Der Tropfen auf dem heißen Markt

Wasser VI Der Zugang zu Wasser in ein Menschenrecht. Doch der Wassersektor wird weltweit zunehmend privatisiert

Seitdem der Senat die Wasserwerke verscherbelt und damit die Kontrolle über die Preisentwicklung verloren hat, bezahlen die Berliner die höchsten Wasserpreise der Republik. Doch nicht nur in den westlichen Metropolen wird das Wasser privatisiert, auch in der Dritten Welt sahen die Konzerne bis vor kurzem lukrative Gewinnmöglichkeiten mit dem kostbaren Nass. Nachdem Linda Tidwell in der letzten Folge der Wasserserie (Freitag 49/2005) über neue Möglichkeiten der Wassergewinnung berichtete, verfolgt Jens Müller-Bauseneik in dieser Nummer, was passiert, wenn das Wasser nicht mehr in öffentlicher Hand ist.

Wieviel wären Sie bereit für einen Liter Atemluft zu bezahlen, falls die Erdatmosphäre einmal ungenießbar werden sollte? 10 Cent, 50 Cent oder mehr? Letztlich würden Sie wohl jeden Preis akzeptieren, denn als Lebewesen sind Sie auf das unsichtbare Elexier zwingend angewiesen. Doch zum Glück gibt es für profitorientierte Sauerstoff-Händler keinen Markt; für die lückenlose Versorgung genügt uns beständiges Ein- und Ausatmen. Für Luft bezahlen? Allein der Gedanke erscheint absurd.

Wirtschaftsgut

Aber wie steht es mit sauberem Wasser, der zweiten, unverzichtbaren Lebensgrundlage? Klar ist: Wasser kann nicht prinzipiell umsonst sein, weil es mit mal mehr, mal weniger Aufwand gefördert, gereinigt und zum Verbraucher geliefert werden muss. In den entwickelten Ländern wird diese Aufgabe schon seit dem 19. Jahrhundert von einer komplizierten Infrastruktur aus Pumpstationen, Staudämmen, Leitungsrohren und Kläranlagen übernommen. Ärmere Staaten hinken mit dem Aufbau ihrer Wasserversorgung hinterher, oft werden weite Bereiche vom Leitungsnetz nicht erreicht. Rund um den Globus befindet sich diese Infrastruktur traditionell in öffentlicher Hand - und die muss keine Profite erwirtschaften, was dem Verbraucher relativ niedrige Kosten garantiert. Doch dauerhaft günstige Preise verleiten mancherorts auch zu Verschwendung und einem unreflektierten Umgang mit der Ressource Wasser. Was niemandem gehört, dafür fühlt sich auch niemand zuständig.

Es erschien daher nur konsequent, als 1992 die internationale Wasser- und Umweltkonferenz von Dublin empfahl, Wasser habe "bei all seinen konkurrierenden Nutzungsformen einen wirtschaftlichen Wert und sollte als wirtschaftliches Gut betrachtet werden". Das Kalkül: Wenn Wasser den Gesetzen des freien Marktes unterworfen wird, würden sich die nötigen Investitionen in einem kostendeckenden Preis widerspiegeln. Das Ergebnis wäre ein kalkulierter und verantwortungsbewusster Umgang mit dem nassen Element. Damit, so die Experten Lisa Stadler und Uwe Hoering in ihrem Buch Das Wassermonopoly, habe man ein Tabu gebrochen: "Wasser war - nicht anders als Zahnpasta, Autos oder Glühbirnen - zu einer Handelsware geworden." Nun sah sich die Privatwirtschaft aufgerufen, im Wassersektor auf Profitsuche zu gehen. Als erstes geriet die Wasserversorgung in den führenden Industriestaaten ins Visier. Mit wenigen Ausnahmen befand sich diese in kommunalem Besitz, zur Zufriedenheit von Gemeinden und Verbrauchern.

Privatisierung oder Konzession?

Doch was tun, wenn riesige Lücken in den öffentlichen Haushalten klaffen und dringend eine wenigstens partielle Sanierung nötig ist? Dann wird eisern gespart und das viel zitierte "Tafelsilber" verscherbelt. Liberalisierung des Marktes durch mehr Wettbewerb, Schuldentilgung durch Privatisierung öffentlicher Betriebe, so lautet das Credo ökonomischer Modernisierung seit den frühen neunziger Jahren. Dabei waren die städtischen Wasserwerke von besonderem Interesse, bilden sie doch meist das Filetstück kommunalen Vermögens. Ein prominentes Beispiel: die Berliner Wasserbetriebe (BWB). 1999 wurde der bis dahin größte Wasserversorger Europas verkauft. 3,7 Millionen Menschen in der Hauptstadt und Umgebung beziehen ihr qualitativ hochwertiges Wasser von den BWB, die mit über 5.000 Angestellten zugleich einer der größte Arbeitgeber Berlins sind. Nach der Wiedervereinigung der Stadt hatte man das veraltete Rohr- und Kanalnetz mit Milliardenaufwand saniert und den Betrieb insgesamt fit für die Zukunft gemacht - mit Steuergeldern, wohlgemerkt. Zuletzt erwirtschafteten die BWB sogar regelmäßig einen hübschen Gewinn, der dem kommunalen Haushalt zufloss.

Doch schon kurz darauf warf die hoch verschuldete Metropole ihr frisch poliertes Kronjuwel auf den freien Markt - ein später vielfach bereuter Beschluss, den der Senat nicht aufgrund ökonomischer Langzeitplanung fasste, sondern aus purer Geldnot. Ein Konsortium, gebildet aus den Energiekonzernen RWE und der französischen Vivendi, nutzte die Gunst der Stunde und erwarb für 3,1 Milliarden Mark 49,9 Prozent der BWB-Aktien. Somit handelte es sich lediglich um eine Teilprivatisierung. Die Stadt blieb offiziell Mehrheitseigner, ihre betriebliche Entscheidungskompetenz ging aber verloren. Der kurzfristige Vorteil für die Stadt: Sämtliche Verkaufserlöse konnten sofort dem laufenden Haushalt zugeschrieben werden - bei damals über 60 Milliarden Mark Gesamtschulden dennoch nur ein Tropfen auf den heißen Stein.

Bei einem anderen bevorzugten Privatisierungsmodell vergibt die Kommune eine zeitlich begrenzte Konzession, die Betrieb, Investitionen und Geschäftsrisiko einem Privatunternehmen überträgt, die Anlagen selbst bleiben aber in öffentlicher Hand. Weil der Investor seine Aufwendungen über profitable Tarife amortisieren muss, sind meist Gebührenerhöhungen die zwingende Folge. Allerdings kann die Stadt hier das schlimmste verhüten, indem sie androht, die Konzession später einem anderen Unternehmen zu erteilen. Auf diese Weise konnte etwa das französische Lyon, das bereits 1986 den Vivendi-Konzern an seiner Wasserversorgung beteiligt hatte, zehn Jahre später eine Senkung der Verbraucherpreise um fünf Prozent erzwingen.

Berlin: Pleiten, Pech und Pannen

Da ist die deutsche Hauptstadt weit schlechter dran. Die Privatisierung der BWB entwickelte sich zu einer Abfolge von Pleiten, Pech und Pannen. Zuerst geriet Vivendi in die Krise, denn infolge weiterer Beteiligungen an Wasserwerken in allen Erdteilen sowie an Medienunternehmen häufte sich dort ein gigantischer Schuldenberg an, der zur Hälfte auf den Wasserbereich abgewälzt wurde. 2002 stand der Konzern vor dem Bankrott, die Wassersparte wurde unter dem Namen Veolia neu strukturiert und ausgegliedert. Auch RWE stellte sich mit dem Kauf der britischen Thames Water neu auf und wurde zum Global Player im Wassermarkt. Doch die Geschäfte in Berlin entwickelten sich nicht wie erhofft. Wassersparmaßnahmen und der Niedergang von Industrie und Gewerbe ließen den Absatz von Wasser einbrechen, während die betrieblichen Fixkosten unverändert blieben. Sie machen immerhin 80 Prozent eines normalen Wasserbetriebes aus. Weil aber die privaten Anteilseigner zu Beginn eine Gewinngarantie von jährlich neun Prozent Rendite ausgehandelt hatten, sind bei den BWB inzwischen mehrere Hundert Millionen Verluste aufgelaufen. Dafür muss nun - über die staatliche BWB-Beteiligung - auch der Steuerzahler gerade stehen. Massive Gebührenerhöhungen waren die Folge, mittlerweile gehört Berlins Wasser zum teuersten bundesweit. Im Gegenzug sind die anfänglichen Versprechen des Konsortiums, tausende neue Arbeitsplätze zu schaffen und Milliardensummen zu investieren, in diesem Umfang nicht realisiert worden.

Solche Fehlentwicklungen, die zum Beispiel auch nach der 1989 erfolgten Privatisierung des englischen Wassermarktes auftraten, fordern seit Jahren eine stetig wachsende Protestbewegung heraus. Das Thema Wasser steht bei allen namhaften Umweltverbänden, bei kirchlichen Hilfsorganisationen, Globalisierungsgegnern und Gewerkschaften mittlerweile ganz oben auf der Agenda. Und die schauen weit über den eigenen Tellerrand hinaus, denn was die Aktivisten am meisten aufregt, sind rücksichtslose Wasserprivatisierungen in der Dritten Welt. Allerdings stellt sich dort auch die Ausgangslage dramatisch dar. Die staatlichen Wasserbetriebe zeigen sich in Entwicklungsländern oft hoffnungslos überfordert, marode und ineffizient. Häufig wird der Vorwurf erhoben, korrupte Behörden kümmerten sich nur um urbane und vermögende Bevölkerungsschichten, schlampige Manager ließen bestehende Anlagen verfallen. Fest steht jedenfalls: Für notwendige Investitionen fehlt diesen Staaten das Geld. So haben insgesamt eine Milliarde Menschen keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser und doppelt so viele keinen Anschluss an sanitäre Anlagen. Hilfe scheint nur aus dem reichen Westen möglich, doch die wichtigsten Geldgeber, die Weltbank und die Welthandelsorganisation WTO, machen weitere Kredite oft genug von der Liberalisierung des Wassermarktes für private Investoren abhängig.

Teures Nass aus Tankwagen

Beispiel Ghana: Jahrelang sah die Ghana Water and Sanitation Corporation (GWSC) für die Hälfte des Wassers, das sie in das Leitungsnetz der Hauptstadt Accra einspeiste, kein Geld. Ein Großteil versickerte durch undichte Leitungen, zudem zahlten viele Kunden ihre ohnehin niedrigen Rechnungen nicht. Dringende Reparaturen wurden wegen Geldmangel immer weiter verschoben. Die Folge: Wasser fließt heute nur unregelmäßig aus dem Hahn, und nur zwei Drittel der städtischen Haushalte haben überhaupt einen Anschluss. Gerade die Ärmsten sind meist darauf angewiesen, dass Bessergestellte von ihrem kostbaren Nass abgeben - zu gepfefferten Preisen. Für drei Eimer Wasser gehen dadurch leicht 10-20 Prozent eines durchschnittlichen Tagesmindestlohns von umgerechnet einem Euro drauf.

Die Weltbank hält Reformen für dringend geboten. Sie will aber einen Schuldenerlass und weitere Finanzspritzen an die Zusage der Regierung koppeln, den heimischen Wassermarkt für private Investoren zu öffnen. Der staatliche Versorger GWSC wird als "reformunfähig" eingestuft, weitere Kredite werden ihm verweigert. Mehrere US-amerikanische und britische Beraterfirmen wurden dagegen großzügig mit Geldern der Weltbank finanziert. Schon jetzt ist absehbar, dass ausländische Betreiber nur die städtische Versorgung übernehmen müssen, für den kostspieligen Ausbau des ländlichen Leitungsnetzes bleibt der Staat verantwortlich. Die ärmeren Landbewohner werden somit wohl auch zukünftig auf teures Wasser aus Tankwagen angewiesen sein. Für Städter mit Leitungsanschluss sind zudem massive Gebührenerhöhungen von Beginn an einkalkuliert. Doch nun regt sich Protest aus der Bevölkerung: "Zweifellos gibt es einen starken Bedarf für Reformen", sagt Kwesi Owusu von der "Koalition gegen die Privatisierung von Wasser" gegenüber der Hilfsorganisation Brot für die Welt. "Aber wir glauben, dass diese Reformen dazu führen sollten, dass unsere eigenen Fähigkeiten zu einer effizienten Wasserversorgung verbessert werden. Wie soll es weitergehen, wenn die Konzessionszeit endet und die Probleme in Ghana weiter bestehen?"

Ähnlich sieht es auch Umweltaktivist Michael Bender von der Grünen Liga, der zudem das deutsche "Forum Umwelt und Entwicklung" koordiniert: "Die Menschen vor Ort müssen das Gefühl haben, das hier sind unsere Anlagen, die haben wir mit aufgebaut. Dann würden sich die Einheimischen auch besser um Wartung und Reparaturen kümmern." Er setzt daher auf eine Zusammenarbeit von ausländischen Geldgebern und lokalen Initiativen, die ihre Wasserversorgung selbst in die Hand nehmen. Auch die von Weltbank und WTO generell empfohlene Einrichtung einer Regulierungsbehörde, die die Aktivitäten eines privaten Unternehmens überwachen soll, bleibt nach ersten Erfahrungen wohl eine stumpfe Waffe gegenüber den großen Energiekonzernen: "Die Regulierungsbehörde ist sehr schwach. Gar nicht vorzustellen, wie diese schwache Behörde mit einem großen, mächtigen, internationalen Unternehmen fertig werden soll. Es ist geradezu ein Witz", so Kwesi Owusu. Weil nach seiner Meinung der einseitige Reformansatz der Weltbank ihrem eigenen Anspruch zur Armutsbekämpfung entgegenarbeitet, prophezeit er eine zunehmende Unzufriedenheit in der Bevölkerung.

Unkalkulierbare Gewinnaussichten

Dass Unzufriedenheit auch in organisierten Widerstand münden kann, musste vor einigen Jahren der US-Multi Bechtel erfahren, der sich neben RWE/Thames Water, Veolia und Suez/Ondeo als einer der Global-Players auf dem Wassermarkt positioniert hat. Der Konflikt in Cochabamba, Bolivien, hat als "Wasserkrieg" auch international für Aufmerksamkeit gesorgt und wurde für manchen Kritiker zur Initialzündung für das eigene Engagement gegen Wasserprivatisierungen. Die Probleme begannen, als 1999 das kommunale Wassernetz der 600.000-Einwohner-Stadt Cochabamba an ein Konsortium aus in- und ausländischen Unternehmen unter Führung der Bechtel Enterprise Holdings verpachtet wurde. Ein jährlicher Profit von 15 Prozent war vertraglich garantiert. Sofort gingen die neuen Betreiber daran, die Wassertarife um durchschnittlich ein Drittel zu erhöhen. Plötzlich mussten ärmere Haushalte bis zu einem Fünftel ihres Monatsbudgets für Wasser aufwenden, es sollten sogar Tarife für die Nutzung von Brunnen- und Regenwasser eingeführt werden. Als Reaktion bildete sich ein Bündnis aus Bauern, Gewerkschaften und Umweltorganisationen, das Proteste und Demonstrationen organisierte. Ziel war die Rücknahme von Gesetzen, die die Privatisierung ermöglicht hatten, und letztlich die erneute Überführung der Wasserversorgung in öffentliche Kontrolle.

Nachdem alle Verhandlungen ergebnislos geblieben waren, wurde im April 2000 ein Generalstreik ausgerufen, der für vier Tage das öffentliche Leben in der Stadt lahm legte. Staatspräsident Hugo Banzer reagierte prompt, indem er das Kriegsrecht ausrief und die Armee auf die Demonstranten hetzte. Hunderte wurden verletzt, ein Jugendlicher erschossen, doch die Proteste gingen weiter. Mitte April schließlich flüchteten die ausländischen Manager überstürzt aus dem Land. Die Regierung gab nach und erklärte den Pachtvertrag für ungültig. Allerdings hat Bechtel gegen die abrupte Vertragskündigung umgehend eine Klage beim Schiedsgericht der Weltbank eingereicht. Jetzt wird über Entschädigungen in Millionenhöhe verhandelt.

Damit es zu Gewaltausbrüchen wie in Bolivien erst gar nicht kommt, fordern Kritiker die Privatwirtschaft auf, sich ganz aus dem Wassersektor herauszuhalten. Laut Annette von Schönfeld von Brot für die Welt lassen sich neuerdings Tendenzen beobachten, dass sich die profitorientierten Multis von "problematischen" Ländern in Afrika und Lateinamerika wieder abwenden, weil Risiken und Gewinnaussichten mittlerweile unkalkulierbar sind. Lieber wenden sie sich dem osteuropäischen Markt zu. War die Furcht vor der totalen Wasserprivatisierung in der Dritten Welt also übertrieben? Und vor allem: Wer soll es anstatt der privaten Investoren besser machen? Ein Patentrezept, soviel ist klar, haben auch die zahlreichen Kritiker nicht parat. Einig sind sie sich nur in einem: "Wir sind durchaus nicht der Meinung, dass Wasser umsonst sein soll. Aber es darf kein Kriterium sein, ob ich es bezahlen kann, damit es mir zusteht", resümiert Annette von Schönfeld. Man darf gespannt sein, ob derartige Appelle bei den laufenden Nachverhandlungen zum weltweiten Dienstleistungsabkommen GATS Gehör finden. Ein Punkt auf der Tagesordnung: weitere Liberalisierungen im Trinkwassersektor.


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