"Perfekt ist scheiße!“, brüllt der junge deutsch-iranische Arzt Kian (Hadi Khanjanpour) einmal seine Mutter an. In diesem wütenden Imperativ steckt eine wichtige Erkenntnis von Susan Gordanshekans Die defekte Katze. In ihrem Debüt erzählt die Regisseurin, die selbst iranischer Herkunft ist, nämlich davon, wie erträumte – beziehungsweise traditionelle – Ideale von der Realität eingeholt werden. Der titelgebende Vierbeiner mit einem Gendefekt, den sich die junge Mina (Pegah Ferydoni) sehr zum Leidwesen ihres Mannes Kian in die Wohnung holt, erscheint dabei wie eine fleischgewordene Metapher: Wahrlich alles andere als perfekt, spiegelt sich in diesem grauen Biest mit den gruseligen Augen die holprige Beziehung der beiden.
Bevor das Viech die Wohnung betritt, ist da allerdings zunächst die gewollte, aber nicht wirklich glückliche Zweisamkeit. Mina und Kian haben sich im Iran verheiraten lassen, woraufhin die Elektroingenieurin ihrem Mann nach Deutschland folgt. „Wir sind wie zwei Fremde“, lautet später der treffende Befund des Arztes. Wie wahr, sie kennen sich kaum! Zu Beginn spulen beide ein Programm aus Höflichkeiten ab, beschnuppern sich, tasten sich durch die noch spärlich eingerichtete neue Wohnung und schauen ihr Hochzeitsvideo, als sei es das von Freunden. Liebe auf den ersten Blick, an die Kian ohnehin nicht glaubt, sieht jedenfalls anders aus.
Die defekte Katze handelt von einer traditionell arrangierten iranischen Ehe, die in Deutschland gelebt wird, vom Aufeinanderprallen von Tradition und Moderne. Der perfekte Stoff für einen lauten Culture Clash wie in Türkisch für Anfänger, in dem Pegah Ferydoni ebenfalls mitspielte, oder für großes Betroffenheitskino à la 40 qm Deutschland, möchte man meinen. Gordanshekans Film entfernt sich von beidem gleichermaßen; sie zelebriert einmal nicht den kulturellen Knall, sondern bleibt betont unaufgeregt.
Mit sensiblem Blick konzentriert sich die Regisseurin auf ihre „umgekehrte Liebesgeschichte“, wie sie es nennt, auf den Versuch ihrer Hauptfiguren, sich nach der Heirat kennen- und lieben zu lernen. Vor der ersten Nacht im neuen Bett fragt Mina, ob er schnarcht; im Möbelkaufhaus zanken sie sich, weil er das seriöse Sofa will, sie ein flippiges; seine ersten intimen Annäherungen schmettert die selbstbewusste Frau ab. Aus der anfänglichen Zurückhaltung wird schnell ein Beziehungsringen. Dass die Anschluss suchende Mina allein in eine Disco geht, gefällt Kian überhaupt nicht.
Susan Gordanshekan steckt den Mikrokosmos präzise ab und ist so nah dran an dem Pärchen, dass Die defekte Katze in vielen Momenten wie ein Kammerspiel daherkommt. Dabei ist die Regisseurin vor allem an Mina interessiert. Die darf wegen mangelnder Sprachkenntnisse nicht studieren und findet keinen Job; ihr iranischer Studienabschluss wird nicht akzeptiert. Ohne allzu direkt politischen Bezug zu nehmen, erzählt der Film mit Minas persönlicher Geschichte von Integration und Identität, und damit von den Themen, die derzeit gefühlt jeden Diskurs beherrschen, statt mit Tamtam mit leiser Empathie.
Feinfühlig zeichnet Gordanshekan Minas Weg in die ihr unbekannte Kultur. Der erste Einkauf mit fremdem Geld, der Sprachkurs, in dem sie mit dem ebenfalls aus dem Iran stammenden Masoud (Arash Marandi) einen Gleichgesinnten mit ganz eigenen Beziehungsproblemen kennenlernt – es sind kleine Schritte durch bekannte Stationen, die dank der stets zwischen Selbstbewusstsein und Zweifel changierenden Pegah Ferydoni wahrhaftig und menschlich erscheinen. Dreh- und Angelpunkt für die Auseinandersetzung ihrer Mina mit westlichen Gepflogenheiten wird das Schwimmbad: Zaghaft, aber entschlossen schleicht die Iranerin in die Halle, legt ihr Handtuch ab und taucht im Bikini bekleidet ins kühle Nass. Ein sicht- und fühlbarer Kraftakt, der die kulturellen Differenzen verdeutlicht und sie zugleich als überwindbar zeigt.
Lebe lieber unperfekt
So ist es durchweg in Die defekte Katze. Weder baut der Film kulturelle Mauern, noch reitet er auf den Unterschieden herum oder feiert gar westliche Werte als die einzig wahren. Die arrangierte Ehe wird nicht etwa verurteilt, sondern als legitimer Weg mit eigenen Problemen und Reizen im Dunstkreis anderer Vorstellungen von Liebe und Ehe seziert. Etwa neben einer Beziehung, in der der Mann Haus und Kind hütet, während die Frau arbeitet. Gordanshekan bleibt dabei bis auf wenige traumhaft-surreale Ausflüge in die Schwimmhalle nüchtern und realistisch. „Es ist nicht so wie im Satellitenfernsehen“, erklärt Masoud Mina nicht umsonst über das Leben in Deutschland.
Die defekte Katze ist am Ende ein Film über das Leben zwischen den Kulturen und über Chancen, die genutzt werden oder ungenutzt bleiben können. Dass eine Kirmes der Ort der letzten Szene ist, passt. Ein deutsches Mini-Disneyland als Märchenkulisse für einen Film, der eben kein Märchen ist, sondern von den Möglichkeiten des Unperfekten erzählt. So man sie denn anerkennt.
Info
Die defekte Katze, Susan Gordanshekan, Deutschland 2018, 93 Min.
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.