Entfolgbar

Gähn-Emoji Julia Langhofs „LOMO: The Language of Many Others“ erzählt einmal mehr von der Gefährlichkeit sozialer Netzwerke
Ausgabe 29/2018

Es ist die Hölle, dieses Netz mit seinen sozialen Räumen, geschaffen von soziopathischen Nerds! So zumindest lässt sich grob die Geschichte zusammenfassen, die das Kino bisher über das alle Lebensbereiche durchdringende Leitmedium des 21. Jahrhunderts geschrieben hat. Ob in David Finchers stark fiktionalisiertem Biopic über Facebook-Mogul Mark Zuckerberg, The Social Network, in Filmen wie #Zeitgeist oder dem Episodendrama Disconnect, die beide den generationenübergreifenden negativen Einfluss der sozialen Medien auf den Menschen und seinen Bezug zur Welt thematisieren, oder in dem deutschen Fernsehfilm Das weiße Kaninchen, in dem ein Mädchen das Opfer von Cyber-Grooming wird – das Internet mit seinen virtuellen Gemeinschaftsräumen ist eine der größten Inspirationsquellen, wenn es um filmisch artikulierten Kulturpessimismus geht.

Wenn man sich die Realität anschaut, ist das dystopische Potenzial mitnichten von der Hand zu weisen. Facebook und Co. sind einflussreiche Player und Herren über das zentrale Handelsgut unserer globalen, bis in den Kühlschrank hinein vernetzten Welt: unsere (personenbezogenen) Daten. „Die wissen alles!“ – das kann man von sich geben, ohne als paranoid abgestempelt zu werden. Schlimmer noch, die Daten sind nicht mehr nur Futter für individuelle Werbung und anderes nerviges, aber doch verhältnismäßig belangloses Schindluder, sondern können Teil von wahlbeeinflussenden Strategien werden, wie der Fall des Datenvampirs Cambridge Analytica zeigte. Die Kommunikationsgepflogenheiten in den sozialen Netzwerken mit ihren Filterblasen, sozusagen der moderne Hort uneingeschränkter Polemik und choraler Hasstiraden, werfen auch alles andere als ein positives Bild auf viele User. Dass das mittlerweile alles einigermaßen trivial klingt, ist da umso erschreckender.

Smartphone-Zombies

Tief durchatmen! Man gerät regelrecht in einen Kritikrausch bei all dem Negativen, das man der digitalen Revolution in die Schuhe schieben kann. Was sollte das Kino da bitte über die positiven Seiten erzählen, die naturgemäß so gut wie jeder technische Fortschritt mit sich bringt und von denen wir in vielen Lebensbereichen unglaublich profitieren? Etwa, dass wir vernetzt sind und in kommunikativer Hinsicht näher zusammenrücken, über staatenunabhängige digitale Formen der Demokratie in Zeiten des wiedererstarkenden nationalistischen Protektionismus diskutieren, Zugriff auf das Wissen und die Künste der Welt haben und digitale Applikationen geboten bekommen, die unseren Alltag vereinfachen und bereichern können?

Alles schön und gut, aber nichts für das Kino. Das ist in seiner ureigensten Form gerne kritischer Geigerzähler und Projektionsfläche, weshalb es auch im Digitalen vor allem die Abgründe sind, von denen etliche Regisseure und Drehbuchautoren angelockt werden. So auch Julia Langhof, die mit LOMO: The Language of Many Others ihr Spielfilmdebüt gibt. Hauptfigur ist der kurz vor dem Abitur stehende Karl (Jonas Dassler). Ein ruhiger Typ, den man ohne Weiteres mit dem furchtbaren Jugendwort des Jahres 2015, „Smombie“ (kurz für Smartphone-Zombie), beschreiben kann. Denn Karl legt sein Smartphone selten aus der Hand und schreibt und filmt damit für sein Blog „The Language of Many Others“ aus seinem Leben, am liebsten aus dem privaten. Gemeinsam mit Zwillingsschwester Anna (Eva Nürnberg) und den gut situierten Eltern lebt er in einem wohlhabenden Bezirk Berlins.

Mutter Krista (Marie-Lou Sellem) flüchtet sich in Online-Games, Vater Michael (Peter Jordan) interessiert sich mehr für sein Architekturbüro als für die Familie: Hier wohnen die gefühlskalten und von der Welt gelangweilten Reichen zusammen. Langhof und Koautor Thomas Gerhold schaffen eine stereotype Ausgangssituation, um Kritik zu üben an unserem von digitalen Medien durchdrungenen Leben und der daraus resultierenden „Vergletscherung der Gefühle“. Es ist Topos des großen Leinwandmoralisten Michael Haneke, von ihm selbst zigfach frisch variiert, der LOMO, genau wie etliche Social-Media-kritischen Filme zuvor, umtreibt. Haneke ging es um die Entfremdung des Menschen und den moralischen Verfall in Zeiten von Bilderfluten durch Kino und Fernsehen, die zur Verblödung durch passives Glotzen führen, bei der Vergletscherung 2.0 ist die Flucht in eine nur scheinbar persönliche virtuelle Welt zentral.

„Es gibt nur zwei Zustände im Leben: Bewusstlosigkeit oder Panik.“ Das Motto, das Karl dem Zuschauer zu Beginn auftischt, beschreibt seine beiden Aggregatzustände. Die meiste Zeit schlurft er beinahe bewusstlos durch sein wahres Leben, zur tatsächlichen Panik kommt es erst peu à peu, als er ein intimes Video von sich und Mitschülerin Doro (Lucie Hollmann) auf sein Blog hochlädt, nachdem sie ihn fallengelassen hat. Die digitale Community ist alles für Karl, was in letzter Konsequenz sogar so weit führt, dass seine Follower tatsächlich die Kontrolle über ihn übernehmen und den teils mit geschlossenen Augen Wandelnden per Kameraübertragung steuern.

Kontrolle ist eins der großen Themen von LOMO, Karl handelt meist fremdgelenkt. Der Film reißt damit auch allgemeine Fragen zur Steuerung in den sozialen Netzwerken an. Wer kontrolliert hier wen und wie? Eine eindrückliche Auseinandersetzung mit den Kontrollmechanismen in den sozialen Netzwerken lieferte kürzlich der Dokumentarfilm The Cleaners, der sogenannte „Content Moderators“ porträtierte, die im Sekundentakt mit „Delete“ oder „Ignore“ entscheiden, welche Inhalte gelöscht werden und welche nicht. Eine notwendige, aber streitbare Tätigkeit, die sich an der Grenze zur Zensur bewegt.

Die Tiefe von The Cleaners erreicht LOMO nicht. Vielmehr gefällt sich Langhofs Film als unterhaltsamer, dabei teils hanebüchener Cyberkrimi, der schließlich sogar Richtung schnödes Sozialdrama abzurutschen droht. Wie in vielen Filmen zuvor, und damit schließt sich der Kreis, muss die eigentlich medienkompetente Generation Z für einen kulturpessimistischen Blick herhalten. Mit seinem Heavy User Karl ist LOMO schließlich mehr pädagogisches Lehrstück denn ernst gemeintes Generationenporträt.

Die Inszenierung allerdings weiß zu überzeugen. Die digitale Kommunikation, die Karls kompletten Alltag begleitet, bringen Julia Langhof und Kameramann Michal Grabowski sehr geschickt auf die Leinwand. Zwischendurch dominieren Einstellungen das Geschehen, die sich mal sofort, mal kaum merklich als Videos entpuppen, die Karl hochlädt. Und sobald der Junge mit seinem Handy zugange ist, schieben sich Schrift und Symbole aus dem Gerät über die Bilder und lassen den Zuschauer durch diese kalkulierte Überforderung die Informationsflut aus digitaler und analoger Welt erfahren. Also: Zeit für einen Digital Detox!

Info

LOMO: The Language of Many Others Julia Langhof Deutschland 2017, 101 Minuten

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