“ bekam und von Kasumba – absichtlich oder nicht – durch einen robusten Hauch Ruhrpott in der Sprache eine Portion Bodenhaftung mitbekommt, hat jetzt jedenfalls schon mal geklappt. Und Kommissarin Schmitz scheint ausbaufähig: Bislang durfte sie kaum mehr als ihre eingeschnappte Seite zeigen.
Bei Kasumba hat man eh das Gefühl, sie fange gerade erst an. Die Schauspielerin hat eine Präsenz, die sowohl auf der Bühne als auch durch die Kamera leuchtet, ihre Körperspannung verrät die langjährige Tanz- und Martial-Arts-Erfahrung. Als unauffälliges „Lieschen Müller“ kann sie eher nicht besetzt werden. Doch das muss sich mit der Tatort-Rolle nicht beißen: Schließlich schied im letzten Jahr ein echter Berliner LKA-Beamter bei der Pro7-Castingshow The Voice of Germany erst in der zweiten, der sogenannten Battle Round aus. Daneben wäre eine schwarze, Aida-Arien schmetternde Tatort-Kommissarin sozusagen absolut Normalität.
Kommentare 8
Also lernen wir, was wir schon wussten; dass das eine mit dem anderen nichts zu tun hat. Dass ich an Florence Kasumbas Talent, Power und Erfolg nicht annähernd heranreiche, dürfte jedenfalls nichts mit meinem y-Chromosom oder meiner schneeweißen Haut zu tun haben. Es ist einfach Pech.
Einiges gewohnt vom Tatort, aber das ist verdammt schlecht geschrieben alles. Eine Ohrfeige? Da soll die Zuschauerin raten, ob Kasumba nichts anders spielen kann, will oder soll als die Marvel-Amazone, die auch auf dem Foto oben raushängt. Das ist beeindruckend, beißt sich aber nicht mit dem Tatort; es frisst ihn auf.
Merkürdig auch, dass dieser Beitrag im "Politik"-Ressort erscheint. Fallen Neubesetzungen im "Tatort" und die Berufsbiographie einer Schauspielerin nicht mehr unter "Kultur"?
Ja - bemerkenswert fand ich auch, dass diese Einordnung ja noch mal tätig unterstreicht, was im Artikel so vollmundig kritisiert wird:
"...so misslungen ist die Idee, die beiden Ermittlerinnen auf diese Art und Weise aufeinandertreffen zu lassen. Denn die Szene stellt genau das aus, was die Besetzung der vielseitigen, in Spiel, Gesang und Tanz geschulten Schauspielerin Kasumba als Göttinger Polizistin eigentlich beenden wollte: das Thematisieren der Hautfarbe..." ect.
Das geht von hinten durchs Knie in Auge - totaler Krampf im Namen der entspannt- anti-rassistischen Botschaft. Gute Güte.
(Wobei - ein Mediathekbesuch hat ergeben: Der Streifen hat durchaus seine Momente. Dass Frau Schmitz der neuen Kollegin erstmal eine kachelt, anschließend was von "mangelnder Impulskontrolle" murmelt, und man sofort und ganz richtig fürchtet, dass dies bis zum Ende der Episode den Beginn einer wunderbaren Freundschaft markieren wird, steht in guter Tatort-Tradition durchgeknallter Ermittler-Figuren und abwegiger Konstellationen... In anderen Minuten spielen die Milchgesichter in den Nebenrollen das routinierte TV-Personal so an die Wand, dass man beinah das Format vergisst.)
:-))) .... Hach...
//Der einzige Tatort mit durchgeknallten Ermittlern, der wirklich unterhaltsam ist, weil einfach total überzogen und ständig ironisch gebrochen ist der Münster-Tatort...//
Da muss ich gestehen, dass ich auch die kranke Truppe aus Dortmund ganz gerne sehe (und mit Göttingen scheint man ähnliches vorzuhaben: Die erste Folge wimmelte von Hinweisen, dass es sich beim Team um ein Endlager verkrachter Polizeikarrieren handelt)... Das Rostocker Duo Bukow/ König hat auch Charme, und ist mit allen Halbwelt-Verbindungen und biographischen Abgründen sogar ganz kohärent erzählt... Allerdings hält kein Tatort mit Belegschaft und Buch der großartigen Serie Dr. Psycho mit.
//Jetzt kann ich sagen: Nein, ich bin kein Tatort-Fan. Ich kann auch gut ohne Tatort auskommen, und ich verzichte gerne aufs "Mitreden".//
Ich wär die falsche Person, Ihnen das auszureden - im Gegenteil: Volles Verständnis, was sowohl den Tatort/Polizeiruf als auch TV-Krimi an sich betrifft (explizit hierzulande ist das Niveau bestenfalls gehtso - die von mir gelobten Sachen sind mir schon als Ausnahmen im Unerträglichen aufgefallen). Persönlich mag ich das Genre allerdings schon - sehe diese Sachen allerdings aus der spezifischen Distanz, die auch das Fachliche bewertet (also die Erzählweise ect: der Meta-Kram) und nicht allzuviel erwartet.
//Die Vielzahl von Krimiserien und Krimigenres und ihre Beliebtheit lässt vermuten, dass sie eine kathartische Funktion für das Publikum haben.//
Definitiv. Ich möchte behaupten, dass dies immer die Kernfunktion von TV-Unterhaltung ist, und der Krimi ist immer eine dankbare Erzählvorlage für alles Menschliche, das es so zu verhandeln gibt, Abgründe und Extreme inklusive.
//Die ganzen "strafversetzten" Polizisten und Polizistinnen, die sich nicht an die Regeln halten, dürften auch Projektionsflächen sein für Menschen, die gerne mal alles hinschmeissen würden, und sich nicht mehr nach den bullshit-Regeln ihrer Arbeitsverhältnisse verhalten wollen. Und vielleicht ihren inkompetenten Vorgesetzten gerne mal eine tafeln würden.//
Ja - oder auch, um eine Ecke mehr rum: Sie dienen als Identifikationsfiguren für Menschen, die mit dieser Art im richtigen Leben nicht so gut durchgekommen sind. Nun kann man einen soziopatischen Kommissar (der dann natürlich auch seine genialen Momente hat) als Beispiel nehmen, dass eins mit der Nummer sogar Erfolg haben bzw. beliebt sein kann, und sei´s nur als Filmfigur.
Da haben Sie sich aber wirklich gründlich ins Verzichtbare eingefuchst - Respekt! - mit recht scharfsinnigen Schlussfolgerungen immerhin...
In der SZ hat sich ein Frank Zeller Gedanken zu Beliebtheit und Verbreitung des deutschen TV-Krimis gemacht, die dazu ganz gut passen. (Link), darunter:
"Die Helden, mit denen sich der Zuschauer identifiziert, sind allesamt Vertreter der Staatsgewalt. Normale Menschen begegnen ihnen als Antagonisten, die stets verdächtig erscheinen. Zeigt sich hier nicht wieder die altbekannte deutsche Sehnsucht nach Unterordnung unter eine Autorität? Wer sich dem freien Leben nicht gewachsen fühlt, sucht nach Feindbildern und nach Autoritäten. Als Ventil dient das narrative Muster, das die Welt als Dualität von Verbrechen und der ordnenden Hand des Gesetzes zeichnet. Um von sich selbst zu erzählen, brauchen die Deutschen offensichtlich eine höhere Instanz, die alles Leben wie auf dem Seziertisch der Pathologie betrachtet."