Sollte diese Anekdote stimmen, dann ist sie großartig: Angeblich, das erzählte Barbra Streisand kürzlich einem Reporter des Guardian, habe sie bei ihrem ersten bezahlten Soloauftritt im New Yorker Club Bon Soir im Jahr 1960 eine Weste vom Flohmarkt und Second-Hand-Schuhe aus den 20er Jahren getragen. „Und auf dem Weg dorthin dachte ich: Das hier könnte der Anfang von etwas Neuem sein …“
Das kann man wohl sagen. Die damals 18-Jährige hatte bereits Bühnenerfahrung, unter anderem sang sie wochenlang in einem Schwulenclub in Greenwich Village. Im Bon Soir, ebenfalls ein Lieblingsort der künstlerisch interessierten „gay community“, trat sie zwei Jahre lang auf, für eine Gage von 125 Dollar pro Woche – und zunächst a
und zunächst als Warm-up für die exzentrische Komikerin Phyllis Diller. An drei Tagen im November 1962 hielt die Plattenfirma CBS die Konzerte auf Band fest – und unterschrieb einen Vertrag mit der stimmlich schon immer selbstsicheren Sängerin und Schauspielerin, der ihr völlige künstlerische Freiheit garantierte.Doch die Bänder klangen grottig – das Bon Soir, das in den 1970ern seine Pforten schloss, war ein kleiner, dunkler, verrauchter Kellerraum mit dicht an dicht stehenden Tischen, einer winzigen, mit rotem Samt geschmückten Bühne und keinerlei akustischer Präparation für Aufnahmen. Die so musikalische wie perfektionistische Streisand hielt die Tapes zurück – und veröffentlichte stattdessen 1963 ihr Debüt The Barbra Streisand Album, inklusive einiger der zuvor live erprobten Songs.Nicht bereinigt: die StimmeErst 60 Jahre (und wenige Bootleg-Funde) später schafften es Techniker, die Soundqualität zu Streisands Zufriedenheit zu bereinigen. Klavier, Gitarre, Bass und Schlagzeug wurden neu gemischt und bearbeitet, ihre Stimme ließ man jedoch unangetastet. Das war schlicht nicht nötig. Live at the Bon Soir lässt die Karriere vorausahnen: So wie sie sang keine. Auch wenn der Gastgeber am ersten Abend noch ihren Namen falsch aussprach.„Ich wusste technisch überhaupt nicht, wie man singt“, erklärte Streisand dem Guardian, „ich hab die Töne so lange gehalten, weil ich Lust dazu hatte!“ Und Lust hatte sie: Das 1929 entstandene, von den Demokraten als Parteihymne adaptierte Happy Days Are Here Again (auf Deutsch von den Comedian Harmonists zu Wochenend und Sonnenschein aufpoliert) wird in ihrer langsam groovenden Version zum trotzigen Lamento der Hoffnung: „Happy days are here again / the skyyyyyys above are clear again!“ In der Einführung zur atmosphärischen Anti-Liebeskummer-Ballade Cry Me a River kommentiert sie lakonisch ihren Aufzug (die Weste?) mit: „This is my boyfriend’s suit.“ In Cole Porters Come to the Supermarket (in Old Peking) mit seiner absurden, temporeichen Aufzählung des Sortiments eines chinesischen Tante-Emma-Ladens inklusive Kattun, Wasserbüffel, Glühwürmchen und Mänteln erinnert sie sich selbst ans Atemholen: „Well, if you want some calico / Or a gentle water buffalo / Glow worm guaranteed to glow / BREATHE! / Or a cloak inclined to cling / Come to the supermarket in old Peking!“Sie hat nicht nur Stimme, sondern auch Humor – und sie fällt trotz zuweilen mädchenhaftem Gekicher zwischen den Songs nie in die Niedlich-Falle. Dafür war sie, die sich in keinen normativen Schönheitsrahmen pressen ließ, einfach von Anfang an zu selbstermächtigt. Den voller kindlicher Jahrmarktsbilder steckenden Billy-Barnes-Song (Have I Stayed) Too Long at the Fair führt sie mit einem spöttischen „Das ist ein ganz besonders hübscher Song, hübsch, hübsch“ ein und albert mit dem Beleuchter herum: „Wieso singst DU den nicht einfach?“ – „Und du machst dann das Licht?“, fragt er zurück. „Das wollte ich schon immer“, sagt Streisand.Dass sie anstandslos aus dem Pathos schöpft, das in sämtlichen Songs, in der Zeit, im Setting steckt, macht diese spät entdeckte erste Platte dennoch zu einem charakteristischen Streisand-Album: Es geht ihr stets um alles. Die coole Zurückhaltung etwa von Jazz-Sängerinnen ihrer (oder der vergangenen) Zeit ist nichts für sie, Streisand kleckert nicht, sie klotzt – auch damals bereits auf die stimmgewaltigste Art und Weise. Ihr Vibrato schwingt in allen Höhen, und das Mikrofon, das das Können, die Kapriolen und die gut gelaunten Kommentare aufzeichnete, stand nur aus technischen Gründen vor ihr: Streisand singt laut. Sie war eben schon immer nicht zu überhören.Placeholder infobox-1