„Goldhammer“ porträtiert rechten Influencer Marcel Goldammer: Ich sind viele
Dokumentarfilm Ben Yakov und André Krummel porträtieren mit „Goldhammer“ erneut eine umstrittene Figur: Marcel Goldammer, schwuler Sexarbeiter im Ruhestand, der in Israel zum Judentum konvertiert ist und nun für die AfD in Berlin-Neukölln kandidiert
Marcel Goldammer, Sexarbeiter im Ruhestand, trat für die AfD in Berlin-Neukölln an
Foto: Glotzenoff
Ben Yakov und André Krummel sorgten vor drei Jahren mit Lord of the Toys beim Dokumentarfilmfestival DOK Leipzig für Aufregung. Das Regieduo porträtierte darin unkommentiert einen zweifelhaften Influencer und seine palavernde Influencer-Clique, die mit dumpfen, gewaltverherrlichenden und auch rechten Inhalten erfolgreich sind, manche mehr, manche weniger. Dem Film wurde vorgeworfen, den rechten Dumpfbacken undistanziert eine Plattform zu bieten.
Ein Shitstorm brach über die Filmemacher herein, ein Bündnis gegen rechts rief zu Protesten auf und ein Kino, in dem der Film während des Festivals laufen sollte, wollte sich verweigern, war aber vertraglich zur Projektion verpflichtet. Im Anschluss an das Screening stellten sich Ben Yakov und Krummel einem aufgebrachte
das Screening stellten sich Ben Yakov und Krummel einem aufgebrachten Publikum, von dem sie regelrecht klein geschrien wurden. Dass der Film dann in Leipzig den Hauptpreis, die Goldene Taube, erhielt, sorgte für noch mehr Diskussionen.Einfach ich selbst seinAuf Lord of the Toys lassen die Regisseure nun mit Goldhammer einen weiteren Film folgen, mit dem sie die Kontroverse suchen und einen Diskurs provozieren werden – ganz sicher. Das liegt auch in diesem Fall an dem Protagonisten des Films: Marcel Goldammer, ein schwuler Sexarbeiter im Ruhestand, der als Schauspieler für den Tatort vor der Kamera stand, ein ziemlich offenes Verhältnis zu Kokain pflegt, der in Israel zum Judentum konvertiert ist, auf Kosten eines reichen Lebensgefährten durch die Welt jettet und der schließlich der AfD beitritt, um für die Rechtspopulisten bei der Bundestagswahl als Direktkandidat für den Wahlkreis Berlin-Neukölln zu kandidieren.„Ich möchte einfach ich selbst sein“, sagt Goldammer einmal im Film. Aber wer ist er? Dieser persönliche Konflikt fungiert als koksinduziert zugespitzte Analogie auf unsere (digitale) Gegenwart. Wir sind viele, online mit Profilen bei Instagram, Twitter, Tiktok und weiteren, und das in einer sich immer weiter ausdifferenzierenden Welt voller Ambivalenzen und Identitätsdiskursen. Das Kino greift diese Diskurse auf, Pia Hellenthal etwa hat in ihrem Debüt Searching Eva (2019) eine italienische Influencerin mit fluider Identität porträtiert. Dazu liefern Ben Yakov und Krummel nun quasi ein filmisches Pendant aus männlich-populistischer Perspektive.Das Ich von Marcel Goldammer, das legt ihr Film nahe, scheint bei seinem schillernden Protagonisten in einem ungesunden Verhältnis zu stehen zu sich selbst und zum (erträumten) Umfeld. „Ich liebe es, von vielen Menschen geliebt zu werden“, schreibt er in seinem Sex-Blog. „Wer Marcel war, hing eigentlich davon ab, wer seine Geschichte glaubte“, ordnet der Erzähler einmal ein. Der Film zeigt, wie aus Marcel Goldammer, dem aufmerksamkeitsverliebten Dorfjungen, ein AfD-Politiker wurde, der sich das zusätzliche H im Nachnamen zugelegt hat, um die Assoziation weg vom kleinen gelben Singvögelchen hin zum vermeintlich großen Werkzeug zu lenken.Eingebetteter MedieninhaltSein Lebensweg ist eine irritierende Suche nach der eigenen Identität. Als Sex-Worker gibt Goldammer in einem Erklärvideo Tipps zur „Arschreinigung vor dem Analverkehr“ zum Besten, er ist beim Sex zu sehen, er kokst permanent und fertigt ein Video zu seinem Best-Practice-Konsum von einem im Backofen erwärmen Teller an. Der Film zeigt ihn in seiner Berliner Wohnung, in Tel Aviv, wo er zum Judentum konvertiert und zur israelischen Armee geht, bei seinen Eltern im oberbayerischen Jettenbach, wo er wie ein Paradiesvogel wirkt und zu Weihnachten mit kruden politischen Äußerungen aneckt. „Du bist ja voller Hass für die Menschen“, sagt seine Mutter während eines Telefonats zu Silvester, das im Film zweimal zu sehen ist – beim zweiten Mal wird klar, was sie meint. Über einen rechten Schreibwettbewerb, bei dem er Zweiter wird, landet er bei der AfD, erst als Social-Media-Beauftragter, schließlich als Kandidat.„Für Marcel waren Bilder vor allem etwas, womit sich all das, was wirklich war, so verändern ließ, wie es wirklich hätte sein sollen“, sagt der Erzähler und der Film weiß seine Bilder in diesem Sinne zu nutzen. Es gibt Einstellungen in einem schwarzen Raum mit Screens und Würfeln, auf denen Marcel in verschiedenen Selbstsuchestadien zu sehen ist: eine nicht originelle, aber doch treffende Bildmetapher für sein zersplittertes Selbst.Am Geburtstag versetztGoldhammer wechselt zwischen Handyaufnahmen, Archivmaterial, dokumentarischen und bewusst überzeichnet inszenierten Sequenzen. In einer an Martin Scorsese angelehnten grellen Montage erklärt Goldammer selbstverliebt etwa die Vorzüge seiner Escort-Tätigkeit.Nach und nach schält sich heraus – 5-Sterne-Lifestyle rund um den Globus hin oder her –, dass Goldammer, dieser Antiheld mit Geltungsdrang, im Grunde eine ziemlich arme Socke ist. Er ist fast ausschließlich alleine zu sehen, in Szenen, in denen er, abhängig von seinem Geldgeber, dem Koks und seinem Narzissmus, fast schon verzweifelt und moralisch völlig losgelöst an seinen Identitäten herumdoktert. Zu seiner Geburtstagsfeier in einem Berliner Restaurant wird er von den meisten Freunden versetzt.Sicher: Die Regisseure bieten in Goldhammer also erneut einem zweifelhaften Protagonisten eine Bühne, wie es die Kritiker:innen ihnen schon bei Lord of the Toys vorwarfen. Aber es ist, wie eben auch schon im Vorgängerfilm, eine kontrovers-produktive Bühne mit doppeltem Boden. Denn die formalästhetische Haltung von Ben Yakov und Krummel ist konsequent und aktuell: Sie erzählen von einem Typen im überdrehten Selbstinszenierungs- und Neuerfindungshamsterrad mit einem Film, der seinerseits selbstbewusst auf der Grenze zwischen Inszenierung und dokumentarfilmischer Natürlichkeit wandelt.Das Kino als Kunst braucht, ebenso wie die Diskurse in einer funktionierenden Demokratie, die Auseinandersetzungen auch mit politisch verdrehten Menschen, mit Populismus und Narzissmus. Wichtig dabei ist eine Position zum Sujet, die Ben Yakov und Krummel sehr wohl haben und kinematografisch entwickeln. Nur fallen sie nicht mit der pädagogischen Tür ins Haus, sondern nutzen eben die audiovisuellen Mittel ihres Mediums und halten damit einem Mann, der für die Selbstinszenierung geboren scheint, einen Film entgegen, der genau diese Mechanismen hinterfragt. Eine Antwort auf Goldammers Identitätssuche gibt es nicht, der Weg ist das Ziel.