Plot voller Löcher

Was läuft Unsere Autorin über das wirre „Insatiable“ und Dicksein als Serienthema
Ausgabe 34/2018

„That’s mumist“, schnaubt die Mutter eines Teenagers empört und meint damit, dass es sich um eine Diskriminierung gegen Zu-Hause-bleib-Mütter, Stay-at-home-Mums, handelt. „Mumist“ ist immerhin ein weidlich einsetzbares Wort (das auch geschrieben gut aussieht!). In der Highschool-Comedy-Serie Insatiable, die seit dem 10. August auf Netflix läuft, steht dieser Gag allerdings allein auf weiter Flur. Den Rest der Produktion, die im Vorfeld einen sagenhaften Shitstorm inklusive über 232.000 Unterschriften für eine Absetzung auf sich zog, kann man getrost mit Schmackes in die Tonne treten. Allerdings weniger aus den Gründen, die in der vor Ausstrahlung veröffentlichten Petition genannt werden und sich auf einen etwa zweiminütigen, absichtlich missverständlichen Trailer bezogen. „Fatshaming“ kann man der Serie nämlich kaum vorwerfen, in der die übergewichtige Patty nach einem Kieferbruch Gewicht verliert, später als schlanker Racheengel an Schönheitswettbewerben teilnimmt und denen eins auswischen will, die sie früher gemobbt haben. „Shaming“ dagegen schon. Schämen müssen sich sämtliche Verantwortlichen – die Showrunnerin Lauren Gussis, auf deren Erinnerungen die Story angeblich beruht, genau wie die Regisseure und Autoren der ersten (und ganz sicher letzten) zwölfteiligen Staffel.

Fatshaming bedeutet, sich über jemanden lustig zu machen, der nach normativen Maßstäben übergewichtig ist. Patty (Debby Ryan) wird von ihren Mitschülern „Fatty Patty“ genannt, ist Opfer von Bullying und Mobbing, hat kein Glück bei den Jungs und zieht darum 24 Stunden am Tag eine frustrierte Schippe. Dass es diese Art von Diskriminierung gibt, ist eine Tatsache, die man in einem fiktionalen Plot durchaus als Prämisse nutzen darf. Und Patty rächt sich – jedenfalls könnte man den wirren, dramaturgisch erschreckend löcherigen Plot als Rachefeldzug auslegen. Mithilfe eines Sidekicks namens Bob (Dallas Roberts) will Patty den „Miss Magic Jesus Pageant“ gewinnen. Bob arbeitet als Rechtsanwalt, sein Traumberuf aber ist erstaunlicher- und auch sehr queererweise „Schönheitswettbewerbstrainer“, weshalb er Patty in High Heels den Catwalk-Gang vorwackelt, Concealer benutzt und nie ohne Schminkkoffer unterwegs ist. Vorher verspinnt sich die Handlung aber noch in abstruse Stränge um die White-Trash-Vergangenheit von Bobs Frau, einen versuchten Mord und das Verhältnis zwischen Bob und einer ehemaligen Liebhaberin. Die innerserielle Logik geht dabei permanent auf so unglaublich unbedarfte Weise verloren, wie man es in den letzten Jahrzehnten US-Fernsehtradition selten gesehen hat. Vor allem bei Netflix, die zwar ganz klar ihren Produktionen keinen Signature-Stempel aufdrücken wollen, aber bislang zumindest für einen gewissen erzählerischen Standard standen.

Insatiable wirkt dagegen, als ob die Serie nicht mal bemerkt, wie hoffnungslos sie sich verrennt. Und wie viele gesellschaftliche Gruppen sie anpinkelt, weil den Erfindern nicht klar ist, dass es einen Grund gibt, auch im Comedykontext mit Themen wie Bodyshaming oder Pädophilie (gegen Bob gibt es eine falsche Anschuldigung wegen sexueller Belästigung) sensibel umzugehen.

Schade, dass „Fatty Patty“ nicht einfach „Powerful Patty“ werden und ihre Feinde nach „Der Graf von Monte Christo“-Manier mithilfe der nötigen Penunzen ärgern und übergewichtig bleiben durfte. Das hätte die Serie bei dem augenscheinlichen Talentmangel zwar auch nicht gerettet, aber uns die unpräzise Diskussion erspart.

Und es gibt doch so viele Beispiele, wie man es besser machen kann! Die Lifetime-Serie Drop Dead Diva etwa, die von einem bislang vor allem auf dem Schönheitsticket reisenden Model erzählt, das nach einem tödlichen Unfall im Körper einer schlauen, übergewichtigen Rechtsanwältin wiedergeboren wird und sich dadurch der Ungerechtigkeiten der Welt bewusst und final von ihrem Freund auch in ihrer neuen Form geliebt wird. Oder Dietland über eine weibliche Terrorgruppe, die mit Männermorden gegen Bodyshaming vorgeht. Und die aus bekannten Gründen in anderer Hinsicht zu verurteilende Serie Roseanne um zwei glückliche Übergewichtige. Und es wird mehr werden: Bei der Geschwindigkeit, mit der das Gewicht der Weltbevölkerung sich momentan in Richtung Adipositas steigert, werden Serien mit „Fat Pride“-Aussagen nicht ausbleiben. Mal sehen, wie man diese dann diskutiert.

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