Hinter den Mauern der al-Azhar-Universität in Kairo, dem „Leuchtturm der islamischen Wissenschaften“, wie es mehrfach heißt, tun sich Abgründe auf. Hier wird gelogen, gedroht und gemordet, hier treffen Menschen verschiedener (radikaler) islamischer Strömungen aufeinander als Spielbälle einer Verschwörung zwischen politischen und religiösen Eliten.
Wie schon in seinem mehrfach ausgezeichneten Krimi Die Nile Hilton Affäre, in dem der schwedisch-libanesische Schauspieler Fares Fares als korrupter Polizist am Vorabend des Arabischen Frühlings in Kairo auf eigene Faust im Fall einer ermordeten Sängerin ermittelte, verarbeitet Tarik Saleh auch in seinem in Cannes mit dem Drehbuchpreis ausgezeichneten Die Kairo Verschwörung gesells
rschwörung gesellschaftspolitische Diskurse im Gewand des Thrillers. Drehen konnte der in Schweden geborene Sohn eines Ägypters seinen Film jedoch nicht vor Ort: Seit 2015 ist er in Ägypten Persona non grata; man würde ihn bei der Einreise wahrscheinlich verhaften. So stand dieses Mal Istanbul Pate für die ägyptische Hauptstadt und die Süleymaniye-Moschee für besagten Leuchtturm der Wissenschaften.Die überdimensionale Koranschule, in der Die Kairo Verschwörung in großen Teilen spielt, ist ein so noch nicht gesehenes kinematografisches Verschwörungssetting, das an Umberto Ecos Klosterkrimi Der Name der Rose denken lässt. Kameramann Pierre Aïm fängt diesen Ort des Glaubens in ruhigen, so erhabenen wie bedrohlichen Bildern ein: den riesigen Innenhof, in dem die wissbegierigen Schüler den Worten der Scheichs lauschen, die in den Himmel stechenden Minarette, die langen Flure, Galerien und dunklen unterirdischen Gänge und die Zimmer der Studenten, die nur aus aneinandergereihten Hochbetten zu bestehen scheinen.Intrigen und Eliten„Schnarchst du?“, wird Adam (Tawfeek Barhom) beim Bezug seines Zimmers gefragt. Dem aus der Provinz und aus einfachen Verhältnissen stammenden Sohn eines Fischers ermöglicht ein Stipendium das Studium an der renommierten Universität. „Wenn Gott will, dass du nach Kairo gehst, kann sich ihm niemand entgegenstellen, nicht mal dein Vater“, lauteten die Worte von Adams verwittertem alten Herrn, der den Sohn eigentlich lieber im Dienst der Fischerei gesehen hätte.Was auf rauer See beim Fischen seinen Anfang nimmt, entwickelt sich zu einem Politthriller à la John le Carré, in dem der Verlauf der Fronten zwischen den verschiedenen Parteien und ihren Interessen immer unübersichtlicher wird. Auslöser ist der Tod des Großimam Scheich al-Azhar, des Oberhaupts des sunnitischen Islam, infolge dessen ein Machtkampf um seine Nachfolge entbrennt. Es geht um nichts weniger als die Zukunft Ägyptens, denn der Großimam hat maßgeblichen Einfluss auf die Politik und alles staatliche Treiben. Zwischen drei Kandidaten muss der oberste Rat entscheiden: dem von den Muslimbrüdern unterstützten Scheich Al Durani, dem für seine Weisheit bekannten, blinden Scheich Negm und dem vom ägyptischen Präsidenten protegierten Scheich Omar Beblawi.Adam gerät ohne eigenes Zutun zwischen die Fronten, nachdem er Zeuge geworden ist, wie eine Gruppe von Männern den Assistenten des blinden Scheichs Negm im Innenhof der Universität erstochen hat. „Dein Herz ist noch rein. Aber jede Sekunde hier wird es mehr verderben“, hatte der dem Fischersohn bei einer gemeinsamen Zigarette kurz davor noch vielsagend prophezeit. Der Mord ruft Ibrahim (Fares Fares), Ermittler der Staatssicherheit, auf den Plan.Eingebetteter MedieninhaltInformant und SpitzelDieser Ibrahim erweist sich als die uneindeutigste unter den vielen ambivalenten Figuren des Films. Fares, der auch aus den Adaptionen der Krimis des Dänen Jussi Adler-Olsen bekannt ist, spielt den Schnüffler vielschichtig und mit zurückhaltender Exzentrik. Adam wird unfreiwillig zu dessen Informanten und Spitzel und zur Marionette in einem Machtkampf. Zum Informationsaustausch treffen sich die beiden in einem amerikanischen Café.Tarik Saleh hält die Fäden seiner Erzählung fest zusammen und verknotet sie zu einem sich immer weiter ausweitenden Komplott. Mit assoziativer Montage entwickelt der Film einen Sog voller vielsagender Bilder. Überhaupt lebt der Film von seiner starken Visualisierung der Gegensätze zwischen dem Weltlichen und dem Spirituellen. Es gibt furios inszenierte Massenszenen, etwa während eines Suren-Rezitationswettbewerbs, oder Momente der Ruhe auf dem roten Teppich im Gebetsraum der Moschee; es gibt nächtliche Wanderungen durch die Katakomben der Universität, eine Dunkelheit, durch die Adam in das flirrende urbane Leben gelangt. Und in einer Szene beobachten die Studenten während des Unterrichts – ein weiteres doppeldeutiges Bild –, wie sich Schlange und Maus im Terrarium begegnen.Die Kairo Verschwörung erzählt die Geschichte eines Helden, der zwischen den Mühlen der Systeme – die hier ausschließlich von Männern geführt werden – zu überleben versucht. Sein Weg ist gezeichnet vom systemimmanenten Klassismus und der Frage, ob er frei handeln kann oder tatsächlich, wie Ibrahim ihm erklärt, wie alle Menschen von Gott gelenkt wird. Saleh zeigt den Islam respektvoll-ambivalent in seinen vielfältigen, auch fundamentalistischen Ausprägungen, ist jedoch klar dem Weltlichen zugetan. Die Kairo Verschwörung ist ein Politthriller gegen autoritäre Machtsysteme und gegen Korruption jeder Art.Placeholder infobox-1