Als der Größenwahn in den Pop einzog

1986 Die Band Sigue Sigue Sputnik war offen kommerziell und absolut nicht authentisch. Nun wird ihr Debütalbum neu aufgelegt
Ausgabe 37/2020
Martin Degville (r.) und Tony James (l.) bei einem Auftritt im deutschen Fernsehen mit Sigue Sigue Sputnik im Jahr 1986
Martin Degville (r.) und Tony James (l.) bei einem Auftritt im deutschen Fernsehen mit Sigue Sigue Sputnik im Jahr 1986

Foto: Imago Images/teutopress

Im Jahr 1986 griff die Band Sigue Sigue Sputnik nach der Weltmacht. Die Sputniks wollten diejenigen sein, die der Popmusik, wie man sie bis dahin kannte, den Todesstoß versetzten. „Shoot it up“, heißt es im Refrain ihrer erfolgreichen Debütsingle Love Missile F1-11. In begrenztem Ausmaß gelang ihnen das tatsächlich. „Es gibt viele Leute, die uns hassen werden“, verkündete Bandgründer Tony James damals, „wir sind weder tranig, noch interessieren wir uns für Musik.“ Aber für was dann? Die Antwort war einfach: „Sex, Spaß, Erfolg.“

Für ihr Debütalbum Flaunt It stellten sich die Sputniks rigoros gegen die im damaligen Popbusiness verbreitete Authentizitätsromantik. Sie griffen mit den damals modernsten technischen Mitteln und fröhlichem Eklektizismus auf die gesamte Popgeschichte zu. Tony James war klar, dass Musik nur ein Teil des Pop-Universums ist. Er legte großen Wert auf das Aussehen seiner Band und auf gut gemachte Videos. Ihm war klar, dass Pop als populäre Kunst seine Aura aus dem Erfolg zog. Darum inszenierte er seine Band von Anfang an als Superstars.

Neoliberaler Businesspunk

Er griff auf alles zurück, was der Band den Anschein von Erfolg verleihen konnte. Mit Frisuren, Videos, Samples und musikalischen Anleihen bei den Großen des Pop schuf er ein eigenes Universum. Pop ist die Kunst, Bezüge herzustellen. Darin waren die Sputniks Meister. Hier ein Rocky-IV-Sample, da ein bisschen Bowie, noch ein Tupfer Donna Summer. Präsentiert in einem Video in Blade-Runner-Ästhetik. Sigue Sigue Sputnik erfand den neoliberalen Businesspunk. Bei allem, was die Band tat, ging sie offen nach kommerziellen Kriterien vor. SSS, das waren keine alten Kumpels. Tony James castete seine Band. Und zwar nicht danach, ob die Bewerber ihre Instrumente besonders gut beherrschten, sondern nach ihrem Aussehen. James selbst hatte Anfang der 1980er Jahre zusammen mit Billy Idol in der Band Generation X gespielt. Als Sänger zog er den Paradiesvogel Martin Degville an Land.

Degville wirkte, als sei er einem Sado-Maso-Science-Fiction-Comic entstiegen. Ähnlich wie Boy George brachte er die starren Gendergrenzen des 80er-Pop ins Schwanken. „I’m she-male Elvis Bolanesque“, beschrieb er sich selbst. Er griff damit auf die androgynen Glam-70er-Jahre zurück.

Produziert wurde Flaunt It von Giorgio Moroder. Der größte Produzent der Welt war gerade gut genug. Die Songs werden von seinem typischen Synthie-Sound dominiert. Die Gitarren und Martin Degvilles Stimme wurden mit der damals brandneuen Samplingtechnik verfremdet und wie zusätzliche Instrumente in die Tracks eingebaut. „Wir haben die Musik mit Soundtracks und Samples durchsetzt und berühmte Soundbites aus Science-Fiction-Filmen wie Blade Runner eingefügt“, erzählte Moroder dem Pop-Blogger Steve Pafford, „bis dahin hatte ich so etwas noch nie gehört.“ Fatboy Slim und Moby lassen sich hier schon erahnen.

Eine absolute Pop-Blasphemie beging die Band mit den Werbespots auf ihrer LP. Tony James hatte die Leerrillen zwischen den Songs für Werbeblöcke verkauft. Die Spots warben für Fernsehsender, Lifestyle-Magazine, einen Klamottenladen, Haarspray und das Plattenlabel EMI. Für viele Popmusikhörer eine grenzenlose Frechheit. Aber im Grunde war Tony James in seiner offenen Kommerz-Orientierung und seiner bekennenden Künstlichkeit ein Pionier der Popkultur der 90er Jahre. Nach einem kurzen Hype wurde die Band zunehmend mit Häme überzogen. „Zuerst sagte jeder Journalist, dass diese Band fantastisch ist, ein Geschenk Gottes“, meinte Tony James, „und dann plötzlich hieß es: Ach, wir haben sie nie gemocht!“

Die Songs auf Flaunt It haben nichts von ihrer frivolen Frechheit verloren. Das Reissue des britischen Labels Cherry Red bietet spannende Ergänzungen zum Album. Zwei der vier CDs enthalten die alten Remixe, die zeigen, dass die Sputniks Cyber-Dance-Punks waren. Die vierte CD enthält den Mitschnitt eines chaotischen Auftritts, der die Grenzen von SSS deutlich macht. Live hatten sie wenig zu bieten. Wegweisend war die Band dennoch. Sie öffnete den Markt für gecastete Bands wie Take That oder die Spice Girls.

Info

Flaunt It Sigue Sigue Sputnik Cherry Red Records, ab 9. Oktober 2020

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