Der Begriff „kein Blatt vor den Mund nehmen“ stammt aus dem antiken Theater. Schauspieler:innen hielten sich bei Stücken, in denen die Herrschenden kritisiert oder lächerlich gemacht wurden, ein Feigenblatt vor das Gesicht – in der Hoffnung, für ihre despektierlichen Aussagen so nicht zur Rechenschaft gezogen werden zu können.
Das ist heute anders. Der Schauspieler, Produzent und Regisseur Til Schweiger zum Beispiel hat sich bei der Promotour zu seinem Film Manta Manta – Zwoter Teil weit aus dem Autofenster gelehnt, und Bild erzählt, wie sehr ihm Teile der Regierung zuwider sind. Robert Habeck „verzapft Mist und hat von Wirtschaft keine Ahnung, soll weiter Kinderbücher schreiben“, Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang „hat noch nicht mal ein abgeschlossenes Studium. Und die kriegen 20.000 Euro im Monat. Und wer bezahlt das? Das Volk.“ Darüber hinaus bezeichnete Schweiger die so genannten Klima-Kleber als „Vollidioten“ und „große Plage“, kolportierte, die Aktivist:innen bekämen ein monatliches Gehalt und würden in Trainingscamps ausgebildet, er drohte an, handgreiflich zu werden, wenn er mal in die Situation käme: „Ich habe das Video von einem gesehen, der einen Klimakleber weggezogen hat. Ich glaube, ich würde das genauso machen.“
Der Inhalt dieser lupenreinen Populismus-Attacke darf nicht verwundern: Wenn man Werbung für eine nur notdürftig mit Pennälerhumor zusammengeschweißte Blechkisten-Komödie macht, muss man sich auch dementsprechend verhalten. Schweigers Glaubhaftigkeit als goldkettchentragender Rennfahrer wird von seinem Gepolter großartig untermauert. Und dass es bei dieser Art des Trashtalk nicht um Wahrheit, noch nicht mal um Inhalt geht, liegt in der Natur der Sache: Man will das Gegenüber beleidigen und provozieren, nicht einen Weg finden, um unterschiedliche Ansichten zu verstehen, oder gar die eigene Haltung (wenn ich es eilig hab, hab ich es eilig) angesichts der dringenden Notwendigkeit einer umfassenden Verkehrswende zu überdenken.
Offiziell zum Wutbürger geworden, mit sämtlichen Symptomen
Trotzdem ist das Ausmaß von Schweigers polemischer Selbstinszenierung enorm. Genüsslich ist er offiziell zum Wutbürger geworden, mit sämtlichen Symptomen: Laute Kritik beziehungsweise tiefes Misstrauen gegenüber der Politik („die da oben“); Anbiedern beim „kleinen Mann“, dessen letztes Vergnügen, das Autorennen vorbei an fahnenschwenkenden Blondinen, auf der Kippe steht; ein diffuses Nostalgie-Gefühl gegenüber einem „Früher“, als die Welt noch in Ordnung war, und echte Männer schnelle Angeberkarren steuern durften; und persönliches Nicht-Betroffen sein – Schweigers Wohlstand distanziert ihn von den Ängsten der größtenteils ärmeren Restbevölkerung. Im Jahr 2022 war er mit einem Vermögen von 35 Millionen Euro der reichste Schauspieler Deutschlands.
Der konservative US-Schauspieler und Posterboy der „National Rifle Association“ Charlton Heston sagte einst, politische Korrektheit, und damit der Vorreiter der von Schweiger im genannten Bild-Interview angeklagten „Wokeness“, sei Tyrannei. In einer Rede, die Heston 1999 in Harvard hielt, beklagte er eine „Limitation der persönlichen Freiheit“ durch ebendiesen Wunsch nach „korrektem“, also nicht beleidigendem, gerechten Verhalten. Zwar lässt sich Schweiger nicht wirklich mit Heston vergleichen, dazu sind sie einfach zu unterschiedlich in Arbeitsniveau und Relevanz. Aber beide lassen sich freiwillig politisch instrumentalisieren, und genießen die von ihnen dadurch empfundene Bedeutung. Stolz nehmen sie „kein Blatt vor den Mund“. Dass zwei CDU-Abgeordnete Til Schweiger – natürlich ebenfalls in der Bild – jetzt eingeladen haben, ihrer Partei beizutreten, spricht für sich. Aber markige Aussagen allein machen jemanden nicht zum Experten. Im Gegenteil: Ein leeres Fass dröhnt lauter als ein gefülltes. Das gilt erst recht für Benzinfässer.
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