Dokumentarfilm Hinter der Fassade: Das Kino entdeckt die Influencer:innen – etwa, wenn sie als „verifiziertes Paar“ Pornos drehen. Zum Start von Joscha Bongards Film „Pornfluencer“
Nico ist Fan der Pick-Up-Szene. Andrea gelobt, alles sofort zu tun, was er von ihr verlangt
Foto: SALZGEBER
Ganz ohne Wertung lässt sich feststellen: Influencer:innen sind das Unternehmertum des 21. Jahrhunderts. Viele entsprechen genau dem neoliberalen Weltbild. Sie haben, wenn sie „gut“ sind, genau verstanden, wie die digitale Welt und der Markt ticken, sie wissen, mit welchen Trends und wo sich möglichst schnell viel Geld verdienen lässt. Und sie sind sehr gut darin – das ist essenziell, quasi die DNA –, sich selbst zu vermarkten: mit einem „ansozialisierten“ Sachverstand für die richtige Foto- und Video-Ästhetik, den es so wohl noch bei keiner Generation zuvor gab. Style ist nicht alles, aber viel.
In einer Zeit, in der das Influencertum floriert und zugleich für Skandale sorgt, wie zuletzt bei Youtuber Fynn Kliemann mit seinen
mit seinen Masken- und NFT-Musik-Deals, interessiert sich auch das Kino für die jungen Unternehmer:innen. Es gibt bereits Spielfilme wie etwa Magnus von Horns Sweat über eine „Fitfluencerin“, aber in der Hauptsache sieht sich der Dokumentarfilm angesichts dieser Medienprofis vor besondere Herausforderungen gestellt: Wie soll man sich dokumentarisch annähern, ohne in den Repräsentationsstrudel zu geraten, also ohne den Influencer:innen inszenatorisch auf den Leim zu gehen?Die ästhetischen Möglichkeiten sind dabei so divers wie die Szene der verschiedenen Influencer:innen selbst. Die Filmemacher Pablo Ben Yakov und André Krummel mit Lord of the Toys wurden dafür kritisiert, dass sie dem antisemitische Sprüche klopfenden Influencer Max „Adlersson“ Herzberg einen unreflektierten Resonanzraum boten. Der verdient seinen Lebensunterhalt mit Videos, in denen er sich mit seiner Clique besäuft, herumpöbelt, über Messer referiert oder Fanpost auspackt, in der er auch mal eine Flasche voll Urin findet. Dieses destruktive Gebaren stellten Ben Yakov und Krummel in ihrem Film ohne jeden Kommentar aus. Was von nicht wenigen als fahrlässige Distanzlosigkeit gelesen wurde, kann aber auch als schwer zu ertragender, aber unverstellter Blick in eine Welt voller Unsicherheiten gelesen werden. Als Methode, filmisch Fragen zu pervertierter Schaulust und zur Macht der Bilder zu stellen.Ähnliche Inszenierungsstrategien wendete auch Pia Hellenthal in ihrem Debüt Searching Eva an. Hellenthal porträtierte darin Eva Collé (die heute als Transmann Adam Hoya lebt), eine damals 25-jährige Influencerin, die alles konsequent im Internet veröffentlicht: ihren nackten Körper, Sex mit verschiedenen Partnern, Drogeneskapaden, ihren Alltag, Ängste, ihre verschiedenen Leben als Feministin, Autorin, Model, Drogensüchtige und Sexworkerin. Wie die Protagonistin selbst ist Searching Eva fragmentarisch, springt zwischen Szenen hin und her und lässt diese Szenen durch statische Einstellungen ohne Off-Kommentar teils selbst zu Bildern werden. Der Film wechselt zwischen dokumentarischer Natürlichkeit und starker Ästhetisierung, wenn Eva in Tableaux vivants tagebuchmäßig von sich erzählt.Arbeitete sich Hellenthal an der Selbstinszenierung ab, und das mit einer Protagonistin, die in ihren verschiedenen Identitäten eher aktivistisch und weniger marktorientiert unterwegs war, widmet sich Joscha Bongards nun startendes Debüt Pornfluencer dem jungen Neoliberalistentum par excellence. Denn was Jamie Young und Nico Nice aka Youngcouple9598 aka Andreea und Nico wollen, daraus macht das Pornopaar keinen Hehl: Freiheit und Reichtum.Eine Million im JahrDie beiden, sie 22, er 25, verdienen ihr Geld als „Verified Couple“ mit selbstgedrehten Pornos. 10.000 Euro gab es nach der ersten Woche, das selbsterklärte Ziel lautet: eine Million in einem Jahr. Sie haben sich nach Zypern abgesetzt, weil es dort schön sei, aber auch das Steuersystem seine Vorteile habe, zwinkert Nico.Zu Beginn lächeln die beiden affektiert in die Kamera und erzählen von ihrem tollen Leben in Freiheit, „Good Vibes Only“ steht auf dem Poster über dem Bett. Sie streifen durch die kühlen Räume der Villa, zeigen ihre Katzen, den Balkon, auf dem sie schon gedreht haben. Pornfluencer wechselt zwischen dem unkommentierten Porträt des Paares und einer Art Desktop-Mockumentary. In einem Videoportal-Screen, angelehnt an die Optik hiesiger Pornoportale, schiebt ein Mauszeiger den Zeitstrahl vor und wieder zurück und öffnet zwischendurch Videos mit Sylvia Sadzinski, einer Kuratorin und Forscherin für queer-feministische Pornografie, und einem Sexualpsychologen, die beide für Kontexte zur Porno- und Paarpsychologie und zum unfairen Finanzierungssystem der Pornoindustrie sorgen.Eingebetteter MedieninhaltDer formal konsequente Film entwickelt sich dann aber von dem sex- und pornopositiven Vorhaben, das der Regisseur wohl ursprünglich im Sinn hatte, zum verstörenden Porträt einer toxischen Beziehung. Die Schieflage deutet sich an, etwa wenn beide während ihrer allmorgendlichen Routine vor dem Spiegel stehend ihre Affirmationen herunterbeten: „Alle Frauen lieben meinen Penis. Ich bin der Größte. Ich bin erfolgreich“, sagt Niko. „Ich bin wunderschön, ich verdiene es, reich zu sein. Ich tue alles sofort, was Nico mir sagt“, seine Freundin. Später nötigt Nico sie, die eigentlich Erzieherin werden wollte, zu Dingen, die sie nicht möchte. Mit dem Hintern solle sie vor der Kamera wackeln, weil das die größte Reichweite bei Tiktok erziele. Nico ist Fan der „Pick-up-Szene“ und schwört auf Gurus, die in ihren misogynen Videos Dinge predigen wie: „Verführung ist, jemanden ohne Gewalt zu etwas zu bringen, das er eigentlich nicht tun wollte.“Gerade weil Bongards Film kippt und das Pornosujet als solches zugunsten des Paarporträts aus den Augen verliert, drängen sich Fragen zur Repräsentation auf. Was ist hier wahr? Das Paar lässt sich bei allem filmen, beim Sex ebenso wie in Momenten des Streits, in denen das Machtgefälle in der Beziehung sichtbar wird. Und doch: Wer die beiden im Internet sucht, wird schnell herausfinden, dass Andreea eben nicht, wie sich nach dem Film vermuten ließe, ausgestiegen ist.So unterschiedlich Lord of the Toys, Searching Eva und Pornfluencer auch sein mögen: Sie alle öffnen diskursive Türen, reflektieren über das Influencertum und seine Identitätskonzepte und über unsere von Selbstinszenierungen dominierte Gegenwart.Placeholder infobox-1
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