Streiterei in einer Redaktion? Wünschenswert!

New York Times Dass es unter Zeitungsmachern Meinungsverschiedenheiten gibt, ist normal. Dass diese aber zunehmend öffentlich ausgetragen werden, ist ein Problem
Ausgabe 08/2021
Viel Streit hinter geschlossenen Türen: Eingang zum Redaktionsgebäude der New York Times
Viel Streit hinter geschlossenen Türen: Eingang zum Redaktionsgebäude der New York Times

Foto: Mario Tama/Getty Images

„Das ist Demokratie – langweilig wird sie nie!“ So weit der Musiker Andreas Dorau. Ganz und gar nicht langweilig ist darum auch die Debatte um Sprachpolitik in den Medien, wegen der einige US-Journalist*innen ihren Stuhl räumten: Der New-York-Times-Reporter Donald McNeil, der 2019 bei einer Studienreise das N-Wort benutzt hatte (in der Nachfrage gegenüber einer Mitreisenden, die ihm von einem möglicherweise rassistischen Vorfall berichtet hatte und seine Einschätzung wollte), ist ab März arbeitslos, unter anderem weil 150 Mitarbeiter*innen in einem Brief an die NYT-Chefredaktion Konsequenzen forderten. Auch andere Beschäftigte der einflussreichsten US-amerikanischen Tageszeitung verließen das Blatt. Ein Meinungsredakteur kündigte, nachdem in Social Media kritisiert worden war, dass er den Gastbeitrag eines republikanischen Senators verantwortet hatte, in dem der Einsatz von Militär gegen die Black-Lives-Matter-Bewegung gefordert wurde. Eine Meinungsredakteurin begründete ihre Kündigung damit, dass sie sich von Kolleg*innen schikaniert fühle, wenn sie deren linke Mainstream-Haltung nicht teile.

Nun sind Streitereien innerhalb von (vor allem Meinungs-!) Redaktionen erstens älter als ein Baum, zweitens unvermeidbar, um den Pluralismus aufrechtzuerhalten und abzubilden, und drittens somit unbedingt erwünscht. Die Frage nach den Grenzen jener Offenheit, zum Beispiel wenn es um gewaltfördernde, latent rassistische Kommentare geht (wie im Fall mit dem Militäreinsatz gegen Bürgerrechtler*innen), muss diskutiert werden, und dass zuweilen Kolleg*innen aus einer Vielzahl von Gründen woanders besser aufgehoben sind, ist auch nichts Neues.

Schwierig ist allerdings, dass der Ort für diese Diskussionen durch Social Media zunehmend die Öffentlichkeit wird. Der Versuch, mit dem Hinweis auf Basisdemokratie innerhalb und außerhalb der Redaktion Unterstützer*innen für eine angestrebte redaktionsinterne Entscheidung zu finden, kann eine Diskussion nur ungenau wiedergeben: Ein Medium sollte zwar verpflichtend interne Streitigkeiten transparent machen, so wie es die taz in Bezug auf Hengameh Yaghoobifarahs Polizei-Kolumne tat. Viele Zeitungen, auch diese, drucken zudem „Repliken“ zu eigenen Debattenbeiträgen – sie haben dieses Beleuchten von allen Seiten redaktionell schon lange geplant. Dass Medien die Kommentare ihrer Nutzer*innen brauchen, steht außer Frage, eine Zeitung ist, besonders in den nicht nachrichtlichen Anteilen, ein Kommunikationsangebot. Und wird nicht von „der Presse“ oder „den Journalist*innen“, sondern von uns allen gemacht: Wir sind die, die schreiben, und wir sind die, die lesen. Es gibt nur ein Wir.

Doch manchmal wissen manche von uns zu wenig, um tatsächlich Position beziehen zu können: Je mehr Bande zwischen dem Vorfall und der am Ende stehenden Forderung liegen, desto vager wird das Ergebnis. Ein Medium muss es darum möglich machen, sich über Äußerungen und Verhalten von Kolleg*innen direkt zu beschweren und so für nötige Konsequenzen zu sorgen, dafür gibt es den Betriebsrat, Gleichstellungsbeauftragte und Personalabteilungen. Darüber berichten muss es danach trotzdem. Der von Mark Gatiss und Steven Moffat für die BBC in die Jetzt-Zeit katapultierte Graf Dracula treibt es auf die Spitze, wenn er sagt: „Democracy is a tyranny of the uninformed.“ Aber in einem hat er recht: Information ist King. Oder besser: demokratisch gewähltes Oberhaupt.

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