Haludovo war Meisterwerk der sozialistischen Spätmoderne: Verschollenes Paradies
Kroatien An der Adriaküste Kroatiens fand man einst besonders gelungene Beispiele des postmodernen Bauens im Sozialismus. Davon sind heute nur Reste übrig
Ein Hund bellt in der Ferne. Weit draußen auf dem Meer brummt ein Motorboot. Ein Kontrabass dröhnt verhalten aus einer der Strandbars unten in Malinska. Ansonsten ist nur das Rauschen der Blätter zu hören, wenn man Äste beiseiteschiebt, um sich den Weg durch eine mittlerweile dichte Vegetation auf dem ehemaligen Hotelgelände zu bahnen. Bald verschwindet im späten September die Sonne hinter den Bergen Istriens auf der anderen Seite der Kvarner Bucht. Gerade zu dieser Abendzeit leuchten die schwer mitgenommenen Fassaden von Haludovo besonders intensiv. Überall auf dem Gelände des einstigen jugoslawischen Luxus-Resorts schreitet der Verfall voran. Das ausladende Dach des Schwimmbeckens beschirmt den Wildwuchs wuchernder Hecken, gerissenen Beton und
und zerbrochene Fliesen. Manchmal nimmt der Wind braune Blätter eine kleine Windstrecke mit und lässt sie wieder auf den Boden des Bassins fallenMit seiner spielerischen Komposition aus versetzten Betonelementen haftete dem Schwimmbecken – zieht man Bilder zurate – einmal etwas Luftiges und Leichtes an, etwas Optimistisches, Überlegenes, auch Gelassenes. Unabhängig vom aktuell desolaten Zustand der Hotelanlage: Das hier anzutreffende architektonische Format weckt Assoziationen an ein sorgloses und freizügiges Urlaubsleben. Er erinnert daran, wie viele Jugoslawen, wie viele Besucher dieses Staates hier während der 1970er und 1980er Jahre ihre Ferien genossen.Das Resort wurde 1971 eingeweiht. Postkarten und Touristenbroschüren aus dieser Zeit halten fest, wie die Dachkonstruktion des Pools ein Wahrzeichen der gesamten Hotelstadt war. Lächelnd und entspannt stellten damalige Badegäste ihre 70er-Jahre-Frisuren und Schwimmmoden zur Schau. Mit abgefahrenen und farbenfrohen Interieurs à la Verner Panton, des dänischen Designers, mit Spielcasinos, Nachtclubs und einem Zustrom von Penthouse-Models sorgte das Resort Haludovo für eine ausgelassene und verschämt dekadente Urlaubsatmosphäre, wie sie für ein sozialistisches Land eher selten war. Der Ort galt als beliebte Jet-Set-Destination und zog prominente Gäste aus aller Welt an. Zu denen, die kamen, zählten der schwedische Ministerpräsident Olof Palme wie der italienische Medienoligarch Silvio Berlusconi, doch ebenso der damalige irakische Staatschef Saddam Hussein. Fußballstar Pelé drehte auf dem Gelände einen Werbespot für eine bekannte Cola-Marke. Während des Kalten Krieges war Haludovo für kurze Zeit ein Treffpunkt, an dem sich Ost und West auf diskrete und verträgliche Weise begegnen konnten. Nun ist das Schwimmbad längst leer, dafür bedecken Graffiti die Wände. Die hellblauen Kacheln sind an mehreren Stellen abgefallen und geben rohen Zement preis.Im umliegenden Park mischt sich der Duft von Oleander mit dem der Zypressen. Auf verlassenen Tennisplätzen sind die Netze heruntergenommen und die Linien verwischt. Der letzte Tiebreak ist seit Jahrzehnten entschieden. Mittlerweile wurzeln kleine Kiefern im orangefarbenen Sand. In den scheinbar endlosen Gängen des Hauptgebäudes knirschen Glasscherben unter jedem Schritt. Das Erdgeschoss beherbergt Bowlingbahnen mit aufgesprengten Böden und heruntergestürzten Deckenpaneelen. Auf Hunderte von Zimmern verweisen offene und geschlossene Türen. Umgestürzte Stühle und Sessel bevölkern ein von Feuchtigkeit und Fäulnis durchgedrungenes Foyer. Dazu bezeugen verkohlte Türpfosten, dass es Brandstiftung gegeben haben muss hier und da. In leeren Sälen gewinnt nun Dunkelheit an Macht. Und doch ist durch die eingeschlagenen Fenster im obersten Stockwerk der Ausblick über die Bucht noch so schön wie zu Jugoslawiens Blütezeit.Damals war Haludovo das Flaggschiff der Tourismusbranche. Staatschef Josip Broz Tito (1892 – 1980) bemühte sich, diesem äußerst lukrativen Wirtschaftssektor Geltung zu verschaffen. Die Visumpflicht für Staaten sowohl östlich als auch westlich des Eisernen Vorhangs wurde abgeschafft. Der Fremdenverkehr boomte in einem sonnigen, gastfreundlichen Land. Er diente nicht zuletzt dazu, für Titos Erfolge als Mentor der Bewegung Blockfreier Staaten und seine Suche nach einem „dritten Weg“ zwischen Kapitalismus und Sowjetkommunismus zu werben, als die Welt im Kalten Krieg in zwei Lager geteilt war.Deshalb achteten Jugoslawiens renommierteste Architekten beim Entwerfen von Hotels entlang der Adriaküste besonders auf den Baustil. Was an Gebäuden entstand, das waren vielfach Meisterwerke der Spätmoderne. Auf der Insel Krk hatte der Baumeister Boris Magaš freie Hand und verfügte über ein Areal von 25 Hektar. Er nutzte dies, um ein komplettes, bestens abgestimmtes Ensemble aus drei größeren Hotels, einem Jachthafen, einer Strandbar, Restaurants, einem Erholungspark, Schwimmbädern, mehrstöckigen Apartments sowie Sportanlagen zu schaffen. Magaš errichtete sogar ein künstliches Fischerdorf. Weiter unten im kleinen Hang, wo der Park in Richtung Meer ausläuft, bilden zahlreiche Plattformen und Nischen aus Gussbeton eine ideale Kulisse zum Sonnenbaden und Kartenspielen, für Zeitungslektüre und Mittagsschlaf.Wie das sowjetische ArmenienDie Einheimischen machen davon bis heute ausgiebig Gebrauch. Gleichzeitig ist die hier waltende architektonische Eleganz ein originales Beispiel dafür, wie einladend die sozialistische Spätmoderne sein konnte und wie es allein ihrer Ästhetik gelang, sich in den Dienst des Menschen zu stellen. Die beeindruckende Strandbar von Haludovo, leider in einem schlechten Zustand und nicht in Betrieb, bestärkt in diesem Eindruck. Wie sich die Bauweise auf die Natur einlässt, wie sensibel man sich der lokalen Gegebenheiten annimmt, all das lässt deutliche Parallelen zur Baukunst im sowjetischen Armenien um etwa die gleiche Zeit erkennen.Placeholder infobox-1Die Tourismusbranche kollabierte während des Bürgerkriegs in den 1990er Jahren, als Jugoslawien elend zugrunde ging. Statt Feriengästen suchten nun Flüchtlinge im verlassenen Resort von Haludovo nach einer Unterkunft. Als auch sie wieder davonzogen, setzte der Verfall ein. Ein Teil des Komplexes wurde abgerissen oder dem Siechtum überlassen. Umso mehr erstaunt, dass in den vergangenen Jahren das Interesse am jugoslawischen Hotelbau wieder gestiegen ist. Es gibt dafür mehrere Gründe.Die Qualität der Bauwerke ist einer davon, ein anderer die Weitsicht der Architekten, dazu der faszinierende gesellschaftliche Kontext, in dem sie arbeiten konnten. Überdies wurden der Bürgerkrieg und die erzwungene Aufgabe Jugoslawiens nicht gestern zum destruktiven Verhängnis, sondern können aus einem tröstenden zeitlichen Abstand rekapituliert werden. Es entsteht gerade ein neues Bewusstsein für den sozialen Idealismus, den die Hotels und ihr Umfeld vermitteln wollten. Besonders der Haludovo-Komplex ist Gegenstand verstärkter Aufmerksamkeit von Kunsthistorikern, Ruinenromantikern, Kuratoren und Fotografen. 2018 eröffnete das MoMA – das Museum für moderne Kunst in New York – die Ausstellung Toward a Concrete Utopia – Architecture in Yugoslavia, 1948 – 1980. Dabei hielt man sich unter anderem an Boris Magaš und Haludovo. 2016 produzierte der kroatische Fernsehsender Hrvatska Radiotelevizija (HRT) die erstklassige Dokumentarserie Betonski spavači über die Architektur Jugoslawiens. Die erste Folge erzählte von Haludovo.Mehrere Versuche, die Anlagen wiederherzustellen und in Betrieb zu nehmen, schlugen fehl. Ein letzter Plan dieser Art scheiterte 2018 daran, dass man im Interesse der Baufreiheit Park und Strand für die Öffentlichkeit hätte sperren müssen. Das wollte keiner riskieren. Gegenwärtig saniert ein Bauunternehmen immerhin eine Reihe von Ferienwohnungen im hinteren Teil des Geländes. Vielleicht wird es irgendwann wieder möglich sein, diese Apartments anzumieten und sich wieder der Stimmung eines verlorenen Urlaubsparadieses zu versichern.Placeholder authorbio-1
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