„Snowflake Mountain“: Vegan in der Wildnis

Streaming Die Reality-TV-Show „Snowflake Mountain“ auf Netflix schickt die Generation Woke zur Umerziehung in die Wildnis
Ausgabe 26/2022

„Generation Gap“ ist ein geläufiger Terminus. Die Soziologie benutzt ihn, um zu beschreiben, was gleichaltrige Menschen verbindet und was sie von den Älteren unterscheidet. X, Y, Z, Alpha – sie alle sind sich nicht grün. Die Nachfolger:innen schwächeln in den Augen der Vorgänger:innen prinzipiell.

Eine besonders dünnhäutige „Generation Snowflake“ wurde dabei von der Autorin Claire Fox (selbst Babyboomer) 2016 in einer Veröffentlichung über einen Streit zum Thema Halloween-Kostüme an einem US-amerikanischen College geprägt, später fand das Wort Eingang ins englische Wörterbuch. Angeblich beschreibt der pejorative Begriff junge, sensible, hysterische, verwöhnte und faule Menschen, die am liebsten bis zum Beginn des Rentenalters im „Hotel Mama“ bleiben würden. (Falls sie überhaupt je lange genug arbeiten, um Rentenansprüche geltend machen zu können.)

Die neue, für Netflix produzierte Reality-Survival-Show Snowflake Mountain spielt mit diesen Vorurteilen. Und setzt in klassischer Reality-Manier ein fettes Ausrufezeichen dahinter: Die zehn aus den USA und Großbritannien stammenden Kandidat:innen zwischen 19 und 28, die in einer Art Erziehungs-Camp in der Wildnis „echte Werte“ wie Zusammenhalt und Fleiß lernen sollen, werden als besonders dämliche Exemplare ihrer Gattung eingeführt. Ihre Eltern sind an ihnen verzweifelt, sie zeigen sich überheblich, schrill, egozentriert und bequem, die Louis-Vuitton-Tasche und der Konturenstift sind ihnen auch in freier Natur näher als das viel sinnvollere Taschenmesser.

Eingebetteter Medieninhalt

Doch das nützt den zehn Schneeflocken, die äußerlich divers (mit sämtlichen Körperformen, Hautfarben und vermuteten Ausrichtungen) auftreten, nichts. Denn die als Anreiz mit 50.000 Dollar prämierte „Challenge“ des Formats, das sich auch für wenig medienkompetente Zuschauer:innen schnell als Fake durchschauen lässt – oder wie können die angeblich sämtlicher Zivilisationsattribute beraubten Kandidat:innen andauernd ihr Make-up auffrischen? –, macht ganz auf Selbsterkenntnis als Weg zur Besserung: Zwei mit ihrer Militärerfahrung prahlende Survival-Experten namens Matt und Joel überwachen als unnachgiebige, aber gutherzige Drill-Instruktoren die Metamorphose der verweichlichten Schäfchen. Und sprengen schon mal deren Koffer mit überflüssigem Wohlstandsplunder in die Luft, schicken sie an den „Last Chance Lake“, an dem es ohne Zelt zu schlafen gilt, oder schockieren die Veganer:innen mit einem getöteten Reh, dessen Häutung ansteht. Wobei das Reh, wie den angeekelten jungen Menschen erklärt wird, nicht aus Spaß, sondern zum Schutz der Wild-Population sterben musste.

Beim Publikum werden demzufolge Sentimente wie Ekel oder Schadenfreude getriggert. Die von der Medienwissenschaft so bezeichnete „Emotionsgemeinschaft“, also die gemeinsame Sichtungsgruppe, die sich dieses Realityformat anschaut und darüber lästert, wird Snowflake Mountain – genau wie ähnliche Shows – vor allem als Schamdroge konsumieren. Und die dann doch recht künstlichen Konflikte vermutlich als das sehen, was sie sind: ein simpel formulierter, erhobener Zeigefinger à la „Fleiß bringt Brot / Faulheit Not“.

Immerhin: Im Gegensatz zu den vielen Formaten, die tatsächlich Wildtiere für die Show töten, Mikrorassimen, Lookismus und Sexismus tolerieren oder sogar inszenieren und das gehässigste Miteinander prämieren, hält Snowflake Mountain seine hehre Absicht aufrecht. Gen Ende der acht recht ähnlichen und darum auch recht ermüdenden Folgen mit ihren ausgedachten Herausforderungen sieht man den Gemeinschaftssinn und den Mut der Kandidat:innen wachsen. Die Dramaturgie entpuppt sich als klassische Held:innenreise, bei der alle gewinnen – an Selbsterkenntnis, an Demut, an Karitas.

Ärgerlich bleibt die Schlichtheit, mit der die angeblichen negativen Charakterzüge und folgenden Veränderungen dargestellt werden, die selbstherrliche Pädagogik, mit der die „Mentoren“ Joel und Matt vorgehen, und der ambivalente Einsatz von Bildern und Sprüchen, der immer wieder mit Spott, Zynismus und Häme jongliert. Die Botschaft ist widersprüchlich – und versackt im artifiziellen Gejammer der Beteiligten. Das anspruchslose Format steht sich selbst im Weg: Es lässt kaum Empathie zu. Ohne die kann es aber keine echte Einsicht geben.

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