European Space Conference: Grüne erobern das Weltall

Schwerelos Wirtschaftsminister Robert Habeck träumt bei der European Space Conference in Brüssel von einem nachhaltigen Weltraumprogramm. Es lockt der Mond
Exklusiv für Abonnent:innen | Ausgabe 05/2023
Die Raumfahrt-Lobby traute ihren Ohren kaum, was dieser Mann in Brüssel zu sagen hatte
Die Raumfahrt-Lobby traute ihren Ohren kaum, was dieser Mann in Brüssel zu sagen hatte

Foto: David Hecker/epa-efe/picture alliance

Mit einer zugleich aufrüttelnden und schlichten Kriegsrede eröffnete Josep Borrell, Vizepräsident der EU-Kommission, die 15. European Space Conference in Brüssel: „Space is a new battlefield.“ Längst hätten die irdischen Konflikte den Weltraum erreicht, sagt der Außenpolitik- und Sicherheitsbeauftragte der Kommission. Erstes Anzeichen des aufkommenden Krieges sei der Abschuss eines unbrauchbar gewordenen Satelliten durch eine russische Antisatellitenwaffe (ASAT) im November 2021 gewesen. Darauf folgte wenige Wochen später, am Vorabend der russischen Invasion in der Ukraine, ein Cyberangriff auf das Satelliten-Netzwerk ViaSat, ein privatwirtschaftliches Unternehmen, das von den ukrainischen Streitkräften auch als Kommunikationsnetz genutzt wird. Das russische Außenministerium bezeichnete die Unterstützung privater Satellitensysteme im Krieg im Oktober vergangenen Jahres als „Provokation“ und erklärte die Himmelskörper deshalb zu legitimen Zielen. „Die russische Invasion hat die Bedrohungen, die wir im Weltraum sehen, verschärft und die Verwundbarkeit unserer Systeme aufgezeigt. Aber sie hat auch unsere Entschlossenheit gestärkt, Sicherheit und Verteidigung dringender anzugehen“, so Borrell.

Ende Januar versammelte sich das Who’s who der europäischen Space-Branche hinter den dicken Mauern und massiven Eisenzäunen des Egmont-Palais in der belgischen Hauptstadt Brüssel. Ein neoklassizistischer Bau aus dem 16. Jahrhundert, der in seiner Protzigkeit an den Reichtum historischer Eroberungen erinnert. Irgendwie passend. Wie bei den historischen Expeditionen geht es auch heute um Ressourcen, Landnahmen und geopolitische Rivalitäten. Europa will mitmischen im neuen Raumfahrtzeitalter, das steht spätestens seit der Ministerratskonferenz der staatlichen europäischen Raumfahrtagentur ESA Ende November in Paris fest. Erklärtes Ziel der staatlichen europäischen Raumfahrtagentur ist es, Menschen zunächst auf den Mond und später auf den Mars zu schicken. „Deutschland wird innerhalb der ESA“, so Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) in Paris, „weiterhin eine führende Rolle in der Weltraumforschung und der bemannten Raumfahrt spielen. So sichern wir den weiteren Betrieb der ISS und die Entwicklung einer europäischen, robotischen Mondlandefähre. Außerdem bleiben wir ein verlässlicher Kooperationspartner für die NASA im Mondprogramm Artemis.“ Deshalb erhöhten die 22 Mitgliedstaaten der ESA deutlich das bisherige Budget. Von den knapp 17 Milliarden Euro für die kommenden fünf Jahre übernimmt Deutschland mit etwa 21 Prozent den größten Anteil. Dies sei der Preis für die „eigene Souveränität“, so Habeck.

Damit gesteht Habeck der Raumfahrtindustrie sehr viel mehr zu, als diese es von einem grünen Wirtschaftsminister erwartet hatte. Tatsächlich sei die Delegation um Habeck als „treibende Kraft“ in Paris aufgetreten und habe damit „einen Anspruch auf Technologieführerschaft demonstriert“, lobt Marco Fuchs, Vizepräsident des Bundesverbandes der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie (BDLI).

Nachhaltige Raketen

Doch es wären nicht die Grünen, wenn es Habeck nicht auch um einen „green space“, also einen „grünen Weltraum“ gehen würde. Anna Christmann, Koordinatorin der Bundesregierung für die deutsche Luft- und Raumfahrtpolitik und Grüne, betonte in ihrer Rede in Brüssel mehrfach, dass der Wettlauf ins All unverzichtbar sei, aber nachhaltig gestaltet werden müsse. „Ob Ukraine-Krieg, Energiekrise oder Klimakrise – die Raumfahrt leistet einen wichtigen strategischen Beitrag zur Lösung globaler Herausforderungen“, sagt Christmann. Im Vordergrund stünden die „Sicherheit und Souveränität Europas im Weltall, Wettbewerb und Klimaschutz“. Dazu gehörten die Schaffung einer sicheren Kommunikation im All und die Weiterentwicklung neuer Satelliten zur Klimaüberwachung. Und wie hat man sich Nachhaltigkeit in der Raumfahrt vorzustellen? Da bleibt Christmann vage, dies sei auch Aufgabe der Raumfahrt-Branche. Kein Wort zu Verbindlichkeiten, wie sie etwa für die Autoindustrie gelten.

Außer Zweifel steht, dass „europäische Souveränität und Unabhängigkeit im Weltall“ eine Hypothek auf die Zukunft sind. Allein der Start einer Rakete, die einen Satelliten ins Weltall katapultiert, verbrauchtungefähr so viel CO₂ wie ein Interkontinentalflug. Schon jetzt ist Weltraumschrott im erdnahen Orbit ein Riesenproblem. Wenn Satelliten zusammenstoßen, entsteht Totalschaden. Die daraus resultierenden Trümmerwolken wiederum stellen eine Gefahr für andere Flugkörper dar, ein exponentiell wachsendes Problem. Denn nicht nur Europäer, sondern selbstverständlich auch die USA und andere Weltraumnationen wie China und Indien sowie Elon Musk und Jeff Bezos und andere private Betreiber werden in naher Zukunft Tausende von Satelliten ins Weltall schießen – oder tun dies bereits. Manche von ihnen nehmen für sich in Anspruch, die Welt ein Stück besser machen und zum Klimaschutz beitragen zu wollen, dazu gehören auch europäische Start-ups. Jörn Spurmann von der Augsburger Rocket Factory, wo man zukünftig Raketen wie am Fließband produzieren will, ist ebenfalls für Nachhaltigkeit. Die allererste Rakete des Unternehmens soll Ende 2023 von den Shetland-Inseln auf die Reise geschickt werden.

Nicht die grüne Rhetorik, aber das so deutliche Bekenntnis der Grünen zum liberalen New Space Market dürfte in der Branche für etwas Überraschung gesorgt haben. „Ein besonderer Erfolg für Deutschland ist es, mehr Wettbewerb im Bereich der Raketensysteme erreicht zu haben“, erklärt die grüne Luft- und Raumfahrtbeauftragte Anna Christmann und betont wiederholt die Bedeutung des innereuropäischen Wettbewerbs. Künftig sollen sich vermehrt auch private Anbieter von Mini- und Mikroraketen an ESA-Ausschreibungen beteiligen können. Expert_innen sprechen von einem Paradigmenwechsel. Dass ausgerechnet Lutz Bertling, Chefstratege des börsennotierten Raumfahrt- und Technologiekonzerns OHB mit Hauptsitz in Bremen, während einer Podiumsdiskussion in Brüssel die Frage aufwarf, ob es bei aller „competition“ nicht auch darum gehen sollte, mit vereinten Kräften das Beste rauszuholen, ist bezeichnend.

Aber auch im Weltraum wird das europäische Einvernehmen immer wieder auf die Probe gestellt. Im derzeitigen Kernbereich der europäischen Raumfahrt, dem Bau und Start von Satelliten, blockieren sich Deutschland, Frankreich und Italien gegenseitig. Christmann nennt das neu gestartete Programm für „Microlauncher“ nicht umsonst einen „Durchbruch“. Es handelt sich um Miniraketen, die einen Schwarm von Kleinsatelliten schicken, die unter anderem ein unabhängiges europäisches Internet ermöglichen sollen. Frankreich sträubte sich zunächst gegen die Microlauncher, man bevorzugt schwere Raketen wie Ariane, deren sechste Generation Ende 2023 abheben soll. Zu den europäischen Vorzeigeprojekten gehören das Navigationssystem Galileo mit bereits 30 Satelliten im Orbit und das Erdbeobachtungssystem Copernicus, das unter deutscher Führung weiter Daten für die Wissenschaft liefert. Da die russischen Sojus-Raketen nicht mehr zur Verfügung stehen, musste Europa bei Elon Musk anklopfen, um ergänzende Satelliten durch sein Unternehmen SpaceX ins All schießen zu lassen.

Die erste EU-Frau im All

Das zeigt, trotz Aufbruchstimmung ist Europa beim Wettlauf ins All ziemlich abgeschlagen. Dennoch bekräftigte ESA-Generaldirektor Josef Aschbacher in Brüssel, dass die langfristigen Ziele außerhalb des erdnahen Orbits lägen. Doch es fehlt nicht nur an Satelliten und Raketen, es gibt bisher auch kein einziges europäisches Raumschiff. Samantha Cristoforetti, die erste Frau aus der EU überhaupt im Weltall (die erste Frau war Valentina Tereschkowa aus der Sowjetunion) , hielt bis 2017 den Rekord für den längsten Weltraumflug und war im vergangenen Jahr erste Europäerin im Rang einer Kommandantin auf der ISS. Immer war sie auf Mitfahrgelegenheiten angewiesen. Für die nächste Astronauten-Generation soll das anders werden, die Italienerin im ESA-Blaumann betont in Brüssel bei jeder Gelegenheit, Europa benötige eine eigene Flotte.

Die Chancen auf eine europäische Raumfähre standen wahrscheinlich nie besser. Es geht um handfeste Interessen, um Wasservorkommen auf dem Mond. Schon jetzt offenbaren sich die Rivalitäten. 50 Jahre nach der letzten Mondlandung war die Sehnsucht, dorthin zurückzukehren, nie größer. Die Kolonisatoren trieben Abenteuerlust und Entdeckergeist und Überdruss an der alten Welt. Heute ist es vielleicht noch die leise Hoffnung auf einen Planeten B.

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Jennifer Stange ist freie Journalistin, Science-Fiction-Fan und „Weltraumaspirantin“

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