A Man of Integrity“ ist die Geschichte eines Mannes, der eben genau das nicht sein kann: integer. Mehr noch: Er darf es nicht sein, da er sonst gefressen wird von einem System, das bis in die kleinsten Zähnrädchen seines Getriebes durchkorrumpiert ist. Mit verblüffender Präzision dekliniert der iranische Regisseur und Autor Mohammad Rasoulof die Mechanismen des Systems und das moralische Dilemma dieses Mannes durch. Und verblüffend ist vor allem auch diese verstörende, durch und durch trügerische Ruhe, mit der A Man of Integrity erzählt wird. Was in der Realität systemische Restriktionen sind, übersetzt Rasoulof in filmische Austerität, in ein eindrückliches Kino der Zurückhaltung.
Zu dessen Spiegel wird das immer wieder
rd das immer wieder in Großaufnahme eingefangene Gesicht von Reza (Reza Akhlaghirad), mit seinen von Ernst und Verbissenheit gezeichneten, markanten Zügen. Er ist der tragische Held in dieser Parabel. Gemeinsam mit seiner Frau Hadis (Soudabeh Beizaee) und seinem Sohn ist er vor dem Großstadtsumpf Teherans geflohen, um sein Glück in einem abgelegenen Dorf im Norden des Irans zu versuchen. Dort hat er eine Farm gekauft und züchtet nun Goldfische. Von den Erträgen kann er jedoch kaum den Kredit zurückbezahlen. Nun will der Banker für dessen Verlängerung geschmiert werden. Das allerdings erscheint harmlos angesichts dessen, was in der Folge noch alles über Reza hereinbricht: Man hat ihn in ein Netz aus Abhängigkeiten gezwungen, jetzt will man sein Land, mit allen Mitteln.Gleich zu Beginn durchsuchen zwei Fremde sein Haus, finden ein Gewehr, für das gerade die Zulassung abgelaufen ist, und nehmen es mit. „Hol’s dir in der Moschee ab“, keift einer der Eindringlinge. Ein Detail nur, und doch auch eine klare Kritik am theokratischen System im Iran. Denn obwohl Rasoulof in seinem Film keinen direkten Bezug zur aktuellen politischen Lage in seinem Heimatland herstellt, ist A Man of Integrity durchweg politisch, ein filmischer Hieb gegen das Regime, gegen Kartelle, die das Land korrumpieren und beherrschen. Rasoulof legt seinen Film im Ton viel düsterer an, als es etwa sein Landsmann Jafar Panahi tut, der mit semidokumentarischen Filmen wie Taxi Teheran oder Drei Gesichter Regimekritik betreibt, die gleichzeitig immer noch eine gewisse Heiterkeit vorgibt.Panahi und Rasoulof haben sich bereits bei verschiedenen Projekten unterstützt und zusammengearbeitet. Während der Dreharbeiten zu einem Film Panahis über die Proteste nach den iranischen Präsidentschaftswahlen wurden sie 2010 verhaftet und zu sechs Jahren Haft verurteilt, die schließlich in Hausarrest unter Auflagen umgewandelt wurden. Seinen Film Auf Wiedersehen präsentierte Rasoulof dennoch 2011 in Cannes, ebenso A Man of Integrity, der 2017 den Hauptpreis der Sektion Un Certain Regard gewann. Rasoulof, der eigentlich mit Frau und Tochter in Hamburg und Teheran lebt, darf jedoch seit seiner letzten Reise in den Iran im September 2017 das Land nicht mehr verlassen.Die Schlinge zieht sich zuLangsam, aber stetig zieht sich in A Man of Integrity die Schlinge um Rezas Hals enger. Man dreht ihm die Wasserzufuhr für die Fischteiche ab, was zu einer Schlägerei mit dem Handlanger Abbas und einem Knastaufenthalt für Reza führt. Wieder auf freien Fuß kommt er, gegen seinen Willen, dank einer Bestechung. Der Schwager spricht von der „Schule des Lebens“. Die lauteste Szene dieses leisen Films ist schließlich eine mit fast biblischen Untertönen. Angekündigt wird sie durch Hundebellen, das die bedrohliche Ruhe auf der Farm zerschneidet. Dann rennen Reza und seine Frau trommelnd und schreiend zu den mit toten Fischen übersäten Teichen und versuchen bestialisch krähende Vogelheere zu verscheuchen. Man hat die Fische vergiftet, und Reza, der verzweifelt ins Wasser steigt, wird endgültig zum modernen Hiob.Selten ist A Man of Integrity so direkt und eindeutig wie in diesem Moment. Rasoulof versteht sich darauf, vieles nur anzudeuten und außerhalb der Bildgrenzen zu belassen. Von der Schlägerei zwischen Reza und Abbas etwa, für die Ersterer eingesperrt wird, hören wir nur aus Erzählungen. Einen Wink in Richtung iranischer Prüderie erlaubt sich Rasoulof in einer wunderbaren Szene, in der Hadis auf die statische Kamera zuläuft, ihr Kopftuch löst und im Off verschwindet, wohl um ihrem Mann unter die Dusche zu folgen, deren Rauschen zu hören ist. Wir sehen noch die Milch auf dem Herd überschäumen.Mit der strengen, subtilen Erzählhaltung fordert Rasoulof den Zuschauer heraus, zugleich ist sie äußerst effektiv. Denn man wird zum Verbündeten des schweigsamen, bockigen Mannes, der sich mehrmals mit seinem selbst gebrannten Alkohol in eine surreal anmutende Grotte zurückzieht. Man hadert mit ihm, mit seiner Entscheidung, den Idealen treu zu bleiben, obwohl er es „leichter“ haben könnte. „Reza, du musst es wie sie machen, such dir Freunde“, versucht seine Frau ihn zu überzeugen. Sie wird wegen der existenziellen Not bereits vor Reza einknicken und ihre Stellung als Rektorin der örtlichen Schule aufs Gröbste missbrauchen.Am Ende ist A Man of Integrity ein komplexes Moralstück, das anhand des Schicksals eines „kleinen“ Mannes einnehmend vom Krebsgeschwür der Korruption erzählt. Schließlich muss Reza, der zur Tilgung des Kredits lieber sein eigenes Auto verkauft, statt zu bestechen, der nichts von der „Schule des Lebens“ seines Schwagers wissen möchte, der sogar in der größten Not noch versucht, ehrlich aus dem Unglück herauszukommen, mit sich selbst brechen. Sosehr man ihn verstehen kann, damit gerechnet, ja, darauf gewartet hat – viel trauriger hätte es kaum enden können. Und viel ehrlicher leider auch nicht.Placeholder infobox-1
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