Lass meine Flügel leuchten

Was läuft Jenni Zylka wünscht den „Carnival Row“-Fabelwesen besseren Sex und bessere Intrigen. Spoiler-Anteil: 13%
Ausgabe 44/2019

Die Reeperbahn von „The Burgue“ heißt „Carnival Row“. Doch die in der düsteren, viktorianisch anmutenden Hafenstadt ansässigen Sex-Worker*innen gehen nicht auf den Strich – sie flattern. Besser gesagt, sie lehnen auf den Balkonen, wackeln anzüglich mit ihren schillernden Flügeln, fliegen mal kurz in die Luft. Bis ein menschlicher Freier seinen angeblichen Hass auf Feen wegpackt und seiner Lust auf den legendären Feensex nachgibt.

In der „Burgue“-Republik, einem optisch und thematisch zwischen Steampunk, Fin de Siècle und Game of Thrones angesiedelten Fantasy-Reich, stapeln sich nach einem großen Krieg verschiedene Spezies auf einem Fleck: Neben den Menschen, den Feen, die im Original „Fae“ heißen, Kobolden und diversen anderen Wesen stapfen auch Faune auf zwei Hufen durch die engen, schmutzigen Straßen und schütteln die Hörner. Die Menschen in Travis Beachams und René Echevarrias aufwendiger Amazon-Produktion, die sich heftig abmüht, die Game-of-Thrones-Lücke zu füllen, sind die Herren über dieses Fabelland. Und benehmen sich dabei wie üblich: Die nichtmenschlichen Feen und Faune, die abfällig „Critch“ genannt werden, haben in dem ominösen, blutigen Krieg nicht nur ihre Heimat verloren. Sie werden in der „Burgue“-Republik auch noch nach Leibeskräften diffamiert, ausgebeutet und unterdrückt. Bis hin zum Feen-Flugverbot für Kurz- und Langstrecken.

Zwischen die Parallelen zur Fremdenfeindlichkeit, zur sogenannten „Flüchtlingswelle“ (auch xenophobe „Burgue“-Politiker reden von einer „Critch-Flut“, die die „Stadt überschwemmt“) und zur kippenden gesellschaftlichen Stimmung haben die Serienmacher zudem eine klassische Liebesgeschichte gesetzt: Die burschikose Action-Fee „Vignette Stonemoss“ (Cara Delevingne) liebt den mit eigenen Dämonen hadernden Polizei-Inspektor „Rycroft Philostrate“ (Orlando Bloom), genannt „Philo“, und umgekehrt. Doch ob die beiden je glücklich werden, ob Philo die Feen und Menschen betreffenden Serienmorde aufklärt und ob es eine Rettung gegen den Rassismus im Pulverfass „Burgue“ gibt – das weiß nur der durchweg regnerische Himmel.

Carnival Row ist formvollendeter Eskapismus, bis ins Detail mit Schnörkeln gefüllt: Allein die pittoresk-albernen Namen der Beteiligten und ihre ins Schottische, Walisische, Irische hineingefächerten Dialekte, die Fakten, die man sich zusammenreimen muss, um die Befindlichkeiten der „Burguish“ zu verstehen, zeugen von der Lust am Nerdtum. Liebevoll parodieren die Serienmacher dazu menschliche Verklemmtheit – wenn etwa Philo gegenüber seiner Modelfee bei der zweiten, aufgrund eines Zwists etwas abgekühlten Liebesnacht vorsichtig bemerkt, ihre Flügel hätten ja „dieses Mal gar nicht geleuchtet ...“ Vortäuschen ist eben nicht bei sexpositiven Feen. Wenn es ihr keinen Spaß macht, kriegt man’s mit.

Trotz dieser und der Nebenhandlungen, der zutiefst „Puck“-feindlichen Nachbarin eines neureichen Fauns beispielsweise, die ihre Einstellung überdenken muss, und des dräuenden, von Intrigen, Lügen und Kriminalität befeuerten politischen Umsturzes ist die Serie dennoch weniger dicht, weniger fesselnd und weniger sexy als ihre Vorbilder. Bloom und auch die überzeugende Delevingne schlagen sich zwar wacker durch die Flatter-Monster-Golem-Umgebung, und grandiose Nebendarsteller wie Jared Harris als „Absalom Breakspear“ (!), David Gyasi als stolzer Puck „Agreus Astrayon“ (!!) oder Alice Krige als Hexe „Aoife Tsigani“ (!!!) lassen keinen Zweifel daran, wie ernst ihnen die Nummer mit den gebogenen Hörnern und dem „Thank the Martyr!“ (statt „Gott sei Dank!“) ist. Doch im Gegensatz zu Alan Balls geschmeidiger, temporeich erzählter Vampirserie True Blood, die ebenfalls den Hass auf Minderheiten und die Engstirnigkeit der Durchschnittsgesellschaft thematisierte (und sich der Musik des gleichen Komponisten, Nathan Barr, bediente), fehlen dem „Burgue“-Chimärenreich der Humor, der Sarkasmus, der selbstermächtigte Sexappeal, die Coolness, die es auf eine andere Ebene hieven würden. Und so großspurig und mehrgleisig wie GoT ist Carnival Row schon gar nicht – vor allem wandelt in der Märchenhauptstadt kein Tyrion, der mit weiser Ambivalenz so manche GoT-Flachheit in Tiefgang zu verwandeln vermochte. Eine zweite Staffel ist trotzdem geplant. Vielleicht flattert der Carnival Row dafür ja noch eine neue, komplexe Figur ins Haus.

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