Die Finanzmetropole Frankfurt wurde im Sommer 2012 von Blockupy-Aktivisten belagert. Was erwartet die Banker?
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Die Lichter der Bürogebäude im Frankfurter Bahnhofsvierte sind aus. Auch das DGB-Haus liegt im Dunkeln, nur die Leuchtreklame für den hauseigenen Jugendclub U68 strahlt in die Dämmerung. Die Mitarbeiter der umliegenden Büros haben die Innenstadt am späten Freitagnachmittag schon verlassen, nun kommen die Blockupy-Aktivistinnen und Aktivisten zu ihrem Treffen im U68. Für sie beginnt die zweite Schicht des Tages, die Arbeit am Widerstand.
Die Messlatte liegt hoch: Im Mai vergangenen Jahres kamen rund 30.000 Menschen zur Blockupy-Demonstration nach Frankfurt. In diesem Jahr sollen es wieder Zehntausende werden, wenn gegen Europäische Zentralbank (EZB) und andere „Krisenprofiteure“ protestiert wird. Für den 1. Juni ist eine Großdemo
Großdemo geplant – gegen Kapitalismus und die Verarmungspolitik von Bundesregierung und Troika aus EU-Kommission, EZB und Internationalem Währungsfonds. Die EZB soll während der Aktionstage ab 31. Mai blockiert werden.Sprechstunde im Jugendclub„Das Signal der Solidarität ist angekommen“, glaubt Demo-Anmelder Werner Rätz von Attac. Inzwischen werde stärker mit den Trägern der Proteste in Europa und aller Welt zusammengearbeitet. Ende April soll es in Frankfurt ein letztes internationales Treffen vor den Aktionstagen geben. Im deutschen Blockupy-Bündnis sind linke bis linksradikale Gruppen wie Attac, Interventionistische Linke, Occupy Frankfurt, Jugend- und Studierendenverbände, das Erwerbslosen-Forum Deutschland, die Linkspartei und das Bündnis „Ums Ganze“.Auch Gewerkschaften und Sozialverbände seien inzwischen offener für die Proteste, sagt Rätz. Im vergangenen Jahr sei das Blockupy-Bündnis oft auf Ablehnung gestoßen, nun würden Gewerkschaften und Sozialverbände eine Teilnahme an der Demonstration zumindest diskutieren.Die Frankfurter Vorbereitungsgruppe trifft sich jeden Freitag im DGB-Jugendclub U68. Vorher gibt es eine „Sprechstunde“. In dem kleinen Raum mit Theke werden Neuankömmlinge von einem nicht mehr ganz jugendlichen Mann begrüßt, der sich als „Thomas Occupy“ vorstellt. Auf seiner Tasche prangt der Leitspruch der Occupy-Proteste von 2011: „Wir sind die 99 Prozent“. Unübersehbar sind auch die großen Buttons, die wie Orden dicht aneinandergereiht auf dem Trageriemen stecken und sich abwechselnd zu Occupy oder Blockupy bekennen.Beide Protestbewegungen sollte man aber nicht in einen Topf werfen, warnt seine Mitstreiterin, die Christa genannt werden will und im U68 ihr erstes Feierabendbier trinkt. Occupy war ihr immer zu verwaschen und diffus, sagt sie. „Ich bin nicht offen für alles, ich bin klar links. Und meine Bereitschaft, mir das Gerede von Bankern mit schlechtem Gewissen anzuhören, hält sich in Grenzen.“Gruppentreffen wieder seit der KriseChrista war schon im Jahr 2010 Teil einer Initiative, die mit einem Bankenaktionstag ein Zeichen gegen die Abwälzung der Krisenfolgen von oben nach unten setzen wollte. Anders als heute habe das damals aber noch niemanden interessiert, erzählt Christa.Sie selbst ist nicht erst seit der globalen Finanzkrise Antikapitalistin. Sie war schon bei der Anti-Atomkraft-Bewegung, den Protesten gegen die Frankfurter Startbahn West und den Autonomen der Achtziger dabei. Ganz hat sie die Politik nie losgelassen, sagt Christa. Aber zu Gruppentreffen gehe sie erst wieder seit der Krise.Auch für Thomas begann mit Occupy seine zweite politische Karriere. Er ist ein alter Veteran aus der Hausbesetzerszene der Hamburger Hafenstraße. Was er da gemacht hat, will er lieber nicht sagen, nur soviel: „So richtig inhaltlich war das nicht.“ Heute glaubt er, dass der Kapitalismus ohne Moral keine Existenzberechtigung habe.Nicht zu viel SelbstfindungAls Thomas das sagt, verdreht Christa ihrer Augen. Die Diskussion über Reform oder Revolution ist offenbar weder den beiden noch dem Blockupy-Bündnis neu. Das Besondere sei aber, meint Christa, dass es momentan in der Linken sogar über Ländergrenzen hinaus einen „Konsenswillen“ gebe. Blockupy richtet sich gegen die autoritäre Krisenpolitik, je nach Gusto werde dies in den unterschiedlichen Gruppen und Organisationen antikapitalistisch oder kapitalismuskritisch ausgelegt. Mitmachen dürfen alle – außer den Rechten. Der Konsens klingt banal, „schwierig war das trotzdem“, erzählt Christa. Sie kennt die stundenlangen Diskussionen auf Gruppen-Plena und Delegiertentreffen.Eine viertel Stunde nach Beginn der „Sprechstunde“ betreten zwei adrett gekleidete Mittzwanziger den Raum. Jerzy und Jan stellen sich als Vertreter der „Platypus Affiliated Society“ vor. Die beiden erklären das Ziel ihrer Organisation: Man möchte zur tieferen Selbstaufklärung der Linken beitragen. Es gebe zwar „Aktionseinheiten“ aber keine „ideologische Kohärenz“ und womöglich auch „keine handlungsanleitende Praxis, die Aussicht auf Veränderung hat“, dozieren sie. Deshalb müsse man die Ziele, den Charakter und die Notwendigkeit einer Linken neu bestimmen.Thomas‘ Miene wechselt zwischen Verwirrung, Neugierde und Entsetzen, bis er den „Redeschwall“, wie er die Ausführungen nennt, unterbricht: „Wollt ihr hier mitmachen...?“ Die beiden Abgesandten haben eine Podiumsdiskussion zur „Selbstaufklärung“ vor Augen. Thomas und Christa finden das zwar „interessant“, oberste Priorität soll der Selbstfindungsprozess aber erstmal nicht haben. „Daran zerbrechen Aktionsbündnisse wie Blockupy“, meint Christa.Die gesellschaftlichen Vereinzelungsprozesse seien so stark fortgeschritten, dass die Leute überhaupt erstmal wieder lernen müssten, miteinander ins Gespräch zu kommen. Das hat Christa letztes Jahr im Camp erlebt. „Da hat immer irgendwer irgendwas gesagt.“ Die jungen Männer werden an die Blockupy-Veranstaltungsgruppe verwiesen, allerdings nicht ohne den Hinweis, dass noch Leute gesucht werden, die das Infotelefon besetzen.Ärger mit der Stadt FrankfurtWeil Disskussionen öffentliche Räume brauchen, wird auch noch ein zentraler Platz für ein Camp im Stadtgebiet gesucht. Während der geplanten Aktionstage sollen dort Veranstaltungen angeboten werden, zudem könnten Gäste aus aller Welt dort übernachten. Doch die Blockupy-Veranstalter sind mit ihrem Anliegen bei der Stadt Frankfurt bisher auf taube Ohren gestoßen. Ein Gespräch mit dem Frankfurter Ordnungsdezernent Markus Frank (CDU) blieb am Montag ohne Erfolg.Die Blockade-Haltung kommt jedoch nicht überraschend. Im vergangenen Jahr hatten die Verantwortlichen der Stadt alle Blockupy-Aktionen verboten und durch riesige Sperrzonen die gesamte Innenstadt über Tage lahmgelegt. Der Kurs der Stadt wurde damals auch vom hessischen Innenminister Boris Rhein (CDU) unterstützt, der vor „Gewaltorgien“ gewarnt hatte.Doch das harte Vorgehen der Stadt hatte einen Nebeneffekt: Es mobilisierte nicht nur Kapitalismusgegner, sondern auch Bürgerrechtler nach Frankfurt. Und durch die Medienberichte hatten auch wirklich alle Linken mitbekommen, dass in der Bankenmetropole demonstriert wird. Die Abschlussdemonstration wurde letztlich durch ein Gericht doch noch genehmigt, laut Veranstalterangaben kamen rund 30.000 Menschen.Die kommende Demonstration am 1. Juni ist bisher erlaubt. Anmelder Werner Rätz rechnet derzeit mit etwa 20.000 Teilnehmern. Auch aus dem Ausland dürften einige Aktivisten anreisen. Die Proteste in den südlichen EU-Staaten haben am Kurs der Troika bisher nichts geändert. Für die Blockupy-Aktivisten ist das ein Grund mehr, den Protest nach Frankfurt, in das „Herz des europäischen Krisenregimes“ zu tragen. Der Druck müsse weiter erhöht werden, findet Rätz. Deshalb wollen die Aktivisten auch nicht bloß demonstrieren, sondern auch die EZB blockieren.
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