Für einen Ort, der von Wüste umschlossen ist, sind Temperaturen um die 20 Grad recht angenehm. Es war der November 2012 in der ägyptischen Stadt Assiut, rund 400 Kilometer südlich von Kairo, am Ufer des Nils, als hier Mitarbeiter des Siedlungsprogramms der Vereinten Nationen (UN-Habitat) erstmals das Problem in Augenschein nahmen, das Assiut mit sehr vielen Orten der Welt teilt: Den Exodus vom Land in die Stadt. Das rasante Bevölkerungswachstum der Ballungsräume.
Jedes Jahr wächst Assiuts Bevölkerung um drei bis vier Prozent. Rund 400.000 Menschen leben hier mittlerweile. Und das auf engstem Raum: Die Wüste schnürt die Stadt ein, im Osten begrenzt ein Hochplateau ihre Ausbreitung. Das macht die Stadt für UN-Habitat interessant, die Mitarbeiter haben nach ihrem Antrittsbesuch 2012 ein großes Forschungsprojekt gestartet: ein Dutzend Institutionen sind beteiligt, das Bundesministerium für Bildung und Forschung etwa hat 13 Millionen Euro für den Zeitraum 2014 bis 2019 lockergemacht. Es geht um die Potentiale von „Rapid Planning“, von beschleunigter Stadtplanung.
Dicht an dicht
Denn Stadtplanung bedeutet an Orten wie Assiut, in Windeseile fünf- bis sechsstöckige Häuser hochzuziehen, dicht an dicht. So entstehen riesige informelle Siedlungen, Elendsviertel, wo Bewohner ohne fließend Wasser und Strom leben. Es gibt kaum richtige Straßen, die Müllentsorgung funktioniert nur mäßig. Dazu kommen Konflikte um das wenige fruchtbare Land an den Ufern des Nils.
Die Situation in Assiut sei typisch für schnell wachsende Städte gerade in Ländern der arabischen Welt, sagt Sebastian Lange von UN-Habitat. Rapid-Planning soll helfen, Städte in Zukunft trotzdem lebenswert zu machen – und „wettbewerbsfähig“. Firmen sollen sich ansiedeln, Industrie und Arbeitsplätze sollen entstehen. Und zwar ohne, dass die Bewohnerinnen darunter leiden. Ordentliche Wohnungen, saubere Luft und sauberes Wasser, Strom und nicht zuletzt ein ausreichendes Einkommen.
Für die saubere Umgebung, Wasser, Strom sowie die Ver- und Entsorgung soll Rapid Planning sorgen. Konkret geht es etwa um die dringend notwendige Verbesserung und Beschleunigung der Absprachen zwischen den Zuständigkeiten der maßgeblichen Sektoren, denen für den Bau von Abwasserkanälen und dem Verlegen von Stromkabeln etwa.
Die Kapitulation
Denn bisher werden Straßen und Wasser- und Stromleitungen meist unabhängig voneinander geplant, dadurch werden oft umständliche Nachinstallationen nötig.
Oft ist der Zuzug so stark, dass die Stadtverwaltung kapituliert und ganze Viertel sich selbst überlässt. Dann bauen sich die Menschen ihre Häuser oder Hütten selbst, es entstehen Slums. Rund 863 Millionen Menschen, schätzt UN-Habitat, leben heute in Slums, im Jahr 2030 sollen es doppelt so viele sein. Dass diese Elendsviertel so stark wachsen, ist einerseits ein Symptom von Armut, aus UN-Sicht ist es aber auch ein Grund dafür. Wer in Slums lebt, geht meist informellen und schlecht bezahlten Jobs nach, verfügt nicht über die Vorzüge einer systematischen Absicherung, etwa im Krankheitsfall.
Deswegen, so ist Sebastian Lange überzeugt, kann das Rapid-Planning-Projekt letztlich auch Armut bekämpfen helfen, indem es die Entstehung von Elendsvierteln vermeiden hilft. Allerdings ist Rapid Planning ein Forschungs-, und kein Umsetzungsprojekt. Dafür werden andere zuständig sein, vor allem finanzkräftige Institutionen wie die Weltbank. Letztere aber hat mit Infrastrukturprojekten im vergangenen Jahrzehnt dafür gesorgt, dass 3,4 Millionen Menschen ihr Land oder ihre Lebensgrundlage verloren haben – Recherchen des International Consortium of Investigative Journalists förderten dies 2015 zutage.
Die scheinbare Lösung
Die Rapid Planner der UN wollen derweil nicht der Vertreibung für teure Neubauten den Weg bereiten, sondern „transsektorale Planung“ in Städten wie Assuit zum Standard machen: Planung aus einem Guss. In der Praxis sähe das dann so aus: Der Biomüll eines Viertels wird gesammelt und in einer Biogasanlage in Energie umgewandelt. Oder er wird in eine Kompostieranlage gebracht, damit ihn Kleinbauern zum Anbau von Obst und Gemüse nutzen, und damit Hunger wie Armut reduzieren.
Das Projekt steht noch am Anfang seiner dreijährigen Laufzeit. „Grundsätzlich ist der transsektorale Ansatz sinnvoll“, sagt der Stadtplaner Uwe Altrock, Leiter des Fachbereichs Stadterneuerung und Stadtumbau der Universität Kassel. „Allerdings zeigen Erfahrungen mit ähnlichen Projekten, dass es im Nachgang vor allem zwei Probleme gibt.“ Dass sich nämlich der hohe Organisationsgrad, den die beschleunigte Planung in der Stadtverwaltung vorsieht, vor Ort nur schwer umsetzen lässt – etwa, weil es zu wenig Personal gibt. Und dass das Leben in den neuen, schlau geplanten Vierteln gerade für Ärmere dann möglicherweise nicht mehr erschwinglich ist. „Es ist wichtig, dass gerade für die Wasser- und Stromversorgung ein realistischer Nutzerbeitrag errechnet wird“, sagt Altrock.
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.